Die Sendung ihres Lebens

Der "Papa" ist zurück. Der ehemalige "Ö3 Wecker"-Moderator Hary Raithofer beehrte anlässlich 50 Jahre Hitradio Ö3 seinen alten Arbeitsplatz und teilte sich mit Schützling, Konkurrent und Freund Robert Kratky zwei Stunden lang die emotionalsten Songs der Hörerschaft, Wuchteln und Erinnerungen

von Interview - Die Sendung ihres Lebens © Bild: Ricardo Herrgott News

Zur Nummer "Despacito" wagen "Ö3 Wecker"-Mann Robert Kratky und sein ergrauter Vorgänger Hary Raithofer, heute Pilot, im Sendestudio ein Tänzchen mit viel Hüfte. Zwischen ihren Moderationen stehen sie für Selfies und Scherze mit Kollegen zur Verfügung. Das alles schütteln die Herren, deren Job es war bzw. ist, täglich 2,5 Millionen Menschen gut in den Tag zu bringen, aus dem Ärmel. Begleitet von den prägendsten Songs des Landes, ausgesucht von den Ö3-Hörern: Zu welchem Hit hat man sich verliebt, wurden Kinder geboren, hat man gestritten, sich versöhnt? Vor dem Wiederhören auf Sendung schickten wir Meister Raithofer und seinen ehemaligen Gesellen auf Zeitreise.

Hary Raithofer, ist das Ihr erstes Mal bei Ö3, nachdem Sie im November 2004 Ihre letzte "Ö3 Wecker“-Sendung moderiert haben?
Raithofer: Ich war einmal hier zu Besuch. Aber nicht on air.

Mit welchem Gefühl haben Sie heute den alten Arbeitsplatz betreten?
Raithofer: Ich hab zwei Empfindungen. Einerseits hab ich das Gefühl, ich war nie weg. Weil alle Kollegen so lieb und nett sind und ich mich herzlich willkommen fühle. Andererseits bin ich überrascht, wie toll das alles in Schuss ist. 50 ist eine stolze Zahl, aber man sieht dem Baby das Alter nicht an. Es wirkt frisch, jugendlich und dynamisch.

Sie haben in Ihrer letzten "Wecker“-Sendung von Müdigkeitserscheinungen gesprochen. Sieht man Ihnen beiden das Alter an?
Raithofer: Die Frage geb ich zurück.

Was war damals der Grund, den kräftezehrenden, aber prestigeträchtigen Job an den Nagel zu hängen?
Raithofer: Ich war müde.

© Ricardo Herrgott News Der Schmäh rennt. Der "Papa" ist stolz, wie sich sein ehemaliger Sendungsproducer Kratky zur Nummer eins gemausert hat

Kommt man als Pilot zu mehr Schlaf?
Raithofer: Ja, schon. Als Pilot hat man klarerweise auch Frühdienste, aber dann sind’s halt drei im Monat, aber keine zwanzig. Das macht den Unterschied.

»Der Hary war so nah bei den Menschen. Das war eine Herzens- und eine Hirnsache.«

Woran erinnern Sie sich gern?
Kratky: Ich verbinde heute mit der Ära Hary Raithofer eine ganz besondere Zeit. Ich war damals Producer der Sendung und Ersatzmoderator. Der Hary war der Star der Sendung. Hary und das Weckerteam waren etwas völlig Neues, und es war das erste Mal in der Geschichte von Ö3, dass ein Host das Große und Ganze als Anchor im Alleingang übernommen hat. Davor war der "Wecker“ ja aufgeteilt. Täglich hat ein anderer moderiert. Auf einmal lag die Verantwortung auf seinen Schultern, ich durfte das Programm befüllen. Damals sind in der Kantine Sachen entstanden wie der Vignettenman, die Wecker-Combo oder Oma Raithofer und Opa Kratky. Als ich begonnen habe, für den Hary zu arbeiten, war er für mich so ein bissel bester Freund, großer Bruder.

Haben Sie auch privat Dinge unternommen?
Kratky: Vielleicht bin ich ihm ja auf die Nerven gegangen und weiß es nur nicht, aber ich habe mich ihm in meiner Freizeit wahnsinnig oft angetragen.
Raithofer: Wir haben sogar mal ein Thermenwochenende bei Willi Dungl verbracht. Da hat der Kratky aber immer nur g’schlafen.

Sind Sie nicht auch gemeinsam Motorrad gefahren?
Kratky: Ja! Eine meiner schönsten Erinnerungen - das Rolling-Stones-Konzert in Zeltweg. Ich hatte noch keinen A-Schein, und Hary hat mich auf seiner Maschine mitgenommen …
Raithofer: … der Wahnsinnige ist hinten am Sozius immer eingeschlafen. Ich hätt ihn fast verloren. Ich musste ihm immer auf den Oberschenkel klopfen, damit er sich wieder gscheit anhält. Am Heimweg hatten alle Tankstellen zu …
Kratky: … und uns ist das Benzin ausgangen. Eine der furchtbarsten Fahrten von A nach B.
Raithofer: Man sieht, hätte ich ihn damals tatsächlich loswerden wollen, wäre er mir einfach schlafend vom Motorrad gefallen, und ich wäre weitergefahren.

Gut, dass Sie’s ansprechen. Neben der Freundschaft gab’s bestimmt auch Konkurrenz. Ist Ihnen Robert Kratky nicht wie ein Formel-1-Pilot im Nacken gesessen und wollte Überholmanöver starten?
Raithofer: Na ja, muss er ja. Sein Ziel war es, die Morgensendung zu moderieren. Das hat er geschafft. Es ist vollkommen logisch, dass man versucht - wie es in der Rennfahrersprache heißt -, am Spitz zu fahren.
Kratky: Dieser Job hat, so unterhaltsam er klingen mag, einige Begleiterscheinungen, die das Leben sehr speziell verändern. Allein durch den wenigen Schlaf. Mir war das damals aber wurscht. Ich wollte einfach diesen Job haben. Meine Verpflichtung war eine sehr große, weil der Hary die Sendung geprägt hat wie kein anderer.

Wodurch?
Kratky: Der Hary war so nah bei den Menschen wie kein anderer vor ihm. Das war eine Herzenssache und eine Hirnsache - vom Handwerk abgesehen. Hary konnte das einfach, ich musste es mir mühsam erarbeiten. Das war ein schweres Erbe. Und ja, am Ende des Tages ist es hinter den Kulissen auch ein Rennen. Der "Ö3 Wecker“ ist Teamwork, aber Anchor ist halt nur einer.

Was macht Robert anders als Sie?
Raithofer: Der Robert macht’s gleich wie ich: großartig (lacht).

»Du musst dich einfach trauen, so zu sein, wie du bist, und darauf hoffen, dass es reicht.«

Haben Sie in Ihren Anfängen eigentlich Tipps von Hary bekommen?
Kratky: Eins der ersten Dinge, die er gesagt hat, war: "Wenn der Kratky die Uhrzeit sagt, dann schau ich lieber nach, ob’s stimmt.“ Von meiner Seite gab’s oft mehr Schein als Sein. Ich war nicht authentisch. Wenn man diesen Job anfängt, dann tut man am Anfang so, als wäre man Moderator. Im Gegensatz dazu: Authentizität im Radio war Harys Untertitel bei allem was er getan hat. Diese Lektion hab ich durch Hary gelernt.

Was wollten Sie vermitteln?
Raithofer: Es gibt einen Knackpunkt. Du musst es im Radiostudio schaffen, dich darauf zu verlassen, was du bist. Und nicht versuchen, jemanden darzustellen, der du nicht bist. Weil der Hörer merkt das.

Wie genau?
Raithofer: Du bist, unter Anführungszeichen, eine Form von Familienmitglied, wenn du die Ehre hast, dass du beim Frühstück mit dabei sein darfst, dass du im Badezimmer oder im Auto mit dabei sein darfst. Das muss erst jemand zulassen. Nix ist schneller als ein Druck auf die Taste, und du bist weg. Du musst dich einfach trauen, so zu sein, wie du bist, und darauf hoffen, dass es reicht.

Was fasziniert Sie an Ihrem jetzigen Beruf als Pilot?
Raithofer: In mir wohnt der Traum des Fliegens. Wenn man einem Vogel zuschaut, wie genial der seine Bahnen zieht und punktgenau auf der Kante einer Dachrinne landet, sieht man, wie gut Fliegen sein kann. Der Mensch hat sich das mühsam angeeignet. Es ist eine angenehm komplexe Angelegenheit, die immer eine Herausforderung ist. Mich fasziniert’s noch immer, wenn ich vor dem Flugzeug stehe, das doch sehr groß ist. Dann denk ich mir: Das heben wir jetzt hier weg, und in elf Stunden setzen wir es in Shanghai in dunkler Nacht wieder auf und sind über Gebiete geflogen wie das Dach der Welt, die Wüste Gobi und so weiter. Dann gehst ins Hotel und denkst: toll, schön! Wirklich faszinierend.

Sie haben sich Ihre letzte Moderation 2004 nicht überlegt. Haben Sie heute Ihre ersten Worte geplant?
Raithofer: Ich hab mir noch nie eine Moderation überlegt. Ich habe es nicht übers Herz gebracht. Ich schaff es nicht, mir auch nur einen Satz aufzuschreiben, weil ich mir denk, dann fällt mir vielleicht noch etwas Besseres ein. Ich kann es nicht.
Kratky: Das hab ich von ihm übernommen. Das geht zu 50 Prozent auch gut (lacht).

Die beiden ziehen von dannen. Das Wort "Sendungsvorbereitung“ fällt. Sie meinen das Raucherkammerl, aus dem sie vier Minuten vor Sendungsbeginn plaudernd ins Studio schlendern.

Robert Kratky, ist es irgendwie doch eine Genugtuung, wenn man seinerzeit jahrelang der Ersatzmann war, den Wochenenddienst geschoben und Hary Kaffee gebracht hat, den ehemaligen Lehrer überholt zu haben?
Kratky: Nein. Ich bewundere den Hary. Wir machen alle unsere Berufe. Ich fand es wahnsinnig respekteinflößend, dass er heute eine Triple Seven fliegt, sie sicher startet und landet und die Verantwortung für das Leben der Passagiere hat. Als Hary sich dafür entschieden hat, war ich der, der nachgerückt ist, und Hary war der, der sich in Gelassenheit geübt hat. Den "Ö3 Wecker“ zu moderieren, ist für mich bis heute eine Ehre.

Weil einem täglich ein Millionenpublikum zuhört?
Das ist eine Einladung von Menschen, denen du nie begegnen wirst, in ihr Leben, in ihr Zuhause. Auch wenn’s nur im Hintergrund oder nebenbei passiert. Weil du ihnen etwas bringen kannst, was sie sich wünschen: Musik, Information, oft auch gute Laune. Wenn du’s lang genug machst, gehörst vielleicht irgendwann einmal zum Inventar. Und das ist eine Ehre. Das ist ein Antrieb, der Spaß und die Erfüllung beim Senden.

Ö3-Mikromann Tom Walek kommt ins Studio, um sich ein Selfie mit Raithofer abzuholen. Vor 17 Jahren war Walek Kellner im Cafe Blaustern und ist direkt von seiner Nachtschicht zum Frühdienst des Samstagweckers gekommen, um in der Programmgestaltung zu werken und gleich weiter Kaffee zu machen. Raithofer nimmt einen Schluck von seinem Espresso, Kratky performt zu Queen.

© Ricardo Herrgott News Tom Walek wandert ins Studio und plaudert mit Kratkys Vorgänger Hary Raithofer
© Ricardo Herrgott News Ö3-Callboy Gernot Kulis und Redakteur Georg Urbanitsch

Wann sind heute leichte Anflüge von Sentimentalität bei Ihnen aufgetreten?
Raithofer: Sentimental bin ich nicht geworden. Es hat mir einen Riesenspaß gemacht.

Waren Sie bei den Ausflügen in alte Comedyformate wehmütig?
Kratky: Null. Ich war wahnsinnig froh, als ich aufgehört habe, Oma Raithofer und Opa Kratky zu sprechen, denn das hat meine Stimme komplett ruiniert. Der Vignettenman war damals ein Riesenhit, aber ich hatte Angst, dass ich eventuell so ein ähnliches Schicksal hab wie Enrico, der Clown. Heinz Zuber ist ein hervorragender Schauspieler, aber jeder kennt ihn als Enrico. Ich wollte nicht als Vignettenman in die Annalen eingehen. Heute gibt’s weitaus Lustigeres, damals war’s State of the Art.

Hat es einmal Brösel mit einem Senderchef gegeben?
Kratky: Der damalige Chef von Ö3 hat sowohl bei den Comedy-Formaten Vignettenman als auch bei Oma Raithofer und Opa Kratky zu mir gesagt, wenn das noch einmal läuft, haut er uns auße. Obwohl das neben Professor Kaiser, dem Callboy und dem Mikromann zwei der erfolgreichsten Comedy-Serien waren.

Sie haben auf Sendung gerade die wilden, alten Zeiten angesprochen. Was war wild?
Kratky: Wir haben viel gearbeitet - auch mal sieben Tage die Woche -, aber auch die Nächte durchgefeiert und im Anschluss daran den "Ö3 Wecker“ auf die Beine gestellt. Einen Abend hab ich mit Falco durchgemacht. Ich hab ihn in einer Videothek getroffen, und er hat mich zu dem Horrorfilm befragt, den ich ausgeliehen habe. Dann haben wir im Lokal daneben den ganzen Abend getrunken. Ich ein bissel weniger, weil ich konnte mir nichts leisten und wusste nicht, ob er mich einladen würde (lacht).

Wie hat sich der Job des Moderators in den letzten Jahren verändert?
Raithofer scherzt: Die Webcam im Studio find ich recht lustig, weil man sich selbst zeitverzögert sieht. Das hat für mich eine gewisse Anziehungskraft. Da würd ich mich deppat spielen damit.

Robert Kratky hat Sie heute als seinen ehemaligen Lehrer vorgestellt. Was haben Sie ihm beigebracht?
Raithofer: Wir haben gemeinsam gearbeitet. Da profitiert man automatisch voneinander. Das mit dem Lehrer würde ich nicht unterschreiben. Es findet ja eine kreative Befruchtung statt. Darum geht’s.

Die Rutsche zur Befruchtung haben Sie mir gelegt: Kratky meinte einmal, alles was er über Frauen weiß, hat er von Ihnen gelernt.
Raithofer: Die Frage ist, soll ich das als Kompliment nehmen oder nicht.

Kommt darauf an, wie es Kratky mit den Frauen geht.
Raithofer: Es geht ihm gut. Wir haben uns gestern im Kaffeehaus getroffen und lange darüber geredet. Ich denke, er ist auf einem guten Weg.

Ein Großteil der Belegschaft findet sich für die top drei der 1.000 prägendsten Songs der Ö3-Hörrerschaft und die Schlussworte von Kratky und Raithofer im Studio ein. Um 12:17 knallen die Korken, um 12:21 heißt es "Wir haben keine Gläser mehr.“ Macht nix. Dafür haben sie ja die Hits.

© Ricardo Herrgott News "Wecker"-Teamleitung Christian Gartner (li.), ein Anwärter auf den Smile-Award

Was steht nach der Sendung am Programm?
Raithofer: Ich fliege als erster Offizier mit der Triple Seven nach Peking. Auf eine Ente.