Fabio Wibmer: Mit Bike-Videos wurde der Extremsportler zum YouTube-Milliardär

Seine spektakulären Bike-Videos machten Extremsportler Fabio Wibmer zum YouTube-Milliardär mit Wohnsitz in Monaco. Nach zwei argen Verletzungen nennt der Osttiroler seinen größten Erfolg "die Freiheit, radlfahren zu können, wann immer es mir Spaß macht"

von Fabio Wibmer © Bild: Ricardo Herrgott/News

Steckbrief Fabio Wibmer

  • Name: Fabio Wibmer
  • Spitzname: Whipmer / Flipmer
  • Geboren am: 30. Juni 1995 in Oberpeischlach, Osttirol
  • Alter: 28 Jahre
  • Größe: 1,9 m
  • Sternzeichen: Krebs
  • Wohnt in: Monaco
  • Ausbildung: Sportmanagementstudium (nicht beendet)
  • Beruf: Mountainbike- und Trialfahrer, Webvideoproduzent
  • Aktuelle Teams: Red Bull GmbH, Canyon Bicycles
  • Disziplin: Trial, Downhill, Freeriding
  • Geschwister: Florian Wibmer
  • Beziehungsstatus: liiert mit Martha Liversedge
  • Filme: Bis zum Limit: Fabio Wibmer (2019)

Nichts hat sich geändert, und doch ist alles anders. Am liebsten mag Fabio Wibmer noch immer den Moment des Tages, an dem er die Kopfhörer ins Ohr stöpselt und sich aufs Rad setzt. Einfach so, ohne großes Ziel vor Augen oder Trainingsanspruch im Nacken. Der 26-Jährige, der sein Zweirad-Talent in atemberaubend kreative Videos gießt, fährt auch abseits des Jobs noch immer gern Rad. Mit Linkin Park oder Offspring im Ohr wird er eins mit dem Bike, der Natur und sich. Er erzählt vom Glück, das sich einstellt, wenn er an gar nichts mehr denkt und sich einfach nur frei fühlt. "Das mag ich am liebsten, weil es vom Gefühl her genauso ist wie damals als Bub im Dorf. So bin ich aufgewachsen. Bei uns hat es sonst nicht viel gegeben", erzählt er.

Wir treffen ihn kurz nach seinem Stunt auf dem Wiener Riesenrad in einer Halle in der Nähe von Wien, von wo aus der Versand seiner Lifestylemarke "Sick!" organisiert wird. Hunderte Kartons mit T-Shirts, Hoodies, Kappen und weiteren Produkten wie Socken und Badeschlapfen zeugen von reger Nachfrage. Daneben betreibt Wibmer das Streetwear-Label "Nineyard". Sieben Millionen Abonnenten seines YouTube-Kanals kleiden sich gern à la Fabio ein. Dies alles gehört zu den Dingen, die in Wibmers Leben heute anders sind.

Die Lust am Radfahren, die in den Osttiroler Bergen geprägt wurde, ist das Unveränderte. Im heimatlichen 100-Seelen-Dorf Oberpeischlach, zehn Kilometer von Kals am Großglockner entfernt, war es oft eine steife Brise, die ihn beim Radtraining begleitet hat. Seit dem Umzug nach Monaco im vergangenen Herbst umfängt den blonden 1,88-Meter-Mann eine salzige Meeresbrise, wenn er sich in den Sattel schwingt.

Über 600 Versuche? Kein Problem

Es klingt nicht nach Es-geschafft-Haben und Statussymbolik, wenn Wibmer vom neuen Wohnsitz spricht. Er erzählt pragmatisch, bodenständig vom Winter, den er im Süden besser zum Radfahren nutzen kann. Im Sommer ist er ohnehin ständig zum Videodrehen verreist. Er beschreibt auch das gute Gefühl, wieder unerkannt seine Bike-Runden drehen zu können. Am vorigen Wohnort in Innsbruck war das aufgrund der Fan-Dichte unmöglich geworden. Eine Familie nahm gar eine sechsstündige Autofahrt zum Idol auf sich und wartete vier Stunden lang vor der Wohnungstür, um den Vergötterten zu treffen.

Fabio Wibmer
© Ricardo Herrgott/News

Der Trubel um seine Person ist das Ergebnis unzähliger Videos, die Fabio Wibmers Kunst als Mountainbiker und Bike-Trial-Fahrer spektakulär in Szene setzen. Seine Tricks und Lines an visuell opulenten Orten wie Paris, Lyon, den Maltakraftwerken, den Dolomiten, Salzburg oder Israel faszinieren seine Fans. Neben dem sportlichen Können tragen Wibmers kreative Storys zum Erfolg bei. Er zeigt nicht nur Rad-Stunts, sondern verfilmt auch Verfolgungsjagden, urbanes Leben oder - wie im letzten Video "Home Office" - den Alltag eines im Lockdown zu Hause eingesperrten Extremsportlers. Per Bike erledigt Wibmer in "Home Office" den Haushalt, räumt die Waschmaschine ein, spielt Basketball und Darts - alles mit dem Vorder- bzw. Hinterrad. Bis der Ball per Rad ins Netz ging, brauchte es 601 Versuche. Dafür schaffte der witzige Clip auf YouTube 32 Millionen Aufrufe. Ein satter Lohn für Wibmers Ehrgeiz, immer das beste Ergebnis anzustreben.

Aber wie geht das? Wie bleibt man nach 600 Versuchen motiviert? "Es ist so", sagt Wibmer und lächelt: "Ich fange an, zu probieren. Nach 20 oder 30 Mal geht der Dartpfeil einmal in die richtige Richtung. Dann denke ich, wenn er in diese Richtung geht, besteht die Möglichkeit, dass er auch in die Dartscheibe geht." Hat er dies erst gedacht, probiert er so lange, bis es klappt. Beim Dart-Trick reichten übrigens 430 Versuche.

Ehrgeiz ist Fabio Wibmers Verbündeter

Seiner Akribie, gepaart mit dem sportlichen Können, verdankt Fabio Wibmer mehr als eine Milliarde Aufrufe auf YouTube. Der Klassiker "Wibmers Law" brachte es in zweieinhalb Jahren auf 222 Millionen. "Der Erfolg wächst mit einem mit. Irgendwie gewöhnt man sich daran, gleichzeitig denke ich noch oft: Wie cool, dass ich mit dem Radlfahren so viele Leute erreiche. Mit etwas, das in einem kleinen Dorf angefangen hat", beschreibt Wibmer sein Verhältnis zur Bekanntheit als Erfolgsmerkmal. Für ihn habe sich nicht viel geändert: "Ich bin der Gleiche geblieben. Zumindest fühlt es sich für mich so an."

»Wie cool, dass ich mit dem Radlfahren so viele Leute erreiche. Mit etwas, das in einem kleinen Dorf begonnen hat«

Am Beginn stand der unerfüllte Bubentraum von Wibmers Vater: Fabio war sechs Jahre alt, als der Papa beiden Söhnen Motocross-Maschinen schenkte. Nach der Schule damit unterwegs zu sein, war auf Grund des Widerstands von Waldbesitzern und Jägern schwierig. Andere Sportarten auch. "Das war eine brutale Hanglage daheim. Beim Fußballspielen war nach spätestens 20 Minuten der Ball weg. Auf einen neuen Ball haben wir vier Wochen gewartet", erinnert sich Wibmer.

Den Plan ändern, wenn nötig

Motocross-Training war nur am Wochenende auf speziellen Strecken nach zweistündiger Anfahrt möglich. "Das Radlfahren daheim war dem Üben am nächsten. Wir haben aus Erde Sprungschanzen gebaut und Rennen veranstaltet", so Wibmer. Nur das Rad war rund um die Uhr und überall nutzbar.

Weil er Perfektionist ist, wurden ihm die Grenzen des Motorsports bald bewusst. "Wenn ich zu Hause nicht täglich Motocross trainieren kann, werde ich mich in dem Sport nicht so entwickeln, wie es meinem Potenzial entspricht", so die Überlegung des Sportlers. "Beim Biken war das aber möglich."

Zudem bot das "Radl" eine besondere Freiheit. "Da hat mir nie jemand reingeredet. Beim Motocross waren immer Leute mit Tipps da. Zur besseren Ausrüstung.

Zur besseren Linie. Am Radl bin nur ich. Und meine Ideen." Dass der Teenager seine Tricks und Lines irgendwann auf Film festhielt, wie viele das tun, war nur eine Frage der Zeit. So weit, so unspektakulär. Wäre da nicht Wibmers Ehrgeiz.

Als die Tür aufging, war Fabio Wibmer bereit

Wibmers Leidenschaft wurde durch ein Video des zehn Jahre älteren Bike-Trial-Profis Danny MacAskill ("Inspired Bicycles") entfacht. Wibmer war 14 Jahre alt, Talent und Fitness waren ausgebildet. Er war bereit. "Es war das erste Mal, dass jemand das Biken neu definiert hat. Damals habe ich gewusst, das will ich machen."

Von da an saß er "jeden Tag nach der Schule zwei, drei, vier Stunden am Radl", um so gut zu werden wie das Idol. Drei Jahre später schaffte er es zum Workshop der Red Bull Wings Academy und traf dort sein Idol. Danny MacAskill war beeindruckt und teilte Wibmers Video "Street Trial 2012". Der Karriereturbo zündete. Tarek Rasouli, Bike-Manager der Sportmanagementagentur Rasoulution, nahm den Jungstar in sein Portfolio. Wibmer verfeinerte seine Bike-und Videoskills und gewann Wettbewerbe in beiden Disziplinen.

»Wir waren zur perfekten Zeit mit der richtigen Sportart am perfekten Ort«

Dass aus dem Hobby ein Beruf werden könnte, war trotzdem lange kein Thema. "Das war kein Ziel, weil es diesen Beruf ja gar nicht gegeben hat." Erst kurz vor der ersten magischen Million Abonnenten brach er mit 21 Jahren sein Sportmanagementstudium ab, um sich ganz der Bikewelt zu verschreiben: "Wir waren zur perfekten Zeit mit der richtigen Sportart am perfekten Ort."

In der Krise das Positive sehen

Zuletzt ließen zwei arge Verletzungen die Heldenreise des Bikestars zur Hollywood-Reife gedeihen. Einen Schlüsselbeinbruch 2017 hatte er gerade weggesteckt, da zerschmetterte er sich im Herbst 2020 bei einem Sturz mit der Motocross-Maschine den Knöchel. Knapp ein Jahr später, im Sommer 2021, stürzte er beim privaten Radfahren in der Tiroler Heimat, brach den lädierten Knöchel nochmals und zog sich einen Bänderriss in der Schulter zu.

Fabio Wibmer
© Ricardo Herrgott/News

Dennoch klingt es nicht dramatisch, wenn Wibmer heute, kaum ein Jahre später, davon erzählt. "Das war schon ein bissel blöd", sagt er. "Aber ich habe ja zum Glück auch viele andere Ideen, die mich davon abgelenkt haben, dass ich grad nicht radlfahren konnte. Ich schaue immer in die Zukunft und versuche, das Positive zu sehen. Die Situation hat auch einige Türen geöffnet." Der Sport habe mit der Ausdauer, die er einem abverlangt, diesen Optimismus in ihm geschult: "Wenn man sich auf die negativen Dinge konzentriert, kommt man nie weiter."

Stattdessen hat er die Unfälle analysiert. Er weiß, welche Fehler er künftig vermeidet. "Es waren nie riskante Tricks, bei denen ich mich verletzt habe, sondern immer bewährte Situationen. Ich war nur nicht hundertprozentig konzentriert. Das nehme als Lehre mit: Nur mit voller Konzentration aufs Radl oder gar nicht."

Freiheit ist Fabio Wibmer wichtiger als Geld

Seit zwei Jahren ist Fabio Wibmer, unterstützt von Manager Alex Schöll, nach der Trennung von der Agentur Rasoulution auch Herr über sein Markenimperium. Zu überblicken ist einiges. Neben seinen Fashionlabels sind da Sponsorenverträge mit Mercedes und Samsung, der Online-Fahrrad-Marktplatz Bikeflip und die Partnerschaft mit dem neuen Rad-Austatter Canyon. Ideen für neue Videos füllen unzählige Seiten in seinem Handy. Wibmer fühlt sich topfit und ist schon am Filmen. Es gilt, einen Ruf zu verteidigen.

Im Ranking der weltweit meistabonnierten YouTube-Kanäle im Bereich Sport liegt er deutlich vor dem Fußballclub Paris Saint German auf Platz 35. Aber einen Platz hinter dem FC Liverpool. Es gibt freilich Wichtigeres als solche Rankings. Das wird klar, wenn Fabio Wibmer Erfolg für sich definiert: "Erfolg ist, dass ich machen kann, was mir am meisten Spaß macht: Radlfahren. Diese Freiheit, dass ich mir den Tag einteilen kann, Videos drehen kann mit meinen Leuten, das ist Erfolg. Und wenn mir jemand erzählt, dass er wegen mir zum Radln angefangen hat und jetzt Backflips macht: Das ist Erfolg."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 20/2022 erschienen.