Roswitha Wieland:
"Es ist wie im Gefängnis"

Lückenlose Überwachung, Begleitung bis auf die Toilette, Betretungsverbot für ORF-Kantine, Café und Supermarkt: Tanzprofi Roswitha Wieland verrät, wie restriktiv es in Corona-Zeiten bei "Dancing Stars" wirklich zugeht. Und wirft damit die Frage auf: Wie weit soll man gehen, um das Land in schwierigen Tagen zu unterhalten?

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Dancing Stars - Roswitha Wieland:
"Es ist wie im Gefängnis" © Bild: Ricardo Herrgott

In Sachen "Dancing Stars" ist die aus Wien stammende, direkt neben dem ORF-Zentrum am Küniglberg wohnende Roswitha Wieland, genannt "Rosi", so etwas wie eine Institution. Trotz ihrer 37 Jahre bezeichnet sie sich als "Mutter, wenn nicht Oma der Kompanie". Immerhin ist die Vizestaatsmeisterin in den lateinamerikanischen Tänzen bereits zum neunten Mal bei der öffentlich-rechtlichen Hauptabend-Tanzshow dabei, so oft wie Rosi hat niemand sonst mitgetanzt: Einen Otto Retzer schleifte sie übers Parkett, einem Stefan Petzner machte sie Beine, Krisenroutine kann ihr somit wirklich keiner absprechen. Doch als so belastend wie heuer empfand sie die Atmosphäre rund um den Ballroom noch nie: "Das Publikum vor dem Fernseher weiß ja nicht, was sich im Vergleich zu den vorangegangenen Shows alles verändert hat."

Von "strengen Sicherheitsvorkehrungen" spricht man seitens der Programmverantwortlichen vor der 13. Auflage der großen Salsa-, Rumba-und Walzersause, die nach dem Lockdown im März an diesem Freitag um 20.15 Uhr in ORF 1 erneut startet. Doch selbst das klingt noch irgendwie beschönigend. "Es ist wie im Gefängnis", sagt Rosi Wieland. Und wirft damit die grundsätzliche Frage auf: Was muss TV-Unterhaltung in Krisenzeiten leisten? Und: Wie groß darf die Kluft zwischen der schillernden Show und der beklemmenden Atmosphäre hinter den Kulissen sein?

Lückenlose Überwachung

"Das gesamte Team brennt darauf, jeden Freitagabend beste Unterhaltung zu liefern, und dieses Gefühl der Zuversicht wollen wir auch in schwierigen Zeiten an unser Publikum weitergeben", lässt sich Kristina Inhof, die als Moderatorin für Mirjam Weichselbraun einspringen musste, in einer Aussendung des ORF zitieren. Weichselbraun sagte ab, weil ihr Europas neue Corona-Grenzen das Pendeln zwischen Wien und ihrem Londoner Wohnsitz verwehrten. Ob sie wohl ahnte, welch schleichende Annäherung zwischen Staatsfernsehen und Überwachungsstaat da indes in der alten Heimat stattfindet?

»Ich will, dass das Publikum weiß, das heuer hinter dieser scheinbaren Leichtigkeit steckt«

Anfang September, vor Trainingsstart, wurden sämtliche Teilnehmer (negativ) getestet. "Seither dürfen wir ohne Betreuer nicht einmal das Funkhaus betreten, wo wir seit dem 8. September tagtäglich für die Shows im ORF-Zentrum trainieren." Ihr Tanzpartner, der Schauspieler Christian Dolezal, müsse im Freien mit Maske auf sie warten, ehe sie beide in Begleitung einer Betreuerin bis zu ihren Einzelgarderoben eskortiert würden. "Es kommt schon vor, dass du dort an die eineinhalb Stunden sitzt und auf deinen Trainingsslot wartest. Früher hatten wir einen Gemeinschaftsraum, jetzt sitzt jeder von uns alleine herum." Weder wisse sie, was die anderen Paare tanzen, noch wie sie tanzen, noch wie es ihnen überhaupt so gehe. Auch mit niemandem von der Produktion dürfe man persönlich Kontakt haben, nur über Telefon oder Skype, aber das sei nun einmal nicht dasselbe.

© Ricardo Herrgott/News Wieland mit ihrem Tanzpartner Christian Dolezal

"Früher hast du das Team gespürt, und Teamgeist gehört ja auch irgendwie zum Gesamtpaket der Show." Nun gebe es keine Gemeinschaft. Wieland: "Ich hoffe, dass das nicht in ein Jeder-mit-Vollgas-gegen-jeden mündet." Denn von allen anderen sei man strikt separiert. Obwohl alle permanent gefilterte Masken (ORF-Funkhaus) oder sogar gefilterte Masken mit Visier (ORF-Zentrum) tragen würden, könne man mit den anderen Kandidatinnen und Kandidaten nicht einmal auf Distanz ein paar Worte reden.

Wie eine Aussätzige

"Selbst wenn du einen anderen Tänzer zufällig im Freien triffst, kommen gleich die Betreuer, und du musst wie eine Aussätzige drei Meter rückwärtshupfen. ,Gehts auseinander!', heißt es dann sofort, so schnell kannst du gar nicht schauen."

Auch das Café im Funkhaus sowie die Kantine und der Supermarkt im ORF-Zentrum dürfe man als "Dancing Star" nicht betreten. Wohl aber die Dusche im Funkhaus -eine einzige, museal anmutende Gemeinschaftsdusche für alle 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wohlgemerkt. "Aber so vernünftig, die nicht zu benützen, sind wir zum Glück alle selber."

"Dancing Stars", ein Maskenball: Alle, auch jene, die hinter der Kamera stehen, auch die Dame von der Kostümprobe, hätten stets "die volle Montur oben". Das, sagt Rosi Wieland, tue ihr im Herzen weh, denn all das ergäbe, auch wenn es vielleicht nötig sei, "so ein trauriges Bild". Und auch wenn ihr die zwei, drei Minuten auf Sendung noch immer "irrsinnigen Spaß" machen und "wahnsinnig viel bedeuten":"Ich betreibe die Tanzerei mit so viel Herz, dass man mir sofort anmerkt, wenn etwas nicht passt." Deswegen hoffe sie, dass das Ganze für die Zuschauer trotz allem irgendwie doch "als Spaß" rüberkomme: "Ich will, dass sich das Publikum entspannt, sonst hätte das alles ja keinen Sinn. Ich will aber auch, dass die Leute wissen, was heuer hinter all dieser scheinbaren Leichtigkeit steckt." Und welch umfangreiches Konvolut an Regeln zu beachten ist.

»Man hat keinerlei Privatsphäre - für jeden Kandidaten wurde ein fensterloser Container aufgestellt, der nach oben hin offen ist«

So habe die An-und Abfahrt zum Funkhaus nach Möglichkeit mit dem Privatauto zu erfolgen, eventuell noch mit dem Taxi. "Aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln dürfen wir nicht fahren." Überallhin, schildert Wieland, werde man begleitet, sogar bei den Fahrten im Shuttletaxi zwischen Funkhaus und Küniglberg ist eine maskierte Gouvernante mit von der Partie.

Auch im ORF-Zentrum auf dem Küniglberg herrsche für die Kandidatinnen und Kandidaten, die live auf Sendung viel Gaudi und ein bisserl Glam vermitteln sollen, strengste Isolation: "Für jeden Teilnehmer wurde ein fensterloser Container von der Größe eines kleinen Zimmerchens aufgestellt, der nach oben hin offen ist."

Dort höre man alles mit, habe keinerlei Privatsphäre, könne so oft den ganzen Tag lang kein persönliches Telefonat führen. "Denn die Betreuer stehen ja vor der Containertüre, damit ja niemand alleine rausgeht." Das seien allesamt nette Leute, die eben auch nur ihren Job machen, räumt Rosi Wieland ein. Nur dass man erwachsenen Menschen, die sich ohnedies brav an alle Regeln halten, nicht ein Minimum an Eigenverantwortung zutrauen wolle, das macht ihr einigermaßen zu schaffen.

Tanz den Jailhouse Rock

Zumal selbst die nötigsten Wege des Lebens, nämlich jene aufs stille Örtchen, neuerdings begleitet und observiert werden -und das läuft so: "Die Betreuerinnen sind über eine große Whatsapp-Gruppe vernetzt, in die sie schreiben müssen, wohin wir gerade gehen, damit wir uns trotz Maske und Visier ja nicht in die Quere kommen. ,Die Rosi muss aufs Klo', so in etwa wird in die Gruppe gepostet, damit nicht vielleicht schon jemand anderer davor steht oder bereits drinnen ist. Und dann:,Die Rosi ist fertig.'"

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 39/2020