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Staud's-Chef Stefan Schauer: „Marillenmarmelade ist bereits ein Luxusgut“

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Stefan Schauer

©Bild: Matt Observe

Marille, Marille, Marille – dann lange nichts. Staud's-GeschĂ€ftsfĂŒhrer Stefan Schauer ĂŒber faire Preise, frostgefĂ€hrdete Ernten, japanische DelikatessengeschĂ€fte – und warum Marmelade ein Kulturgut ist.

Herr Schauer, wie viel darf eine gute Marmelade heute kosten?

Das, was sie einem wert ist. Bei uns geht es um QualitĂ€t, um Herkunft, um Vielfalt. Da entstehen natĂŒrlich ganz andere Kosten als bei einem industriellen Massenprodukt, dessen Zutaten von ĂŒberall herkommen – Hauptsache billig. Und es geht um WertschĂ€tzung: fĂŒr die bĂ€uerliche Arbeit und fĂŒr die Erntehelfer. Diese kommen oft aus dem Ausland, weil kaum jemand hier noch bereit ist, diese harte Arbeit zu machen. All das gehört miteinberechnet.

Wie viel Kalkulation vertrÀgt ein Glas?

Es ist eine Mischkalkulation. Himbeeren sind im Einkauf teurer als Orangen, aber wir fĂŒhren ein einheitliches Preisbild – der Übersichtlichkeit halber. Wir versuchen, unsere Produkte leistbar zu halten. Aber die RealitĂ€t ist: FĂŒr QualitĂ€tsproduzenten in Mitteleuropa wird die Marge immer kleiner. Energiekosten, Sozialabgaben, Löhne – das alles treibt den Preis.

Woher stammen Ihre FrĂŒchte?

So viel Rohware wie möglich kommt aus Österreich und Europa. Wenn es um Exoten wie die Ananas geht, kommen sie auch von den Philippinen. Marillen oder Zwetschken beziehen wir zum Beispiel auch aus LĂ€ndern wie Ungarn oder Serbien, da dort noch eine Vielzahl an alten, ganz besonders aromatischen Obstsorten kultiviert wird. Das wird oft missverstanden. Bei dieser Herkunft denken viele: billig. Aber das stimmt lĂ€ngst nicht mehr. Diese FrĂŒchte sind nicht gĂŒnstiger – aber sie sind verfĂŒgbar. Und sie haben oft bessere innere Werte als viele österreichische Frischmarkt-Sorten, die zwar schön aussehen, aber geschmacklich nicht mithalten können. Entscheidend sind die Sorte, der Reifegrad, der Geschmack.

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Konservierte QualitĂ€t. 80 Prozent der produzierten Marmeladen und SauergemĂŒse, die in Ottakring produziert werden, sind fĂŒr den Handel – 20 Prozent fĂŒr Gastronomie und Hotellerie bestimmt.

 © Bild: Matt Observe

Was macht fĂŒr Sie einen guten Mitbewerber aus?

Jemand, der die QualitĂ€t hochhĂ€lt. Konkurrenz belebt das GeschĂ€ft. Wir pflegen langjĂ€hrige wertschĂ€tzende Beziehungen und ein gutes Miteinander. Aber natĂŒrlich mĂŒssen wir uns abheben – durch Geschmack, Herkunft, Vielfalt. Nur dann hat man als Manufaktur eine Daseins­berechtigung im Regal.

Wer ist Ihr grĂ¶ĂŸter Konkurrent? Der Konzern mit Millionenbudget oder die Schwiegermutter mit dem Weckglas?

Ganz klar: die Hausfrau und der Hausmann, die selbst einkochen. Die wissen zumindest, wie viel Aufwand darin steckt – vom Waschen bis zum Entsteinen. Die schĂ€tzen das Produkt. Und wenn dann jemand sagt: „Eure Marille schmeckt wie die von meiner Oma“ – dann ist es natĂŒrlich das schönste Kompliment.

Heute wirbt fast jeder mit „handgemacht“ und „regional“. Wie erkennt man als Konsument, ob das ehrlich gemeint ist?

Manchmal hilft Recherche, manchmal das GesprĂ€ch im Fachhandel. Leider wird vieles ĂŒber ein hĂŒbsches Etikett verkauft. Aber wer sich mit dem Produkt beschĂ€ftigt – etwa wie beim Wein –, erkennt den Unterschied.

Wenn von zehn Ernten nur drei ertragreich sind, wird die Marille entweder dreimal so teuer – oder die Bauern geben auf und schneiden die BĂ€ume um

Stefan Schauer

Ihre Produkte gibt es mittlerweile fast auf der ganzen Welt?

In einigen LĂ€ndern – ja. In Japan etwa beliefern wir seit 1997 MeidiYa, eine Delikatessenkette mit 20 Filialen. Das ist ein hochprĂ€ziser Markt. Die Japaner entdecken jede noch so kleine Abweichung, selbst wenn in der Spezifikation ein Beistrich fehlt. Aber sie schĂ€tzen QualitĂ€t – und wenn man ihr Vertrauen gewinnt, lassen sie einen nicht mehr los. Das ist schön. In Thailand sind wir seit Kurzem im Sortiment einer hochwertigen Supermarktkette vertreten. Auch in Deutschland, der Schweiz und Norditalien ist die Nachfrage groß. Die USA waren frĂŒher stĂ€rker, aber dort ist das System komplizierter. Man braucht Broker, Distributoren – und das muss auch menschlich passen.

Welche Sorte ist am beliebtesten?

Marille, Marille, Marille – dann lange nichts. Und gleichzeitig ist sie die grĂ¶ĂŸte Herausforderung. Die Marille ist extrem frostempfindlich. Ein SpĂ€tfrost kann eine ganze Ernte vernichten – wie zuletzt in Ost- und SĂŒdeuropa. Manche Regionen melden heuer TotalausfĂ€lle.

Was bedeutet das fĂŒr Sie?

Wenn von zehn Ernten nur drei ertragreich sind, wird die Marille entweder dreimal so teuer – oder die Bauern geben auf und schneiden die BĂ€ume um. Ich bin selbst Marillenbauer in der Wachau. Ich freue mich jedes Jahr auf den 1. November – dann beginnt die Vegetationsruhe und damit auch meine innere Ruhe. Aber von April bis Juli ist es jedes Jahr eine Zitterpartie: Frost, Hagel, Starkregen oder Trockenheit. Das Risiko wird immer grĂ¶ĂŸer. Wir lagern bewusst mehr ein – ein halbes bis dreiviertel Jahr liegt tiefgekĂŒhlt auf Vorrat. Das kostet Energie und Lagerplatz, aber es sichert unsere LieferfĂ€higkeit.

Die Marillenmarmelade wird zum Luxusgut?

Es ist bereits ein Luxusgut. Allerdings spiegeln die Preise die realen Kosten noch nicht wider – weder bei Bio noch bei konventionellen Lebensmitteln. Und ja, es gibt hochwertige Erdbeeren aus Ägypten – die werden fĂŒr 100 Dollar Lohn im Monat geerntet. Die sind geschmacklich okay – aber sie haben eine völlig andere ProduktionsrealitĂ€t.

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Der Staud's Pavillon am Yppenplatz in Wien-Ottakring

 © Bild: Matt Observe

Wie nachhaltig konsumieren wir wirklich?

Wenn man fragt, was Menschen gerne kaufen, sagen sie: regional, bio, fair. Aber an der Kassa regieren Preis und Aktion. Da braucht es ein neues Bewusstsein – fĂŒr die Ware, fĂŒr die Menschen dahinter. Nachhaltigkeit beginnt fĂŒr mich beim Umgang miteinander. Wer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter respektvoll behandelt, wer langfristig denkt, gewinnt Vertrauen – und auch wirtschaftliche StabilitĂ€t. Wer das nicht versteht, wird es ĂŒber die Zahlen auch nicht erfassen. Diese Haltung ist die Basis unserer Arbeit.

Staud’s ist ein multikultureller Betrieb 


Staud’s wurde 1971 gegrĂŒndet. Schon damals waren die ersten Mitarbeitenden Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien – weil es in Österreich praktisch VollbeschĂ€ftigung gab. Heute arbeiten bei uns Menschen aus zwölf Nationen: aus Europa, Afrika und Asien. Wir sprechen Deutsch, manchmal Englisch. Ich habe riesigen Respekt vor diesen Kolleginnen und Kollegen. Viele sprechen drei Sprachen – ihre Muttersprache, Englisch und Deutsch. Sie sind bestens integriert. Das ist ein enormer Wert. Ich bin seit 1991 dabei. Ich habe in Klosterneuburg an der HBLA fĂŒr Weinund Obstbau maturiert. Ich wollte nach Wien, in einem Lebensmittelbetrieb arbeiten und eigentlich nur fĂŒr ein halbes Jahr bleiben. Aber die Marmelade hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe im Betrieb alles gemacht: Lager, Produktion, Messen, Verkauf. Diese Erfahrung hilft mir bis heute, alle TĂ€tigkeiten im Betrieb wertzuschĂ€tzen. Die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist eine große Herausforderung. Vor allem in Zeiten wie diesen. Man trĂ€gt Verantwortung – fĂŒr 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, fĂŒr deren Familien, fĂŒr Lieferanten, fĂŒr Kundinnen und Kunden. Man will Entscheidungen treffen, die Bestand haben. Das raubt manchmal den Schlaf.

Was bereitet Ihnen die grĂ¶ĂŸten Sorgen?

Die Versorgungssicherheit. Die Frage: Bekommen wir genug gute FrĂŒchte? Können wir einen gerechten Preis erzielen, ohne eine Preisschwelle zu ĂŒberschreiten? Sparen dĂŒrfen wir nie bei der QualitĂ€t – und nicht bei der Entlohnung. Die Vielfalt ist unsere StĂ€rke, auch wenn sie teuer ist. Gerade die kleinen Chargen, die besonderen Sorten – die machen unsere Kompetenz aus.

Und das Geheimnis hinter Ihrer Marmelade?

Vier Zutaten. Kein kĂŒnstliches Aroma, kein GeschmacksverstĂ€rker. Gute FrĂŒchte, schonend verarbeitet. Das war’s. Am Ende zĂ€hlt der Geschmack.

Wie viel Familie steckt heute noch in Staud’s?

Hans Staud, der GrĂŒnder, ist unser Mentor – auch wenn er im Ruhestand ist. Wir fĂŒhren den Geist weiter. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind seit Jahrzehnten dabei. Das spricht fĂŒr sich.

Wenn Sie Ihrem Nachfolger etwas mitgeben dĂŒrften – was wĂ€re das?

Den Respekt vor den Menschen. Die Treue zur QualitĂ€t. Und das Bewusstsein: Nur mit langfristigen Partnerschaften schafft man StabilitĂ€t – und Ruhe. Das ist das Fundament.

Dieser Beitrag ist ursprĂŒnglich in der News-Printausgabe Nr. 30+31/25 erschienen.

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