News Logo
ABO

Klima-Glossar: Gravitative Massenbewegungen

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
8 min
Häufigkeit nimmt mit den Auswirkungen des Klimawandels zu
©APA, KEYSTONE, MICHAEL BUHOLZER
Hangrutschungen, Muren, Berg- oder Felsstürze und Geröll-Lawinen: All diese Naturereignisse gehören zu den "gravitativen Massenbewegungen". Die Bezeichnung stammt aus der Geologie, wobei das Lateinische "gravitativ" bedeutet, dass die Schwerkraft dafür sorgt, dass Material hangabwärts transportiert wird. Allen Vorgängen mit oftmals zerstörerischen Folgen ist gemein, dass ihre Häufigkeit mit den Auswirkungen des Klimawandels stetig zunimmt.

von

Zunehmende Starkregenereignisse, wie auch deren Gegenteil Trockenheit, sind die zwei Folgen der menschengemachten Klimakrise, die dafür verantwortlich sind. Besonders in den Bergen oder spezifisch in Österreichs alpinen Regionen zählen diese Wetterphänomene zu den auslösenden Momenten von sogenannten gravitativen Massenbewegungen. Ebenso beeinflusst die Schwächung des Waldes, gleichfalls vom Klimawandel hervorgerufen, seine Schutzfunktionen für Siedlungen vor Steinschlag & Co. In höheren Lagen oberhalb der Baumgrenze fehlt der Wald generell, was beim Auftauen des Permafrosts die Gefahr einer solchen Massenbewegung ebenso erhöhen kann.

Neben den rasch eintretenden Ereignissen gibt es auch langsame Massenbewegungen wie den Talzuschub oder das Hangkriechen. Bei diesen Vorgängen bewegen sich große Flächen eines Berges talwärts. Der Vorgang ist sehr langsam, manchmal sogar nur wenige Millimeter pro Jahr. Die deutlich größere Gefahr geht von plötzlich und mit großer Wucht auftretenden Prozessen aus, wie etwa Muren. Muren können etwa dann entstehen, wenn ein steiler Hang aus wenig verfestigtem Material mit Wasser "übersättigt" ist, nach einem Starkregenereignis zum Beispiel.

Millionen Menschen weltweit leben in Regionen mit hohem Risiko für Rutschungen, das fordert immer wieder Todesopfer und hat massive wirtschaftliche Schäden zur Folge, erklärt Margit Kurka, Geologin am Joanneum Research, im Gespräch mit der APA. Besonders betroffen ist Europa, wobei Österreich innerhalb Europas zu den am stärksten gefährdeten Ländern zählt. Die geologischen und geomorphologischen Gegebenheiten begünstigen hier gravitative Massenbewegungen. Zusätzlich wirken dynamische Faktoren wie Extremwetterereignisse, Entwaldung sowie Veränderungen in der Landnutzung und -bedeckung als Auslöser oder Verstärker solcher Prozesse.

Laut Geosphere Austria verursachen gravitative Massenbewegungen in Österreich jedes Jahr ökonomischen, sozialen und ökologischen Schaden. In der Südoststeiermark wurden beispielsweise bei den Niederschlägen im August 2023 - ausgelöst durch das Tiefdrucksystem "Zacharias" - über 3.000 Rutschungen dokumentiert, die Schäden betrugen über 30 Mio. Euro. In Niederösterreich hat es nach starken Regenfällen Ende September 2024 einige hundert Hangrutschungen über das gesamte Bundesland verteilt gegeben.

Durch die Klimakrise werden gravitative Massenbewegungen wie zum Beispiel Rutschungen und Muren häufiger, in nicht gekannter Größe und in Gebieten auftreten, die bisher davon verschont waren, sagte kürzlich Thomas Glade, Experte für Geomorphologie, Risikoprävention und Katastrophenschutz an der Universität Wien im Gespräch mit der APA. Sie bringt nämlich vermehrt extreme Niederschläge. Dann steht in den betroffenen Regionen kurzfristig viel mehr Wasser zur Verfügung als früher, das Geröll und Erdreich mobilisiert und mit ihnen talwärts strömt. In Österreich sei durch die frühere Vergletscherung der Alpen sehr viel verfügbares Sediment-Material (Ablagerungsmaterial, Anm.) für Muren in den Hanglagen, sagte Glade.

2018 haben Forschende des Austrian Institute of Technology (AIT) ihre Erkenntnisse über den Zusammenhang von Massenbewegungen und Klimawandel bei der Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU) in Wien vorgestellt. Sie untersuchten, wie tagelang dauernder Starkregen die Gefahr erhöht, dass in Österreich, Deutschland und der Schweiz größere Erd- und Gesteinsmassen talwärts stürzen. Demnach sei sogar in niedrigen Lagen bis zum Ende des Jahrhunderts im Schnitt ein zusätzlicher Erdrutsch pro Jahr zu erwarten, in höher gelegenen Regionen seien es vierzehn zusätzlich. Während die Gefahr in der näheren Zukunft bis 2050 nur mäßig steige, nehme sie dann bis 2100 stärker zu.

In Österreich hätten unter anderem ein Hangrutsch in Kärnten und mehrere Murenabgänge in Tirol und Salzburg gezeigt, was passieren kann, wenn die dahinterstehenden schadensverursachenden Gewitter während des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus zunehmen werden, "je höher die Temperatur ansteigt", erklärte Herbert Formayer, wissenschaftlicher Leiter des Klimastatusberichts, Anfang April 2022.

Als Grund nannte Formayer "die Kombination aus einer gesicherten Zunahme der Niederschlagsintensität um etwa zehn Prozent pro Grad Erwärmung und einer wahrscheinlichen Zunahme der Häufigkeit instabiler Luftschichtungen im Alpenraum". Der Statusbericht widmete sich den Unwetterfolgen im Jahr 2021. In Europa sorgte damals Tief "Bernd" am 14. und 15. Juli für Regenmengen von 100 Liter pro Quadratmeter und 200 Todesopfer - und auch wenn die verheerendsten Folgen in Deutschland und Belgien auftraten, war auch Österreich mit Überschwemmungen in der Halleiner Altstadt oder Murenabgängen in Salzburg intensiv betroffen.

Laut der ehemaligen Geologischen Bundesanstalt (GBA), inzwischen Teil der Geosphere Austria, betreffen Massenbewegungen "vornehmlich jene Hangbereiche, die einerseits durch menschliche Eingriffe (z.B. Böschungen), andererseits im Zuge sich wandelnder Klimabedingungen instabil werden".

Angesichts der Situation sprechen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür aus, dass Rutschungen mehr in der Raumplanung berücksichtigt werden sollten. Dazu sollte man etwa die Prozesse wissenschaftlich besser erforschen, die zur Entstehung von Muren führen, und zwecks Prävention die Raumplanung überprüfen, um sie gegebenenfalls zu revidieren, forderte Thomas Glade. "Auch bei den technischen Schutzwerken gilt es zu schauen, ob die Dimensionierungen noch ausreichend sind für die Dinge, die wir in der Zukunft erwarten können", erklärte Glade. Auch müsse man an Systemen arbeiten, die es möglich machen, das Rutschungsrisiko vorauszusagen und davor zu warnen, etwa dynamische Gefahrenkarten.

Die gesamten Erkenntnisse zu den "Extremereignissen alpiner Naturgefahren in Österreich" finden sich unter https://extrema.univie.ac.at.

Broken trees swept away by the mud and stone flow above the village of Blatten, Switzerland, on Thursday, June 5, 2025. A large part of the village of Blatten, located in the Loetschental Valley in the canton of Valais, was buried under masses of ice, mud, and rock. Numerous houses were destroyed, and one person is missing. Between May 19 and 28, several million cubic meters of rock fell from the Kleines Nesthorn mountain above Blatten. This created a nine-million-tonne debris cone on the Birch Glacier, which ultimately collapsed on May 28, 2025. (KEYSTONE/Michael Buholzer).

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER