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Christina Fiorenza

©G. Richter
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Mit den Keramikobjekten von Cristina Fiorenza und den Papierarbeiten von Michela Ghisetti spannt die Rodler Gschwenter Gallery die Farben- und Formenvielfalt von zwei Künstlerinnen zusammen, die mit ihren Werken lustvoll das Leben erforschen.

Es ist ein regnerischer Tag, aber das Atelier von Cristina Fiorenza erweist sich als kleines Paralleluniversum, ein Rausch aus Farben und Formen mit Regalen und Tischen voll bizarrer Keramikobjekte und Skulpturen. "Das Licht in Wien ist an manchen Tagen immer noch schwierig für mich", lacht sie. "Ich bin zwischen Neapel und Salerno aufgewachsen, immer mit dem Moped an der Amalfiküste unterwegs gewesen. Ich trage die Sonne und das Meer in meinem Herzen sowie die Objekte und Farben, die das Meer zu den Stränden Süditaliens zurückbringt."

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Skulptur "If I was a clay river", 2023

© Courtesy Cristina Fiorenza/Rodler Gschwenter Gallery

In Wien ist sie durch Zufall gelandet. Cristina Fiorenza ist Architektin, Künstlerin und Keramikerin. Sie studierte Architektur an der Universität Federico II di Napoli, an der Technischen Universität Berlin und an der Bauhaus-Universität in Weimar. Mit ihrem Mann, einem Deutschen, den sie beim Architekturstudium kennengelernt hat, war sie nach dem Studium einige Jahre und nur mit einem Zelt unterwegs, hat in diversen Architekturbüros gearbeitet und 1998 auch in Wien Station gemacht. Und hier ist sie geblieben.

Wien ist ihre zweite Heimat geworden, hier sind ihre Kinder geboren, hier hat sie sich nach jahrelanger Beschäftigung mit Städtebau wieder einer frühen Leidenschaft, der Malerei, zugewandt.

Nach Frauenporträts entstanden surrealistische Collagen aus fantastischen Welten und architektonischen Details, Mustern und Ornamenten. Über die Beschäftigung mit fragilen Stelzenhäusern hat sie sich dann auch für den Aufbau von Gefäßen aus Keramik interessiert. Ein Material, das ihr, wie sie erzählt, schon immer vertraut war, "weil an der Amalfiküste Keramik auch ein Teil der traditionellen Kultur ist".

Schichtarbeit

Auf der Universität für angewandte Kunst hat sich die Künstlerin dann das Universum Keramik experimentell erschlossen, untersucht, wie Glasuren aufgebaut sind, Rohstoffe funktionieren, Farbe reagiert. Derart konnte sie Glasur bald in Schichtungen und fast wie Malerei auftragen. "Meine Glasuren sind das Ergebnis kontinuierlicher Experimente zur Schaffung rauer und gezackter Oberflächen, die mich an Lavasteine, Erosion und die jahrhundertealte Sedimentation der Felsen erinnern", erklärt Fiorenza. Die Oberflächen sind von verschiedenen Schichten überlagert, die als Reaktion Blasen erzeugen oder Krater, aus denen Farbe tropft oder Sukkulenten-ähnliche Gebilde zu wachsen scheinen, Formen wie der südländischen Vegetation entsprungen. Manche Gefäße zieren auch Fliegen. Denn die Fliege ist Cristina Fiorenzas Zeichen und findet sich auch auf ihrer Homepage, "ein lästiges Insekt", wie sie schmunzelnd nachsetzt

Für ihre Objekte ist nicht die Funktion ausschlaggebend, als Architektin empfindet sie ihre leeren Gefäße vielmehr wie Häuser im Sinne einer Schutz bietenden Hülle. Auch wenn Keramik aktuell ein großes Thema am Kunstmarkt ist, bleibt Fiorenzas Zugang erfrischend entspannt: "Ich mache nichts anderes als spielen. Das ist meine Lebensphilosophie." Auf der Suche nach neuen Abenteuern jenseits jeglicher Genrebegrenzung verwahrt sich die Künstlerin auch gegen jeglichen Signature-Style. "Ich könnte als Künstlerin gar nicht immer das Gleiche machen, will mich nicht festlegen oder permanent selbst kopieren. Vielleicht male ich nächstes Jahr auch wieder."

Vorerst einmal aber werden ihre organischen Kompositionen ausgestellt. Die Galeristinnen Marina Papanikolaou-Rodler und Susie Gschwenter, die die ehemalige Galerie Gans hinter dem Wiener MuseumsQuartier übernommen und erfolgreich erweitert haben, zeigen Cristina Fiorenzas Skulpturen in ihrer neuen Location in der Zollergasse 29.

Volltreffer

Unter dem Titel "Burn and Glow" werden sie mit den Arbeiten einer anderen schon lange in Wien lebenden italienischen Künstlerin präsentiert: Michela Ghisetti. "Jahrelang hat man uns immer gefragt, wieso wir uns als Italienerinnen in Wien nicht kennen", scherzt Fiorenza. "Irgendwann haben wir uns dann kennen gelernt und sind tatsächlich Freundinnen geworden. Ein Volltreffer, obwohl unser Background komplett anders ist", wie Fiorenza betont. "Michela kommt aus Bergamo nahe der Schweizer Grenze und hat eine Präzision, die mir fremd ist, dennoch hat sie auch diese Vielfalt an Stilen in ihrer Arbeit und diese Lust an der Farbe."

Wie bunt das Universum von Michela Ghisetti ist, zeigt das Studio der Künstlerin voll mit Materialien: angefangen von Federn, Fächern oder glitzernden Stoffen über Perlenschnüre aus Ghana, Leinen säcke aus Rumänien oder Kokosfasern aus Tahiti, wo sie gerade herkommt. Michela Ghisetti wollte nach ihrem Kunststudium in Italien eigentlich nach Mexiko, machte Station in Wien – und blieb. Sie machte ihr Diplom an der Akademie der bildenden Künste bei Gunter Damisch. Bald Mutter zweier Töchter, musste sie sich dann erst von vielen Nebenjobs befreien, um sich wieder ganz der Kunst zu widmen, und das in höchst unterschiedlichen Werkgruppen, in denen sie sich analytisch mit ihrer Rolle als Künstlerin und Mutter auseinandergesetzt hat wie mit der Repräsentation der Frau in der Gesellschaft an sich.

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Michela Ghisetti

© Katharina Gossow
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"Stranger in the Night", 2023

© Courtesy Michela Ghisetti/Rodler Gschwenter Gallery

Als sie in einem Antiquariat einen Foto band über die Hamburger Prostituierte Domenica Niehoff entdeckte, nähte sie deren Markenzeichen – ein schwarzes Korsett – nach und arbeitete sich über drei Jahre in vielen hyperrealistischen Zeichnungen an diesem Symbol gesellschaftlicher wie kultureller Einengung ab. Es folgten großformatige Porträts, gezeichnet mit Farbstiften und Grafit, die zuletzt 2021 in der Mid-Career-Retrospektive zu sehen waren, die die Albertina dem facettenreichen Œuvre der Künstlerin widmete. Dass sie eine große Zeichnerin ist, musste sie nicht mehr beweisen. Nachdem der Hyperrealismus künstlerisch ausgereizt schien, folgte der figurativen eine abstraktere Phase.

Vor jeder neuen Phase wird, wie sie es nennt, "Tabula rasa" gemacht, etwa mit ruhigen, ganz mit Blattgold gearbeiteten Bildern. "Das ist ein emotionales Bedürfnis. Wie wenn man einen Marathon läuft und dann Ruhe braucht. Man ist leer, aber es ist ein gutes Gefühl, weil man weiß, es kommt wieder etwas Neues."

Stil-Chamäleon

"Ich könnte 15 Leben mit Ideen füllen", kommentiert sie ihre unterschiedlichen Werkgruppen, in denen sie lustvoll neue Inhalte und unterschiedlichste Materialien erprobt und immer wieder auch neue Techniken für sich erobert. "Früher dachte ich immer: Oh Gott, du hast keinen Stil! Dann bin ich draufgekommen, ich bin ein Stil-Chamäleon."

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"Despacha' 3", 2022. Die Oberflächen von Cristina Fiorenzas amorphen Skulpturen sind von verschiedenen Schichten überlagert, die als Reaktion Blasen erzeugen oder Krater, die sich öffnen.

© Courtesy Cristina Fiorenza/Rodler Gschwenter Gallery

So entstanden auch Arbeiten auf schwarzem, handgeschöpftem Papier, bunt und explosiv in der Zeichnung, beklebt mit Konfetti, das ihre Mutter aus Italien für die Enkelkinder schickte und das sich auch als Punkte und Farbtropfen durch das Œuvre von Ghisetti zieht, ebenso wie ihre Linien.

Bei ihrer neuesten Werkgruppe, "Stranger in the Night", hat sich die 58-jährige Künstlerin wieder mit der Symmetrie beschäftigt, die sie schon bei ihrem Diplom zum Thema gemacht hat. Ghisetti zeichnet beidhändig, wobei sie Linien horizontal nach links und rechts von der Mittelachse zieht, und setzt in den Kompositionen in einer Mischung aus Realismus und Abstraktion den weiblichen Körper ins Zentrum.

Diese Arbeiten sind nun ebenso in der Ausstellung zu sehen wie einige aus Ghisettis Serie "Magic Carpets", entstanden nach einer Reise durch Marokko, wo sich die Künstlerin in die Formenvielfalt der Berberteppiche verliebt hat, vor allem in die Rückseite, dort, wo die Fäden vernäht werden. Für den Betrachter scheinen sich auch Ghisettis Buntstiftlinien tatsächlich in Wollfäden zu verwandeln und zu Quasten zu bündeln.

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"Magic Carpet Right Love", 2023. Für den Betrachter scheinen sich Ghisettis Buntstiftlinien tatsächlich in Wollfäden zu verwandeln und zu Quasten zu bündeln

© Courtesy Michela Ghisetti/Rodler Gschwenter Gallery

Viele Materialien im Atelier verarbeitet sie auch in ihren Puppenskulpturen "Che Bambole!". Fertility Dolls in Afrika haben sie dazu inspiriert, eigene Fruchtbarkeitspuppen zu kreieren. Es sind humorvolle Collagen aus diversen Haushaltsutensilien vom Mop bis zu Industriebürsten. Verkaufen will sie die Puppen nicht. Noch nicht, wie sie sagt: "Das ist für mich ein Lebensprojekt." Jede Puppe hat einen eigenen Namen, mit jeder verändern sich der ästhetische Charakter und der Aufbau je nach den mitgebrachten Materialien von ihren Reisen durch die Welt.

Multipolar

Ob Michela Ghisetti mit Acryl und Farbstift arbeitet, Farbe schüttet oder tropfen lässt, Punkte setzt oder Blattgold aufträgt, Papier als Bildträger verwendet oder auf Leinen arbeitet – "das alles bin ich", betont die Künstlerin, der es in ihren Werkserien auch um die Koexistenz der Gegensätze geht. "Ich liebe Gegensätze, ich integriere Gegensätze. Die Welt ist multipolar." Die Künstlerin ist es auch.

Die vielfältige künstlerische Formensprache entspricht den vielen Ansätzen, das Leben zu erforschen, ist Ghisetti überzeugt. Nicht nur in diesem Sinne harmonieren ihre Arbeiten bestens mit den Skulpturen von Cristina Fiorenza.

Dieser Beitrag ist am 8. März im trend.PREMIUM erschienen.

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