Höllisch verliebt

Als Teenager ist man im siebenten Himmel der Verliebtheit. Und kann aber höllische Liebesentzugsqualen leiden. Warum sich gerade in der Jugend die Liebe wie eine Höllenfahrt anfühlen kann, wollen wir uns genauer ansehen.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Wir alle haben einmal zu sehr geliebt, oder? Sie haben das sicher auch schon einmal so empfunden. Auch mich betraf dieser Satz, da ich mit sechzehn tatsächlich auf John aus Kalifornien „hereinfiel“. Was für ihn ein Urlaubsflirt war, war für mich Liebe. Ich Schülerin, er Student und eigentlich ja schon vergeben. Was für ihn in Österreich anscheinend gar kein Hindernis war: Sprachstudent John drehte das in seinem Zimmer aufgestellt gewesene Foto seiner Freundin einfach mit der Vorderseite nach unten ins Regal. Ganz typisch für die Verliebtheit, man deutet alles zu seinen Gunsten und hat die rosarote Brille auf.

Und hier noch mehr Vorzeichen höllischer Liebesqual, die grundsätzlich in jedem Lebensalter „droht“, wann immer große Gefühle und Erwartungen entstanden sind:

1. Idealisierung. Alles, was John tat, war heilig. Ich verlor jedwede Differenziertheit und Kritikfähigkeit in seiner Nähe: Er war der schönste, beste und tugendhafteste Mensch. Sogar die Härchen auf seiner Nasenspitze kamen bei mir gut an, einfach nur entzückend, und den Akt des umgedrehten Bildes seiner Freundin missdeutete ich als edelmütiges emotionales Bekenntnis zu mir und nicht als manipulatives Blendwerk.

2. Liebespsychose. Der Psychiater Hans Georg Zapotoczky meinte einmal treffend, die Liebe sei eine Psychose. Die ersten Lieben besonders. Ich sah überall Männer wie John und Spuren von oder Hinweise auf John. Die Wahrnehmung war selektiv auf ihn ausgerichtet und fixiert.

3. Sinnestäuschungen. Die Hoffnung auf die Liebe meines Lebens war zwar irrational, aber umso widerstandsfähiger. Selbst als Johns Abreisetermin nahte, war ich noch immer hoffnungsvoll, er werde sich hollywoodreif in letzter Sekunde ument scheiden und für die große Liebe – also uns – entscheiden. Stattdessen ließ er mich nach einer Umarmung am Hauptbahnhof los und winkte aus dem Eisenbahnwaggon.

4. Erinnerung mit Tiefgang. Wie er am Vorabend seiner Abreise, an Romantik nicht zu überbieten, aber vermutlich einfach nur so in einem Lokal Klavier spielte, gravierte sich als verschlüsselter romantischer Liebesbeweis tief in mein Herz. Dennoch hielt ich bis zuletzt an der Vision fest, kraft unserer Gefühle könne er nicht weggehen.

Glauben Sie mir, der Entzugsschmerz der Liebe ist durchaus nicht nur psychisch, sondern auch körperlich. Du bist wie im Fegefeuer und erfrierst fast vor innerem Schmerz. Mindestens ein Jahr heulte ich mich, in ein von John geschenktes T-Shirt mit dem Logo seiner Countryband geschmiegt, allabendlich in den Schlaf.

Wenn ich ihn jetzt in den sozialen Medien sehe, erkenne ich mit meinem Wissen von heute die große Liebe nicht wieder. Lust und Leidenschaft sind später nicht mehr so ungezügelt und grenzenlos, weil uns die Resilienz als Fähigkeit, mit Veränderung klarzukommen, vor den schlimmsten Höllenqualen bewahrt.

Aber warum lieben wir denn in der Jugend noch kompromisslos bis zur Hölle und hoffentlich wieder zurück? Die Idealisierung ist noch grenzenlos und ebenso ist die Erwartungshaltung. Als gäbe es nur das Hier und Jetzt und die eine wahrhaftige Liebe. Doch nur wer ein realistisches Bild von einem Menschen hat, kann auch wirklich erkennen, ob es Liebe ist.

Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis <AT> wogrollymonika.at