von
"Wir müssen die Potenziale jener Ausländer nützen, die wir nicht gerufen haben, die aber da sind, etwa geflüchtete Minderjährige", so der AMS-Chef. "Mit der richtigen Förderung könnten auch sie einen Lehrabschluss schaffen und die für morgen benötigten Arbeitskräfte werden." Bundesländer wie Kärnten würden künftig besonders unter einem Arbeitskräftemangel leiden.
Österreich versucht seit Jahren mehr Fachkräfte von außerhalb der EU anzuwerben. Die Zahlen steigen, sind aber auf niedrigem Niveau. Über 12.400 qualifizierte Arbeitskräfte von außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums verfügten zu Jahresmitte über eine Rot-Weiß-Rot (RWR)-Karte, die eine befristete Niederlassung in Österreich mit beschränktem Arbeitsmarktzugang ermöglicht. Zum Vergleich: Hierzulande gibt es rund 4 Millionen unselbstständig Beschäftigte.
Für Österreichs Arbeitsmarkt und Wirtschaft waren die 2020er-Jahre bisher turbulent: Zuerst Coronapandemie, dann Rekordteuerung und zuletzt über zwei Jahre Wirtschaftsabschwung. Die Arbeitslosenzahlen steigen seit April 2023 und sollen laut aktuellen Prognosen im Jahr 2026 sinken. "Vom Arbeitsmarkt gibt es derzeit nichts Erfreuliches zu berichten", kommentierte der AMS-Chef zu Monatsbeginn die September-Arbeitsmarktdaten. In den nächsten Jahren erwarten die Wirtschaftsforscher durch mehr Wirtschaftswachstum und den demografischen Wandel eine gewisse Entspannung am Arbeitsmarkt. Bis 2030 rechnet das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) mit einem spürbaren Rückgang der Arbeitslosenquote von heuer 7,5 Prozent auf 5,9 Prozent.
Zehn Jahre nach der großen Flüchtlingswelle zieht Kopf ein positives Zwischenfazit. "Mehr als 60.000 Personen aus Syrien, Afghanistan, Irak und Iran sind in Österreich in Beschäftigung. Wir haben wahnsinnig viel geschafft", betonte der AMS-Vorstand. "Wir sind aber noch nicht fertig, weil nach 2016 in den Folgejahren konstant immer noch Menschen aus diesen Regionen nach Österreich gekommen sind." Derzeit leben rund 75 Prozent der Flüchtlinge in Wien. Kopf hat sich in der Vergangenheit mehrfach für eine Wohnsitzauflage bzw. Residenzpflicht ausgesprochen. Sie soll anerkannte Flüchtlinge über einen längeren Zeitraum in dem ersten Bundesland halten, in dem sie Asyl bekamen. Damit soll ein zu starker Zuzug nach Wien verhindert werden.
Als großes Problem für die heimische Wirtschaft ortet der AMS-Chef das sinkende Arbeitsvolumen. Zwischen 2008 und heute sei die Anzahl der unselbstständig Beschäftigten von 3,39 auf 3,96 Millionen gestiegen, aber die gesamt geleisteten Arbeitsstunden seien leicht gesunken. "Dass wir im Durchschnitt immer weniger arbeiten, ist gut für die Arbeitslosenzahlen, aber schlecht für den Wirtschaftsstandort, für die Produktivität und die Sozialversicherung."
Einen großen Hebel, um die Arbeitszeit der Beschäftigten zu heben, sieht Kopf durch flächendeckende Ganztagesbetreuungsangebote für Kinder. "Erst wenn wir das haben, gibt es Wahlfreiheit. Dann kann man sich ansehen, welche Anreize es im System gibt, in Teilzeit zu verharren", sagte der AMS-Vorstand.
Österreich verzeichnete zuletzt die zweithöchste Teilzeitquote aller 27 EU-Staaten. Österreich lag damit hinter den Niederlanden und vor Deutschland. Die Debatte rund um Teilzeit flammte in den vergangenen Jahren mehrfach auf. Die ÖVP kritisierte die hohe Teilzeitquote angesichts des Fachkräftemangels und verwies auf negative volkswirtschaftliche Effekte sowie finanzielle Einbußen für die Sozialversicherung. SPÖ, Gewerkschaft und Grüne führten Betreuungs- und Pflegearbeit als Teilzeit-Hauptgründe ins Feld. FPÖ und NEOS wünschten sich mehr Leistungsanreize für Vollzeitarbeit.
Durch Künstliche Intelligenz (KI) erwartet Kopf insgesamt keinen Rückgang der Beschäftigung in Österreich. "Es wird Bereiche mit Problemen und Bereiche mit Chancen geben, wie bei jeder disruptiven Innovation seit der Erfindung der Dampfmaschine." Das Arbeitsmarktservice will KI verstärkt in seiner täglichen Arbeit einsetzen und ist mit anderen Arbeitsmarktverwaltungen in Europa wegen KI-Projekten im Austausch. "Wir haben sehr viele Ideen, wo wir KI verwenden können. Vielmehr als wir umsetzen können", sagte Kopf.
Derzeit setzt das AMS Künstliche Intelligenz unter anderem für die Kompetenzen-Beschlagwortung von Stellenangeboten ein. Die Anforderungen einer freien Stelle werden mit Kompetenzen beschrieben, anstatt wie früher nur die offizielle Berufsbezeichnung bei der Jobvermittlung zu verwenden. Laut AMS werden mittlerweile bereits über 45 Prozent der Stellen über das neue "Kompetenzmatching" vermittelt.
Anfang September hat das Arbeitsmarktservice den jahrelangen Rechtsstreit mit der Datenschutzbehörde rund um die Anwendung des AMS-Algorithmus "Arbeitsmarktchancen-Assistenzsystem (AMAS)" für sich entschieden. "So machen wir es sicher nicht mehr", kommentierte der AMS-Chef den Entscheid. Aktuell gebe "es keine Planungen" für ein Nachfolgeprojekt. "Eine Umsetzung würde mindestens zwei Jahre dauern."
Bei der Weiterbildungszeit wartet derzeit das AMS derzeit noch auf den Gesetzesbeschluss und die Umsetzungsdetails. Das Nachfolgemodell für die Bildungskarenz soll laut AMS-Planungen ab Anfang Mai 2026 starten. Es wird in der Administration komplizierter. Wenn das Gesetz und die Richtlinie beschlossen sind, braucht das AMS rund sechs Monate für die Vorbereitung", erklärte Kopf. "Ich bin mit der Reform zufrieden. Wenn man schon einsparen muss, dann hat man klug eingespart." Kopf wünscht sich aber generell mehr finanzielle Mittel für Weiterbildung. In der Vergangenheit kostete die Bildungskarenz rund 600 Mio. Euro pro Jahr. Die ÖVP/SPÖ/NEOS-Regierung hat nun 150 Mio. Euro jährlich für das strengere Nachfolgemodell budgetiert. Der AMS-Chef rechnet damit, dass rund 5.000 Personen pro Jahr die Weiterbildungszeit nutzen können.