Die wahren Feinde des Papstes

Seine Gegner glauben, dass sie die Kirche vor ihm schützen müssen. Die komplette Kurie arbeitet gegen Papst Franziskus. Wer seine Gegner sind und wie weit sie gehen, analysiert Vatikan-Experte Andreas Englisch in "Der Pakt gegen Papst". Im Gespräch mit News erklärt er, wie die Glaubenskongregation dem Papst schaden wollte, eine Kirchenspaltung provozierte und was wirklich hinter dem Verbot der Segnung homosexueller Paare steht.

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Kalter Krieg im Vatikan - Die wahren Feinde des Papstes

Von Osterfrieden ist in diesen Tagen keine Rede im Vatikan. Der Kirchenstaat sei Schauplatz eines kalten Kriegs, schreibtPapst-Experte Andreas Englisch in seinem Buch, "Der Pakt gegen Papst", das bei C. Bertelsmann erschienen ist.

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Konservative werfen Papst Franziskus vor, dass er der Kirche mit seinen Reformen schadet, und wollen ihn zum Rücktritt zwingen. Vor wenigen Wochen brachte Franziskus dann auch seine Anhänger gegen ihn auf: Er unterstützte das Verbot der Glaubenskongregation, homosexuelle Paar zu segnen. Tausende Priester und Bischöfe weltweit kündigten an, dieses Verbot zu ignorieren. Dompfarrer Toni Faber sagte bereits in der Vorwoche im Interview mit News, dass er seine Segnungen weiterhin vornehmen werde. Kardinal Schönborn sprach von einem Kommunikationsfehler.

News erreichte Andreas Englisch in Rom zum Gespräch über die aktuelle Lage und die wahren Feinde von Papst Franziskus.

Herr Englisch, wie stark sind die Gegner von Papst Franziskus? Können sie ihn zum Rücktritt zwingen?
Es gibt durchaus Leute, die sich das vorstellen. Das Schlimme ist, dass Franziskus' Gegner der Meinung sind, dass sie Gott auf ihrer Seite haben. Sie glauben, dass sie die Kirche vor diesem Papst schützen müssen, dass sie im Namen von Jesus gegen diesen Papst vorgehen müssen. Man weiß nicht, wie weit die gehen werden. In diesen Wochen erleben wir einen sensationellen Kampf zwischen dem Papst und seinen Gegnern.

Gibt er nicht schon nach? Dem Verbot, homosexuelle Paare zu segnen, das die Glaubenskongregation herausgebracht hat, stimmte er zu. Und das, obwohl er der erste Papst war, der die Kirche aufgefordert hat, sich bei diesen Menschen für Diskriminierungen zu entschuldigen.
Ich habe mir gesagt: Das passt doch nicht zusammen. Wieso schwenkt der Papst auf die Linie der Leute ein, die er gefeuert hat? Was ist, wenn das alles ganz anders war? Denn ausgerechnet der ehemalige Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, den der Papst aus dem Amt gejagt hat, feierte diese Entscheidung euphorisch. Was ist, wenn die Konservativen zu ihm gekommen waren und sagten: Wir wollen draufhauen. Keine Segnungen mehr gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Was ist, wenn der Papst gedacht hat: Lass sie doch, ich unterschreibe das nicht, aber ich stoppe sie auch nicht, denn das wird zu der größten Solidaritätsbekundung von Priestern mit Homosexuellen auf der ganzen Welt führen? Die Konservativen werden mit diesem Verbot eine sensationelle Niederlage einfahren, und genau so ist es gekommen. Selbst Priester, die vorher unentschlossen waren, stellen sich jetzt massenweise auf die Seite Homosexueller. Paul VI. hat einen ähnlichen Fehler gemacht wie die Glaubenskongregation jetzt. Er nannte die Antibabypille und andere Verhütungsmittel Teufelszeug, aber keiner hat sich daran gehalten, nicht einmal die erzkatholischen Frauen. Jetzt werden die Priester weiter alle segnen.

Hätte das denn nicht auch die Glaubenskongregation wissen können?
An der Spitze der Kirche glaubten viele, dass eine Kirchenspaltung, ein Schisma, kommen würde. Es schien möglich, dass die Kirche sich in eine aufgeschlossene, ehemals katholische Kirche aufspalten würde, die zulässt, dass homosexuelle Lebenspaare gesegnet werden, und in eine konservative katholische Kirche, die an dem Verbot festhält. Aber es sind mittlerweile so viele, die sich gegen die Glaubenskongregation gestellt haben, dass ich denke, dass die Konservativen sich nicht mehr trauen werden, ein Schisma zu verlangen.

»Das ist alles nicht sauber, was da gelaufen ist.«

Sie schreiben von einer "Schwulen-Lobby" im Vatikan, die gegen den Papst vorgeht. Sollten die nicht froh sein, dass er Homosexuelle akzeptiert?
Die hassen sich doch für ihre Neigung. Sie leben das in einem Graubereich aus, und gleichzeitig verfolgen sie Homosexuelle. Dann kommt der Papst und sagt: "Jetzt reden wir darüber." Dass das Ärger geben würde, war klar. Und alle, gegen die sich der Papst lange gewehrt hat, haben den jetzt irgendwie in der Hand.

Das ist alles nicht sauber, was da gelaufen ist. Und im deutschsprachigen Raum brodelt es ohne Ende, und die Deutschen sind prädestiniert, antipäpstlich zu sein.

Zumindest seit Joseph Ratzinger nicht mehr im Amt ist.
Solange Benedikt noch am Leben ist, könnte man ihn so weit drängen, dass er sagt, dass Franziskus kein legitimer Papst sei. Das wäre so eine Situation, wie wir sie schon einmal hatten, dass ein Papst den anderen exkommunizieren könnte.

Der Schriftsteller Anthony McCarten behauptet, dass Ratzinger wollte, dass Bergoglio sein Nachfolger wird. Das zeigt er auch im Film "Zwei Päpste". Da schauen die beiden gemeinsam Fußball und essen Pizza.
Das ist völliger Unsinn. Alles, was da gezeigt wird, die große Liebe zwischen diesen beiden Päpsten, ist totaler Quatsch. Die beiden hassen einander heiß und innig, und zwar seit weit über 20 Jahren. Ratzinger war als Chef der Glaubenskongregation während des Pontifikats Johannes Pauls II. dafür verantwortlich, die Mitglieder der Befreiungstheologie fertig zu machen. Er flog immer wieder nach Südamerika und hat Mitglieder dieser Bewegung exkommuniziert. Und zu dieser Gruppe von Priestern, die gegen Rom rebellierten, gehörte auch Bergoglio.

Franziskus hat auch Ernesto Cardenal posthum rehabilitiert.
Das war wie eine Ohrfeige für die Polen, die haben durchgedreht. Doch er hatte recht, Cardenal ist völlig zu Unrecht aus der Kirche verbannt worden. Benedikt hat sich geweigert, ihn zu rehabilitieren, obwohl Cardenal schon lange kein Politiker mehr war. Da versteht man das Verhältnis zwischen Bergoglio und Ratzinger. Dass die einander nie nicht mochten, das pfeifen die Spatzen vom Dach. Es hat auch nicht lange gedauert, bis es zum großen Krach kam. Schon nach ein paar Monaten war klar, dass die beiden überhaupt nicht miteinander können. Der Fall Tebartz-van Elst hat das dann ganz offengelegt.

» Aus der Ecke von Ratzinger kam dann eine Attacke nach der anderen.«

Meinen Sie den Bischof von Limburg, der Millionen für seinen privaten Luxus ausgegeben hat?
Genau. Ratzinger hat ihm versprochen, mit Bergoglio zu reden, damit er im Amt bleibt. Aber der dachte gar nicht daran. Seither gibt es ständig Krach. Aus der Ecke von Ratzinger kam dann eine Attacke nach der anderen. Zum Beispiel, dass Bergoglio als Theologe eine Null ist, dass er als Papst versagt hat, dass er politisch ist, dass er überhaupt kein Kirchenmann ist. Das nahm überhaupt kein Ende. Aber dass es wegen der revolutionären Schritte von Franziskus bei den Konservativen Ärger geben würden, war von der ersten Sekunde an klar. Da stellt sich einer auf den Balkon des Petersdoms, legt die Stola nicht um und sagt: "Jetzt sollen diese Menschen zuerst mich segnen, bevor ich sie segne." Als ich mit den Recherchen für dieses Buch begonnen habe, wurde mir klar, wie ernst die Lage wirklich ist. Ich sagte, Jungs, da droht eine Kirchenspaltung wie bei Martin Luther. Darüber haben alle gelacht. Dann fragte ich Papst Franziskus, ob er eine Kirchenspaltung für möglich hält? Er sagte: "Ja. Lass sie doch reden, mir ist das egal. Ich habe keine Angst davor. Ich lasse mich nicht bedrohen."

Jetzt kürzte er auch noch die Gehälter der Kardinäle.
Der springende Punkt ist, dass er die Gehälter der Mitarbeiter im Vatikan, die keine Priester sind, nicht gekürzt hat. Es geht überhaupt nicht ums Geld. Es geht darum, dass er den Priestern sagen will: Ihr müsst endlich aufhören, euch für etwas Besseres zu halten. Hört auf, im Vatikan herumzustolzieren, als wäret ihr die hohen Herren. Das seid ihr nicht. Ihr seid die Diener der Menschen, nicht die Richter ihrer Sünden. Dass die Konservativen das ablehnen würden, war klar. Und jetzt hat er auch noch diese Enzyklika "Fratelli tutti" herausgegeben. Da zieht er offen gegen den Kapitalismus los.

Sein stärkster Kampf ist aber der gegen Kinderschänder in der Kirche.
Eigentlich müsste man sagen, da hat jetzt endlich einer durchgegriffen. Papst Franziskus machte damit Schluss, er sagte, das sind Verbrecher, ihr habt keine Privilegien. Priester sind per se keine besseren Menschen, und wenn sie sich an Kindern vergehen, sind sie Verbrecher. So viel ist aufgedeckt worden, so viele sind im Gefängnis gelandet. Er hatte den Mut, zu sagen, dass das daher kommt, weil wir Männer zwingen, enthaltsam zu leben, und wenn Sie einen Mann zur Enthaltsamkeit zwingen, kann das schiefgehen. Er weiß, wie wichtig eine Partnerschaft für Menschen ist und wie einsam Menschen sind, denen das verboten wird. In seinen Audienzen gibt er auch Ehetipps. Er sagt zum Beispiel, dass Paare nicht im Streit schlafen gehen, sondern sich vorher versöhnen sollen.

Schafft er das Zölibat ab?
Er denkt zumindest darüber nach. Das weiß ich. Aber wenn er das tut, ist die Spaltung der Kirche da. Wenn er diesen Schritt geht, dann knallt es.

»Die Doktrin behauptete, der Papst ist von Gott gemacht. Franziskus machte damit Schluss.«

Ist Papst Franziskus ein revolutionärer Kämpfer oder ein kühl kalkulierender Stratege?
Da steckt eine ganz klare Strategie dahinter. Bergoglio ist ausgebildeter Jesuit, da ist nichts zufällig. Er wusste, dass es verboten war, seine Vorgänger zu kritisieren. Der Papst muss immer sagen: "mein heiliger Vorgänger". Das war immer so. Die Doktrin behauptete, der Papst ist von Gott gemacht. Franziskus machte damit Schluss.

Er ist ja auch dafür, dass Geschiedene zur Kommunion dürfen?
Das zeigt den Unterschied zu Ratzinger. Der hat sein Leben lang dafür gekämpft, dass wiederverheiratete Geschiedene von den Sakramenten ausgeschlossen bleiben, und zwar ganz brutal, ganz heftig. Einmal kam ein kleines Kind zu Ratzinger und fragte ihn, ob es stimmt, dass seine Mutter nicht mehr zur Kommunion gehen darf, weil sie geschieden ist. Ratzinger sagte dem Kind, das sei so nicht richtig, denn sie darf überhaupt keine Sakramente mehr empfangen. Bergoglio hält das für mittelalterlichen Quatsch. Als er das durchgesetzt hatte, ging der Krieg mit Ratzinger richtig los, in einem Ausmaß, das ich mir niemals hätte vorstellen können. Kein Mensch hätte eine solche Rebellion gegen Woytila gewagt, obwohl die Situation damals auch angespannt war. Und schon gar nicht gegen Benedikt XVI. Immer mehr Priester lassen im Hochgebet in den Gottesdiensten die Zeile aus, in der für den Papst gebetet wird. Dass das ganze Establishment, die komplette Kurie, gegen einen Papst arbeitet, ist unglaublich.

Wie lange kann er das durchhalten?
Ich habe ein paar Mal mit ihm darüber gesprochen. Er weiß ganz genau, wie stark der Widerstand gegen ihn ist. Er macht aber immer weiter.

Dabei nimmt er auch Risiken in Kauf wie die Reise in den Irak. Sie waren dabei.
Diese Reise war eine Heldentat. Das war die gefährlichste Papstreise, die es je gegeben hat. Zwei Wochen vor unserer Ankunft gab es einen Raketenangriff, nur vier Kilometer von dem Stadion entfernt, wo der Papst seine Messe feierte. Mein Sohn ist mit einem Iraker befreundet, und mit dessen Onkel, einem General in Kurdistan, habe ich vor dem Abflug telefoniert. Bei einem Bombenangriff würden wir nicht mehr lebend aus dem Stadion herauskommen. Und die zweite Gefahr war das Virus. Der Papst fuhr trotzdem und las die Messe, zwar nicht vor 50.000, sondern nur vor 10.000 im Stadion unter freiem Himmel. Aber er wollte das für die Christen tun, die im Irak unter erbärmlichsten Umständen leben. Er konnte diese nicht besuchen, er traf nur eine Abordnung und sprach mit Politikern. Aber diese Reise war so spektakulär. Er konnte damit erreichen, dass die Regierung versuchen wird, die schlimmsten Attacken auf Christen zu verhindern. Er wusste, dass er diese Reise jetzt machen musste, denn ein Jahr später wäre er gesundheitlich nicht mehr dazu in der Lage.

»Dieser Mann wird 84, jeder Schritt schmerzt ihn, er hat nur eine Lunge und weigert sich, eine Maske zu tragen.«

Wie geht es ihm wirklich?
Ich kann Ihnen auch nur die Fakten sagen, dieser Mann wird 84, jeder Schritt schmerzt ihn, er hat nur eine Lunge und weigert sich, eine Maske zu tragen.

Noch immer?
Nur dann, wenn er meint, dass er andere schützen muss. Wie gefährlich das ist, hat man bei den Audienzen gesehen. Einmal gab einen positiven Fall unter den Leuten. Und der Papst hatte keine Maske auf. Er hat sich nicht angesteckt, aber elf Schweizer Gardisten sind positiv. Die spielen da wirklich mit dem Feuer. Auch einer der Mitbewohner des Gästehauses, in dem der Papst wohnt, war infiziert. Er lebt unglaublich gefährlich, aber er sagt: "Ich bin in Gottes Hand." Zu Beginn der Pandemie haben sich alle im Vatikan in ihre Wohnungen eingeschlossen. Der Papst fand das lächerlich, er sagte: "Wir sind Männer Gottes und müssen das auch zeigen."

Viele regten sich darüber auf, dass er ausgerechnet mit dem Pestkreuz den Segen auf dem Petersplatz gab.
Das war der Hammer. Das Kreuz war nachher schwer beschädigt, aber es wurde repariert. Ich dachte immer, wir können alle nicht mit dem Begriff der Corona-Epidemie umgehen, aber die Kirche hat uns das klargemacht. Es hat Pestepidemien in der Geschichte gegeben. Kriege und Völkerwanderungen, aber das Osterfest ist immer gefeiert worden. Das erste Mal, dass es nicht gefeiert werden konnte, das war 2020. Welche historische Dimension wir da erleben, wurde mir erst klar, als der Papst seinen Urbi-et-Orbi-Segen ganz allein auf dem Petersplatz spendete.

Hat ihm das genützt?
Sehr. Denn ausgerechnet die konservative Seite sagte, endlich kommt einmal ein Papst und ruft die Hilfe Gottes an.

Als er die Priester aufforderte, sich an die Corona-Maßnahmen zu halten, war das aber vielen egal. Sie öffneten die Kirchen.
Genau das Gleiche passiert auch in diesem Jahr. Der Papst hatte am 17. Februar bereits angeordnet, dass die Covid-Regelung des vergangenen Jahres gilt, dass es also in Ländern, die das Zusammenkommen von Menschen beschränken, keine Gottesdienste mit der Beteiligung der Gläubigen geben darf. Er will um jeden Preis verhindern, dass sich Menschen in Gottesdiensten anstecken. Aber auch in diesem Jahr zu Ostern werden Zehntausende Priester diese Anordnung des Papstes übertreten. Das zeigt die Größe dieses Widerstands gegen ihn. Die Priester verabreden sich übers Internet mit den Gläubigen, das sind nicht zwei, drei, sondern weltweit sogar Tausende.

Wird er zurücktreten, wenn er sich für das Amt zu schwach fühlt?
Ich glaube, er hält das durch, solange er kann. Er denkt auch nicht im Traum daran, zurückzustecken, und für zwei zurückgetretene Päpste wäre der Vatikan zu klein.