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Was in Europa Ende vergangener Woche nur am Rande von Wall Street-Börsennachrichten auftauchte, ein Kurseinbruch bei dem US-Biotech-Unternehmen Sarepta, hat womöglich für eines der weltweit innovativsten medizinischen Forschungsgebiete große, wenn nicht fatale Konsequenzen: die Gentherapie. Das Verfahren, bei dem Patientinnen und Patienten im Rahmen einer Infusion sogenannte Vektoren mit "Reparatur-Erbgut" für vorhandene Mutationen erhalten, soll durch Mutationen ausgefallenes oder beeinträchtigtes Erbgut ersetzen. Speziell eignet sich das Prinzip für Erbkrankheiten auf der Basis der Mutationen in nur einem Gen. Die Bluterkrankheit (Hämophilie), die Spinale Muskelatrophie (SMA) oder die kombinierte Immunschwäche (SCID) sind dafür Beispiele.
Am Freitag allerdings platzte in den USA eine sprichwörtliche Bombe. Die US-Food and Drug Administration (FDA) hat die klinischen Studien zur Gentherapie von Sarepta Therapeutics zur Behandlung der Gliedergürteldystrophie ausgesetzt. "Grund dafür waren drei Todesfälle, die möglicherweise mit diesen Produkten in Zusammenhang stehen. Außerdem gab es neue Sicherheitsbedenken, wonach die Studienteilnehmer einem unangemessenen erheblichen Risiko von Erkrankungen oder Verletzungen ausgesetzt sind oder sein könnten", schrieb die ehemals mächtige, unter der Donald-Trump-Administration zuletzt aber personell stark geschwächte Arzneimittelbehörde.
Bei dem verordneten Stopp geht es um das Aussetzen der derzeit laufenden klinischen Studien zur Behandlung der extrem seltenen Gliedergürteldystrophie. Es handelt sich dabei um einen fortschreitenden Abbau an Muskeln im Schulter- und Beckengürtelbereich, der auch das Herz betreffen kann. Eine ursächliche Behandlung war bisher nicht möglich.
Die Ursache für die Maßnahme der FDA war der nunmehr schon dritte Todesfall unter einer Sarepta-Gentherapie. Laut dem US-Pharma-Informationsdienst "Fierce" geht es dabei um einen 51-jährigen Mann mit Gliedergürteldystrophie (Typ 2D/R3), der an einer Phase-I-Studie zur ersten Bestimmung der Sicherheit eines potenziellen Gentherapeutikums teilnahm. Die Infusion enthielt eine experimentelle Gentherapie mit dem Präparat SRP-9004. Der Patient starb an einem akuten Leberversagen.
Frühe klinische Studien in einem solchen Umfeld sind bei allen Sicherheitsvorkehrungen immer auch mit einem kleinen Risiko verbunden. Doch in diesem Fall geht es um eine potenziell viel größere Sache: Im Juni 2023 wurde eine Gentherapie von Sarepta von der US-Arzneimittelbehörde für noch gehfähige Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) zugelassen. Etwa ein Jahr später erhielt das Behandlungsverfahren (Elevidys) in den USA auch die Zulassung für nicht mehr gehfähige DMD-Patienten.
Im Frühjahr dieses Jahres aber schrillten bereits die Alarmglocken. Sarepta meldete den ersten Todesfall eines Elevidys-Patienten (Duchenne Muskeldystrophie) im März, einen zweiten Todesfall vor einigen Wochen im Juni 2025. Dies veranlasste das Unternehmen, die kommerzielle Anwendung der Gentherapie für nicht gehfähige DMD-Betroffene auszusetzen.
Die Ursache für diese beiden Todesfälle war ebenfalls akutes Leberversagen. Und sowohl bei der noch experimentellen Gentherapie gegen die Gliedergürtelmuskeldystrophie (dritter Todesfall) als auch bei der Gentherapie gegen die Duchenne Muskeldystrophie wird als Transportvehikel zum Einschleusen von "Reparatur-Erbgut" in den Organismus der Behandelten ein bestimmter, von Adenoviren abgeleiteter Vektor verwendet. Die FDA stellte in ihrer Mitteilung fest, dass die drei gemeldeten Todesfälle von Sarepta-Patienten "offenbar auf akutes Leberversagen bei Personen zurückzuführen sind, die mit Elevidys oder der experimentellen Gentherapie mit demselben AAVrh74-Vektortyp behandelt wurden, der auch in Elevidys verwendet wird".
Gerade die Verwendung von AAVrh74-Vektoren in den beiden Gentherapieformen, bei deren Anwendung die Todesfälle aufgetreten sind, könnte beunruhigen. Die FDA hat jedenfalls dieser Technik den Status einer "Plattformtechnologie" entzogen, "weil unter anderem angesichts der neuen Sicherheitsinformationen die vorläufigen Beweise nicht ausreichen, um nachzuweisen, dass die AAVrh74-Plattformtechnologie das Potenzial hat, in mehr als ein Medikament integriert oder von mehr als einem Medikament verwendet zu werden, ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen".
In den Vereinigten Staaten ist über die Maßnahmen bereits offener Streit ausgebrochen. Die FDA fordert nämlich, dass Sarepta vorläufig freiwillig auf alle weiteren Lieferungen der DMD-Gentherapie (auch für noch gehfähige Patienten) verzichtet und die Therapie vom Markt nimmt. Das Unternehmen hatte das bis Montag zunächst abgelehnt. Man habe keine neuen oder veränderten Sicherheitssignale bei gehfähigen DMD-Patienten festgestellt, die ein solches Vorgehen rechtfertigen würde, hieß es. Schließlich entschloss man sich in der Nacht auf Dienstag doch noch zu einem Lieferstopp.
In Europa wurde die Duchenne-Gentherapie noch nicht zugelassen. Der Schweizer Pharmakonzern Roche hat am 24. Juni 2024 bekanntgegeben, dass man bei der EU-Arzneimittelagentur EMA einen Antrag für die Marktzulassung von Elevidys für gehfähige Duchenne-Patienten im Alter von drei bis sieben Jahren eingereicht habe. Der Antrag basiere unter anderem auf positiven Ergebnissen in einer Wirksamkeitsstudie der Phase III. Roche hat im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit Sarepta aus dem Jahr 2019 den außeramerikanischen Markt für die Gentherapie übernommen.
Die neuen Entwicklungen könnten jedenfalls die weitere Entwicklung von Gentherapien auch insgesamt beeinflussen. Ursprünglich von Adenoviren abgeleitete Genvektoren (AAVs) werden auf diesem Gebiet vielfältig verwendet.
Gleichzeitig sind natürlich auch die Hoffnungen von vielen Betroffenen von bisher nicht ursächlich behandelbaren Erbkrankheiten bedroht. Das Beispiel der Duchenne Muskeldystrophie: "Duchenne ist eine seltene, genetisch bedingte Muskelschwunderkrankung, die bereits in der frühen Kindheit rasch fortschreitet. Weltweit wird etwa 1 von 5.000 Buben mit Duchenne geboren, während Duchenne bei Mädchen sehr selten ist. Jeder Duchenne-Kranke verliert die Gehfähigkeit sowie die Funktion der oberen Gliedmaßen und der Lunge sowie des Herzens. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 28 Jahre", schrieb Roche vergangenes Jahr in einer Presseaussendung. In Skelettmuskeln, aber auch im Herzen oder in der Lunge wird dabei Muskelgewebe langsam durch Narben- und Fettgewebe ersetzt. Es verliert seine Funktion.
Ursache für die Erkrankung ist eine durch Mutationen im DMD-Gen beeinträchtigte körpereigene Bildung des Muskelproteins Dystrophin. Genau das soll die Gentherapie wieder gewährleisten. Elevidys soll eine Miniversion des Dystrophin-Gens in den Organismus der Behandelten einschleusen und so den Schaden reparieren. "Sie (die Therapie; Anm.) zielt darauf ab, die zugrunde liegende Ursache von Duchenne durch die gezielte Expression (körpereigene Produktion; Anm.) des von Elevidys produzierten verkürzten Dystrophins in Skelett-, Atem- und Herzmuskulatur zu bekämpfen. Elevidys ist eine einmalige Behandlung, die durch eine einmalige intravenöse Gabe verabreicht wird", stellte der Schweizer Konzern fest.
In den USA hat Sarepta bereits die Entlassung von Hunderten Beschäftigten angekündigt. Die Rede war von 500 Jobverlusten, was rund ein Drittel der gesamten Belegschaft sein soll. Man wolle jährlich 400 Millionen US-Dollar an Ausgaben einsparen, hieß es. "Der Tod des LGMD-Patienten ereignete sich im Juni und wurde zunächst nicht von Sarepta, sondern von der Nachrichtenagentur Bio Century bekannt gegeben", schrieb übrigens der US-Pharma-Informationsdienst "Fierce".