Barbara Blaha: Leiterin des Momentum-Thinktanks

Die Beschäftigung mit Klassenfragen ist seit Kindesbeinen eine Lebensaufgabe von Barbara Blaha. Sie ist Gründerin und Leiterin des Momentum-Instituts, dem wichtigsten linken Thinktank Österreichs.

von Barbara Blaha © Bild: Elke Mayr

Steckbrief Barbara Blaha

  • Name: Barbara Blaha
  • Geboren am: 23. September 1983 in Wien
  • Sternzeichen: Jungfrau
  • Wohnt in: Wien
  • Ausbildung: Germanistik-Studium an der Universität Wien
  • Beruf: ehemalige Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (ÖH); Gründerin des Momentum-Instituts

Wer ist Barbara Blaha?

Die im Jahr 1983 geborene Barbara Blaha kommt aus einer großen Familie. Sie ist das zweite von sieben Geschwistern. "Ich bin ein Arbeiterkind", sagt sie selbstbewusst über ihre Herkunft. Sie ist Gründerin des Momentum-Instituts und Herausgeberin des dazu gehörigen Moment Magazins.

»Ich bin ein Arbeiterkind«
Barbara Blaha
© Elke Mayr Barbara Blaha beim Fotoshooting mit News.at

Wo ist Barbara Blaha aufgewachsen?

In Simmering. Das ist der Wiener Stadtteil, der international durch den Zentralfriedhof bekannt geworden ist. Simmering ist mit rund 100.000 Einwohner:innen außerdem einer der bevölkerungsreichsten Bezirke der Bundeshauptstadt. Und Simmering ist neben Favoriten einer der Wiener Arbeiter:innen-Sttadtteile schlechthin. Er ist bis heute durch Industrien geprägt. Die Wien Energie betreibt hier ein Kraftwerk. Die Menschen wählen mehrheitlich sozialdemokratisch. Mit einer Ausnahme: Von 2015 bis 2020 stellte die FPÖ den Bezirksvorsteher.

Wo ging Barbara Blaha zur Schule?

Ebenfalls in Simmering. Zunächst in die Volksschule, später ins Gymnasium. "Zu meiner Zeit, als ich dort aufgewachsen bin, gab es für den ganzen riesigen Bezirk ein einziges Gymnasium", erzählt sie. "Das zeigt schon sehr deutlich, dass das ein Arbeiterbezirk ist." 800 Mitschüler:innen drückten gemeinsam mit Blaha die Schulbank. "Das Gymnasium ist damals aus allen Nähten geplatzt. Es ist ja klar, so ein Einzugsgebiet, und eine einzige Schule, das kann sich nicht ausgehen", erinnert sie sich. Der Zustand des Schulgebäudes sei "unfassbar räudig" gewesen. Unterstufe und Oberstufe seien in zwei Gebäude aufgeteilt gewesen. Das Resultat: "Du hast dich die ganze Zeit mit extrem abgehetzten Lehrer:innen konfrontiert gesehen. Die mussten zwischen den Gebäuden hin und her laufen. Im Jogging sind sie dann in den Unterricht gestürmt, weil der Wechsel halt gerade blöd fiel."

Wie war es als Arbeiterkind am Gymnasium?

Gab es Erfolgsdruck durch die Eltern?

»Die Eltern waren der Meinung, wir sollen machen, was uns glücklich macht«
Barbara Blaha
© Elke Mayr Barbara Blaha - die Eltern ließen sie tun, was sie glücklich macht.

Von Notenstress kann Barbara Blaha nicht berichten. Die Eltern seien nicht der Meinung gewesen, dass die Kinder alle ans Gymnasium müssen. "Die waren eher der Meinung, wir sollen machen, was uns glücklich macht", sagt Blaha. Ihr sei jedoch schon schnell klar gewesen: "Es ist nicht wurscht, wo man hinkommt. Das war immer klar, obwohl ich mich zu keinem Zeitpunkt erinnern könnte, dass mir das jemand erklärt hat. Es war, als würden wir das über die Osmose aufnehmen, oder irgendwie die ungesagten Dinge hören. Aber es war allen Kindern klar, es ist nicht wurscht, in welche Schule du nachher kommst." Ohne auf diesem Weg Glück zu haben, wäre es sich nicht ausgegangen, ist sie überzeugt. Begabung alleine reiche nicht aus, "wenn man aus einer Arbeiterfamilie kommt. Es ist nochmal ärger für alle, die einen migrantischen Hintergrund haben."

Haben die Kinder ihre Klassenherkunft am Gymnasium gespürt?

Klassenfragen hätten unter den Mitschüler:innen keine Rolle gespielt, sagt Barbara Blaha. Armut auch nicht. "Ich sage immer, für Kinder die in Armut aufwachsen, ist das so selbstverständlich, wie das der Himmel blau ist, oder das Wasser nass. Nachdem man das gar nicht anders kennt, ist es fast wie eine Naturgesetzlichkeit." Und doch sei das Thema durchaus plötzlich spürbar geworden. Zum Beispiel als es in der sechsten Klasse hieß, es gibt eine Klassenfahrt in die USA.

Barbara Blaha
© Elke Mayr Barbara Blaha ist in Simmering aufgewachsen.

Von Simmering über den großen Teich? Das ist doch toll! Oder nicht? Es war die erste Klasse dieser Schule, die überhaupt diese Möglichkeit bekommen sollte, ein zweieinhalb Wochen langer Trip. Auch Barbara Blaha und ihre Mitschüler:innen hätten sich "wie verrückt" darauf gefreut. Doch dann folgte bei vielen Kindern die Ernüchterung, erinnert sie sich. "Man hat genau gesehen: Es gibt die Kinder, die wissen, bei ihnen geht es sich nie aus. Oder die Kinder, die sich denken, das wird ein langer Sommer, voll mit Ferienjobs, weil klar ist, du musst die Kohle selber dahertragen. Also ich bin arbeiten gegangen, neben der Schule, weil klar war, es geht sich sonst finanziell nicht aus."

Was war Barbara Blahas erstes politisches Projekt?

Im Alter von 13 Jahren gründete Barbara Blaha eine Schülerzeitung. Sie trug den Namen "der Gottschalk".
Gottschalk, so wie Thomas Gottschalk, der Entertainer? Nein. Die Zeitung war nach der Gottschalkgasse benannt, in der sich die Schule lange Zeit befand, die Barbara Blaha besuchte. Später zog die Schule um, doch der Titel der Schülerzeitung blieb bestehen.

»Jede Form von Missstand kriege ich nur gelöst, wenn ich Öffentlichkeit schaffe«

Welche Themen behandelte "der Gottschalk"? Ging es da schon um Gramsci und Hegemonie? Es ging auf jeden Fall um Machtfragen und Ungerechtigkeiten im Schulalltag. Es waren die späten 1990er Jahre. Da gab es weder Facebook, noch Whatsapp oder Instagram. Geschweige denn Tik Tok. Internet allgemein war eher so ein fernes Gerücht. Also brauchte es ein klassisches Printprodukt. Barbara Blahas Hintergedanke: "Jede Form von Missstand, wenn sich Lehrer:innen über Grenzen hinwegsetzen, oder geltende Gesetze ignorieren, kriege ich nur gelöst, wenn ich Öffentlichkeit schaffe. Deshalb habe ich die Schulzeitung gegründet. Das war hoch politisch. Natürlich im Kleinen." Thematisch ging es um fehlendes Toilettenpapier auf dem Schüler:innen-Klo. Oder es ging darum durchzusetzen, dass Schüler:innen ab 14 Jahren das Recht wahrnehmen dürfen, sich selbst für Fehlzeiten zu entschuldigen. "Das war eine kleine Sache. Aber es war für uns sehr politisch, und hat uns damals total umgetrieben."

Wie ging es für Barbara Blaha politisch weiter? Was waren die wichtigsten Stationen?

Ab dem Jahr 2000 engagierte sich Barbara Blaha in der Schüler:innenvertretung ihrer Schule. Sie betätigte sich auch in der Wiener Landes-Schüler:innenvertretung. Sie engagierte sich für die sozialdemokratische "Aktion Kritischer Schülerinnen und Schüler" (AKS) und war deren politische Sekretärin und Vorsitzende. Im Studium folgte eine aktive Mitgliedschaft Blahas im sozialdemokratischen Studierendenverband VSStÖ. 2005 wurde Blaha stellvertretende ÖH-Vorsitzende. 2006 wurde sie ÖH-Bundesvorsitzende. Von 2006 bis 2010 war sie außerdem direkt gewähltes Mitglied des Publikumsrates des ORF. Im Jänner 2013 wurde sie in den Universitätsrat der Universität Salzburg gewählt.

Barbara Blaha
© Elke Mayr Barbara Blaha kann schon auf viele erfolgreiche Stationen zurückblicken

Was hat Barbara Blaha studiert?

Im Jahr 2002 begann Barbara Blaha das Studium der Germanistik an der Universität Wien. Im Jahr 2009 schloss sie es ab. Ermöglicht wurde ihr das Studium durch ein Stipendium. Auch hier werden Klassenfragen wieder deutlich spürbar.

»An der Uni ist man als Arbeiterkind verloren. Wirklich verloren«

Inwiefern? Wie ging es Barbara Blaha als Arbeiterkind an der Uni? Über ihre Zeit an der Universität Wien sagt Barbara Blaha: "An der Uni ist man als Arbeiterkind verloren. Wirklich verloren." Schon die Architektur des Hauptgebäudes sei einschüchternd. "Das ist ja angelegt wie eine Kathedrale. Man soll andächtig sein und sich klein fühlen." Allein schon die Zusammenstellung des Studienplans sei eine "unlösbare Aufgabe" gewesen, "wenn es keinen in der Familie gibt, der den Unterschied zwischen den Begriffen Seminar, Pro-Seminar und Vorlesung erklären kann".

Hinzu seien Erlebnisse gekommen, die nicht nur für Studierende der ersten Generation abschreckend gewesen seien. "Also ich weiß nicht, wie viele Studierende so eine Lehrversammlung hatten, wo irgendein idiotischer Professor sagte, schauen sie rechts, schauen sie links, am Ende des Semesters sind Ihre Kolleg:innen nicht mehr hier. Und er ist stolz darauf. Was sagt das über ihn als Lehrenden aus? Gratuliere, du bist so schlecht, dass die meisten Leute die Prüfung nicht schaffen. Ein Wahnsinn." Als Stipendientin habe sie besonders Acht geben müssen. "Es war immer das Gefühl, mir darf kein Fehler passieren. Jeder andere, wenn dem ein Fehler passiert, den fängt die Familie auf. Oder dann studierst du halt ein Semester länger, ist ja egal. Aber bei mir heißt ein Semester länger studieren, du verlierst dein Stipendium. Das geht nicht. Das ist ausgeschlossen. Das geht sich finanziell nicht aus."

Für Studis mit wenig Geld sind Studiengebühren ein Thema. Da gab es doch ein großes Zerwürfnis zwischen der SPÖ und Barbara Blaha?

Barbara Blaha und der Austritt aus der SPÖ

In seinem Wahlkampf hatte der spätere SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer versprochen, Studiengebühren abzuschaffen. Dieses Wahlversprechen hat er im Jänner 2007 gebrochen. Als Reaktion traten Barbara Blaha, damals ÖH-Chefin, und die damalige VSStÖ-Vorsitzende Sylvia Kuba aus der SPÖ aus. Den Medien sagte Barbara Blaha als Begründung: "Ich trete aus der SPÖ aus. Wenn sich die SPÖ vom freien Unizugang verabschiedet, muss ich mich von ihr verabschieden." Gusenbauer schrieb sie außerdem ins Stammbuch: "Sich arrogant und selbstgefällig ins Fernsehen zu setzen und junge Menschen zu diffamieren, die den ganzen Wahlkampf über für ihn gelaufen sind, zeugt weder von politischer noch persönlicher Größe. Das ist eines Bundeskanzlers nicht würdig."

Wie geht es Barbara Blaha heute, im Jahr 2023, mit dem Austritt aus der SPÖ? Der Parteiaustritt spielt in ihrem Leben nach wie vor eine große Rolle. Vor allem, wie sie sagt, "weil es eine Rolle spielt im Leben vieler Journalist:innen. Das schreiben sie mal auf meinen Grabstein, dass ich mit Anfang 20 mal irgendwann aus der SPÖ ausgetreten bin. Es könnte mir aber inzwischen nichts egaler sein, als dieser Parteiaustritt. Es spielt in meinem Leben keine Rolle". Fazit: Der SPÖ-Austritt Blahas wohnt mietfrei im Kopf der österreichischen Medien, aber nicht in der Gedankenwelt der Momentum-Chefin.

»Ich frage niemanden, in welcher Partei er Mitglied ist«
Barbara Blaha
© Elke Mayr Der Parteiaustritt spielt in Barbara Blahas Leben keine Rolle mehr.

Welche Rolle spielen Parteimitgliedschaften als solches im Leben von Barbara Blaha? Diese Frage ist für sie eine Form des Schubladendenkens. Ihre Meinung dazu: "Es ist tatsächlich wurscht. Es interessiert mich tatsächlich nicht. Ich frage niemanden, in welcher Partei er Mitglied ist. Das macht ja auch sonst niemand. Sondern wir bewerten Menschen normalerweise danach, wofür sie stehen, was sie tun, wofür sie kämpfen, und wonach sie handeln. Das ist doch die entscheidende Kategorie."

Barbara Blahas linker Thinktank Momentum Institut

Wofür kämpft dieser Thinktank? Barbara Blaha beteuert, dass das Momentum Institut sich von Beginn an durch einen klaren Kompass leiten lässt: "Unser Kompass sind die Interessen der arbeitenden Menschen im Land. Also fragen wir uns bei bei jeder wirtschaftspolitischen Analyse, bei jeder Rechnung, bei jeder Studie, die wir anstellen, bei jedem Policy Brief oder der Beurteilung einer Regierungsmaßnahme immer, was heißt das für die Leute, die von den Einkünften ihrer Arbeit leben müssen?" Für diese Menschen soll der Thinktank arbeiten, so Blahas Vision.

»Wir gehen dort hin, wo die Leute unterwegs sind«
Barbara Blaha
© Elke Mayr Barbara Blaha engagiert sich mit ihrem Thinktank Momentum Institut für die arbeitenden Menschen.

Funktioniert das? Wie ist das Feedback aus der Arbeiter:innenklasse? Glaubt man Barbara Blaha, ist das Feedback super. Was auch an der starken Onlinepräsenz des Thinktanks liegt. "Wir haben da überhaupt keine Berührungsängste", sagt Blaha. "Es ist mir egal, wo die Leute unterwegs sind. Wir gehen dort hin, wo die Leute unterwegs sind. Wo immer die sind, möchte ich sein. Und wenn sie auf Tik Tok sind, gehe ich auch auf Tik Tok. Und wenn ich tanzen muss, damit die Leute mir zuhören, dann tanze ich auch."

Andere in der Branche würden da durchaus die Nase rümpfen und niemals ein Tik Tok Video zum Thema "kalte Progression" machen. "Aber wir machen das. Und es ist sogar die schwierigere Aufgabe, etwas einfacher zu erklären, als es kompliziert zu lassen, und mit Fachwörtern um sich zu werfen. Aber es so herunterzubrechen, dass Menschen nach einem langen Arbeitstag am Heimweg in der U-Bahn es verstehen, dass ist hohe Kunst."

Feedback auf ihre Arbeit erhält Barbara Blaha auch im direkten Kontakt mit der Bevölkerung. So erzählt sie von einer Publikumsreaktion auf einen Vortrag, den sie im Rahmen einer Streikversammlung vor Beschäftigten eines Privatkrankenhauses in Salzburg erhalten hat: "Am Heimweg von dem Vortrag erhalte ich eine Infobotschaft von einer Krankenschwester, die mir dort zugehört hat. Sie sagt: 'Sie haben die Dinge so erklärt, dass ich sie verstanden habe'. Das ist eines der schönsten Komplimente. Dann habe ich meinen Job richtig gemacht."

Barbara Blaha
© Elke Mayr Der direkte Kontakt mit den Menschen ist Barbara Blaha wichtig.

Wie finanziert sich eigentlich Momentum?

Es gab den Vorwurf der Nähe zu Gewerkschaften und Arbeiterkammer. Was ist da dran? Momentum war von Beginn an spendenfinanziert. "Vor der Momentum-Gründung bin ich ein halbes Jahr auf Geldsammel-Tournee gegangen, habe in Caféhäusern geredet, in Seminarräumen und in Wohnzimmern", so Blaha. Das reichte für den Start, war aber nicht nachhaltig. "Es blieb eine meiner Hauptaufgaben, genügend Leute davon zu überzeugen, diese Arbeit auch weiter zu finanzieren. Mein größter Sieg war es, dass ich nach 1 ½ Jahren alle Arbeiterkammern von Österreich davon überzeugt habe, dass sie unsere Spender:innen werden. Das sind auch ÖVP-geführte Arbeiterkammern dabei. Und die mussten das alle demokratisch nach Einstimmigkeitsprinzip beschließen."

Übrigens finanzieren nicht nur die Arbeiterkammern das Institut, auch die Millionenerbin Marlene Engelhorn spendet großzügig an Momentum. "Aber da beschwert sich nie jemand", sagt Barbara Blaha. "Alle schreiben immer vom Arbeiterkammer-nahen Thinktank, nie vom Marlene-Engelhorn-Thinktank."

Barbara Blaha und die Krawatten

Anderes Thema. Stimmt es, dass Barbara Blaha ein Buch über Krawatten geschrieben hat?

Tatsächlich. Gemeinsam mit ihrer ÖH-Kollegin Sylvia Kuba ist Barbara Blaha Autorin des Buches "Das Ende der Krawattenpflicht - Wie Politikerinnen in der Öffentlichkeit bestehen". Darin geht es um den steinigen Weg für Frauen auf dem Weg zur Macht. Im Buch geht es darum, zu zeigen, "welche Strategien und taktischen Überlegungen notwendig sind, um sich als Frau im männlichen Feld der Politik durchzusetzen." Es geht also nur indirekt um Krawatten, wohl aber um Geschlechterrollen, und wie sie überwunden werden können.

Das Buch von Barbara Blaha

Das Buch ist hier erhältlich*

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