Thomas Spitzer -
Die neue Kraft der Vaterschaft

Das EAV-Mastermind beschreitet neue, alte Wege. Der ehemalige Kunststudent Thomas Spitzer feiert seine Malerei mit einer Ausstellung in Krems – und sein junges Glück: Mit 65 wird er zum zweiten Mal Vater

von EAV-Mastermind - Thomas Spitzer -
Die neue Kraft der Vaterschaft © Bild: Ricardo Herrgott

Den Drang zur ungeschönten Darstellung hat er nicht nur als Texter für die Band Erste Allgemeine Verunsicherung. Er kennzeichnet auch sein Schaffen als Maler. Ein Werk macht dies besonders deutlich: ein Selbstportrait, das Thomas Spitzer in den Armen seiner über alles geliebten Tochter Anna zeigt, schwer gezeichnet vom Leben, von Alkohol und Drogen. Ein Bild, das den Betrachter zu rühren vermag, gemalt Ende der 90er-Jahre, als Spitzers Leben nach dem Konkurs der EAV, gelinde gesagt, zerrüttet war. „Meine Tochter kennt das Bild gar nicht“, verrät er über das gemalte Liebesbekenntnis. Es sei ihm nicht gut genug gewesen, um es der Tochter zu zeigen, so die Erklärung. „Würde sie es sehen, hätte ich natürlich einen Pluspunkt bei ihr“, sagt er und legt sein Lebensversäumnis offen: die ständige Abwesenheit eines Vaters, der sein Fernsein bedauert.

Im schwermütigen Vater-Tochter-Bildnis schließen sich zwei Lebenskreise, die für den 65-Jährigen schon vor vier Jahrzehnten bedeutsam waren und nun wieder aufgenommen werden. Damals florierte die Karriere als Zeichner und Maler, damals wurde er erstmals Vater. Nun ist er abermals zu beglückwünschen: Seine erste umfassende Werkschau als bildender Künstler im Karikaturmuseum in Krems begeht er als werdender Vater.

Ein besserer Vater sein

Im Frühling wird es soweit sein, dass sein zweites Kind, ein Bub, das Licht der Welt erblickt. Kein optimales Timing, befindet Spitzer, der zu dem Zeitpunkt mit der EAV auf Abschiedstour sein wird. Man spürt, dass es ihm gut tun wird, wenn dieses ebenso erfreuliche wie fordernde Lebenskapitel als Band-Mastermind Ende August zu den Akten wandert. „Der Beruf ist mehr als familienfeindlich. Du kannst nicht 300 Tage im Jahr unterwegs sein und gleichzeitig ein Topvater“, bedauert Spitzer. „Meine Tochter Anna, die ich über alles liebe, hat deshalb viel vermisst.“

Während ihrer ersten drei Lebensjahre war er zwar ein engagierter „Stay at home“-Dad und wechselte brav die Windeln. Dann aber machte es der durchschlagende Erfolg der Band schwer, ein harmonisches Familienleben zu führen. Dass die Tochter ihm dennoch bescheinigte, ein besserer Vater als alle anderen ihr bekannten gewesen zu sein, wenn er denn da war, tröstet ihn kaum. „Den Fehler, nie da zu sein, mache ich sicher kein zweites Mal. Selbst wenn mein Kind mich statt Papa ein altes Fossil nennt“, sagt er.

Dass eine späte Vaterschaft zwar nicht ungewöhnlich ist, aber dennoch Fragen im Raum wachsen lässt, ist ihm bewusst. Doch so patent und selbstständig, wie er seine Lebensgefährtin Nora erlebe, mache er sich bezüglich seines Alters keine Sorgen. „Nora ist nicht von mir abhängig und kann ihr eigenes Geld verdienen. Ich werde als Vater sehr inkonsequent sein. Nachdem Nora so streng sein kann, wird sie meine Laschheit mühelos kompensieren. Ich freue mich auf ein Leben, in dem die Werteskala neu justiert wird. Der Bub wird mir als pubertierender Lauser erzählen, wie die Welt tickt! Okay!“ Und der Künstler weiß: „Ein guter Vater zu sein, heißt natürlich auch, seinen Egoismus zurückzunehmen. Das ist genau das, was mir noch fehlt zu einer abgerundeten Persönlichkeit.“

Den Rest erledigt Spitzers großes Herz. Das hat er vom Vater. Der war auch über 50 Jahre alt, als Spitzer zur Welt kam, und habe ihm immer das Gefühl gegeben, geliebt zu werden: „Ich habe nie etwas vermisst, emotional.“ Der Vater war es auch, der ungewollt das Talent des Buben als Zeichner beflügelte.

Das Verbot beflügelte

Fernsehen und Radio waren verboten im Spitzer’schen Haushalt. Einmal pro Woche gab es Edith Piaf und was dem Vater, einem Schriftsteller, sonst noch gefiel. Verpönt waren auch Comics wie „Tibor“, „Akim“ oder „Mickey Mouse“. „Deshalb bin ich mit den gesammelten Werken von Wilhelm Busch in meinem Zimmer gesessen. Dafür bin ich posthum dankbar, denn ich musste mir meine Comics selbst zeichnen“, erzählt der spätere Student an der Wiener Akademie für angewandte Kunst über seine künstlerische Prägung. Auch die Art seiner Reime, die sich nicht nur in Liedtexten, sondern auch auf seinen Zeichnungen wiederfinden, wurzle in dieser Wilhelm-Busch-Zeit, so Spitzer.

Kinderzeichnungen und Cowboy-Comics werden in der erstmaligen Werkschau „Rockomix ein Leben lang!“ in Krems auch gezeigt und zeugen von den ersten Schritten als Zeichner. Karikaturist war rasch der Berufswunsch. Erich Sokol und der „aufgehende Stern“ des Manfred Deix beflügelten den Plan. Zwei Ausstellungen 1976 und 1977 machten Lust auf mehr. Sein erstes Bild verkaufte Spitzer an die spätere STS-Größe Gert Steinbäcker. Der war damals Sänger in Spitzers lokal berühmt-berüchtigter Band Mephisto. „Dass einer, der nur eine Jeans besitzt, 500 Schilling für mein Bild zahlt, hat mich damals wirklich umgehaut“, so Spitzer. Die Karikatur zeigt einen Steirer im Lodengewand. Das fand Spitzer Mitte der 70er-Jahre karikierenswert.

Auch ein „Verarschungszyklus“ über die schöngeistig-intellektuellen Kommilitonen entstand damals. Unter dem Titel „Es ist so schön, nicht uniform zu sein“ zeichnete er mehrere Studenten, jeden mit Baskenmütze, Ledergilet und Gauloises-Zigarette. Die tiefe Freundschaft zum späteren EAV-Kollegen Nino Holm entstand eben­dort. Der „schöngeistige Schwede“ (Holm) und der „Prolet“ (Spitzer) überwanden eine anfängliche Antipathie, fanden über die Liebe zu Malerei und Musik zueinander und besiegelten ungewollt das Ende von Spitzers Karikaturisten-Karriere. Holm brachte die Band Antipasti in Spitzers Leben, aus der sich 1977 die Erste Allgemeine Verunsicherung formierte. Statt Karikaturist wurde der vielseitig Interessierte Musiker, Texter und Hitparadenstürmer.

Das Leben, ein Sammelsurium

An die 100 Album- und Single-Covers hat Spitzer in 41 Jahren EAV gemalt. Davon besitzt er heute gerade noch zwei Originale. Der Rest gilt als verschollen, will heißen: in den Druckereien vergessen oder großzügig verschenkt. „Immer, wenn ein Plattenboss gesagt hat: ‚Das würde gut in mein Wohnzimmer passen‘, habe ich gesagt: ‚Nimm es dir‘“, beschreibt er seinen Umgang mit der eigenen Kunst. Wobei er die Arbeiten für die EAV ohnehin nicht als Kunst betrachtet: „Das ist Notnagelkunst, die entstanden ist, weil wir zwei Tage vor Abgabe des Albums draufgekommen sind, dass uns ein Cover fehlt.“ Am Tischtennistisch im Freizeitraum des Soundmill-Studios sind viele der heute berühmten EAV-Zeichnungen entstanden. Mit ernsthaftem Zeichnen habe das wenig zu tun gehabt, sagt er. Er sei ja als Texter und Komponist vollkommen ausgelastet gewesen.

Ähnlich improvisiert hatte er zuvor schon seine Diplomarbeit an der Akademie aus EAV-Comics, Bühnen- und Kostümentwürfen bis zum ersten Fernsehportrait des ORF über die EAV. Im schriftlichen Teil erzählte er vom multimedialen Konzept, und den Professoren gefiel es. „Endlich einmal was anderes!“

Fragt man Spitzer, was ihm seine Arbeiten rückblickend über sich erzählen, sieht er vor allem Meilensteine, aber keine Kontinuität. Heraus ragt in jedem Fall die Kunst, die in den 90er-Jahren nach dem EAV-Konkurs und einer gescheiterten Beziehung der Therapie diente. „Du lässt aber tief in deine seelischen Missstände schauen, haben damals viele gesagt“, so Spitzers Kommentar zur Lage. Daneben gibt es die tagesaktuellen Karikaturen, die ihm ohne Selbstmitleidsphrasen nebenbei aus dem Stift fließen. „Man könnte fast auf die Idee kommen, dass ich ein vielseitiges Genie bin. Aber das ist Blödsinn. Ich kann von allem a bissel was – texten, komponieren, Gitarre spielen, zeichnen –, aber nix wirklich gut“, tut sich der Künstler schwer mit der Einordnung seines Schaffens. Ein Sammelsurium aus Gefundenem sei das Zustandegebrachte noch am ehesten – und damit ehrliches Abbild seines Lebens: „Irrsinnig verstreut in alle Winde. So schaut die Ausstellung auch aus“, sagt er.

Eine, die in den vergangenen acht Jahren Struktur in Spitzers Leben brachte, ist Lebensgefährtin Nora Tietze. Sie ist nicht nur Mutter seines ungeborenen Kindes, sondern auch Kuratorin der Ausstellung. „Seit ich sie kenne, ist sie die Kuratorin meines Seins. Sie checkt alles, was ich nicht checken will. Manchmal ist sie ein bissel streng mit mir“, beschreibt Spitzer jene Frau, die Eckdaten seiner Karriere meistens schneller parat hat als er.

Alte Seelen, junges Glück

Über einen Briefwechsel hat er die viel jüngere Partnerin kennen- und lieben gelernt .Die jungen Jahre hat er ihr erst gar nicht geglaubt. „Sie muss einen Ghostwriter haben, so kann man in dem Alter nicht schreiben“, erinnert er sich an den ersten Kontakt mit der heute 24-Jährigen. Lange habe er sich gewehrt, aber dann sei diese Vertrautheit, bei der man oft vom Treffen alter Seelen spricht, größer gewesen, so Spitzer. „Seelen, die sich treffen und über alles Altersunterschiede hinweg eins sind. Dieses Gefühl, wo du sagst: Ich bin daheim“, präzisiert er. Dank ihr verbringt er nun drei Wochen beim Wandern und biwakiert unter freiem Himmel in den Julischen Alpen. Das Gipfelkreuz erklimmt sie allein, während er es von unten zeichnet. „Ich hasse die Berge, weil man raufgehen muss“, sagt Spitzer. Daran ändert auch Nora nichts. Sie mag es ruhig, bleibt lieber hinter den Kulissen, so wie das Paar seine Beziehung überhaupt gern vor der Öffentlichkeit schützt. Eine glückliche Patchworkfamilie sei man im Lauf der Jahre geworden, mit Tochter Anna und deren Mutter.

„So lange sich unsere Beziehung so positiv entwickelt wie in den letzten acht Jahren, sind alle möglichen Probleme erledigt. Ich bin im Herzen jung. Das ist am wichtigsten“, wischt er alle dräuenden Einwände vom Tisch. Und plant unter dem Motto „Carpe diem“ die Abenteuer der Zukunft. Mit der Familie per Bus Europa erkunden, zum Beispiel, und dabei ein Karikaturenbuch anfertigen. Wieder in zwei Lebenskreise einschwenken, die schon die Siebzigerjahre bestimmt haben.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 49/2018

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