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Bohrung im Japangraben mit Tief-Blick ins Starkbebenarchiv

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Aktualisiert
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9 min
Geologe Michael Strasser (l.) mit Mitarbeiterinnen auf dem Bohrschiff
©APA
Der Japangraben, ein tektonisch hochsensibler Tiefseegraben im Pazifik, birgt ein seltenes Archiv: Die Sedimentablagerungen in 7,5 bis 8 Kilometern Meerestiefe zeugen von historischen Starkbeben-Ereignissen. Von Ende November bis Mitte Dezember zog ein internationales Team mit Tiroler Forschern dort erneut Proben - diesmal mit einem Tiefseebohrschiff. Die Bohrkerne lassen nun "wohl mehrere hunderttausend Jahre" zurückblicken, berichtete Geologe Michael Strasser.

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"Diese Bohrkerne geben uns erstmals einen durchgehenden Blick in die Erdbeben- und Tsunamigeschichte des Japan-Grabens", so der Wissenschafter. Es ist nicht die erste Expedition, die der Professor von der Universität Innsbruck zum Japangraben unternommen hat. Bei jener im Jahr 2021 stieß die internationale Mannschaft - damals wie heute war Strasser als Co-Chief-Scientist dabei - so tief wie nie zuvor in den Untergrund vor: Man habe damals die tiefste Stelle in einer Wassertiefe von 8.023 Metern erbohrt und Sedimentproben mit einer Länge von rund 40 Metern entnehmen können, hieß es über die Expedition 386 des International Ocean Discovery Program (IODP). Damit konnte man vergangene Erdbebenprozesse und deren Auswirkungen auf die sogenannte hadale Zone bis mindestens 24.000 Jahre in die Vergangenheit erforschen.

"Damals haben wir die Bohrkerne mit einem Drahtseil gezogen", sagte Strasser zur APA. Statt dem Seilkernbohrverfahren ermöglichte das diesmal zur Verfügung stehende Tiefsee-Bohrschiff "D/V Chikyu" der Expedition 503 des neuen International Ocean Drilling Programme (IODP3) - laut der Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology (JAMSTEC) "eines der größten Forschungsschiffe der Welt" - eine noch viel größere Reichweite. So vermeldete die JAMSTEC wiederum einen Rekord: Man habe im zentralen Japan-Graben erstmals eine vollständige Abfolge der dort abgelagerten Tiefseesedimente aus einer Wassertiefe von über 7.600 Metern gewonnen und damit einen neuen Wassertiefenrekord in der wissenschaftlichen Tiefseebohrung - also mittels "Drill Pipes", wie sie auf dem Schiff zur Verfügung standen - gesetzt, hieß es in einer Mitteilung anlässlich des Expeditionsendes am Freitag.

Rund um die Uhr zog das Expeditionsteam zwei Wochen lang Bohrkerne. "Alle drei Stunden wurde wieder ein 9,5-Meter-Bohrkern mit sechs Zentimetern Durchmesser hochgezogen", berichtete Strasser. Für den Projektleiter und seinen japanischen Co-Leiter bedeutete dies Zwölf-Stunden-Schichten: "Ab dem Heraufholen mussten wir genau überwachen, wie etwa der Bohrkern von der Entnahme unter dem Bohrturm in die Labore wandert und beprobt wird."

Diesmal nahm man sich zwei rund 330 Kilometer nordöstlich von Fukushima mitten im nordwestlichen Pazifik gelegene Stellen vor und stieß in 7.608,5 Metern Wassertiefe ins Sediment vor. Die aktuellen Bohrungen liegen in jener Gegend, die u.a. mit dem am 11. März 2011 aufgetretenen Starkbeben sowie dem anschließenden Tsunami in Verbindung gebracht wird, die letztlich die "Nuklearkatastrophe von Fukushima" auslösten.

Der Japangraben ist tektonisch das Resultat einer "Subduktionszone": Hier taucht die Pazifische Platte unter die Eurasische Platte ab. Das mit einem 120 Meter hohen Bohrturm und einer rund 7.800 Meter langen "Pipe" (Rohr) mit Bohrkopf ausgestattete Schiff ließ die Forschenden das erste Bohrloch "erfolgreich bis in eine Sedimenttiefe von 182 Metern beproben - mit insgesamt 20 heraufgeholten Bohrkernen", so Strasser: "Ingenieurtechnisch ist das schon gewaltig!"

Das zweite Bohrloch wurde bis 160 Meter Tiefe beprobt. Die Bohrkerne wurden dabei so gezogen, dass sie die Übergänge jener der ersten Bohrkerne "zerstörungsfrei" wiedergeben - um "das Ziel eines lückenlosen Erdbebenarchivs" zu erreichen. Die Proben wurden bereits von den rund 26 an Bord befindlichen Wissenschaftern und rund 25 Labortechnikern ersten Standardauswertungen, etwa mit Datierungsmethoden, unterzogen, und das Vorkommen von Mikrofossilien in den Ablagerungen erhoben - unter Einsatz von Hightech und Künstlicher Intelligenz: "Als wir vor vier Jahren noch unterwegs waren, haben zwei Kollegen stundenlang ins Mikroskop geschaut und die Tierchen und Pflanzenfossilien gezählt - jetzt lässt die Kollegin die KI drüberlaufen und generiert sehr schnell nochmals viel mehr Daten", so Strasser: "Auf dem Schiff waren unterschiedlichste Forschungsdisziplinen vertreten, und Labore mit einer Ausstattung wie Top-Mikroskopen oder Massenspektrometern, von der man nur träumen kann. Das Schiff war quasi eine schwimmende Universität."

Nun arbeitet das internationale Team (vier Forschende kommen aus Innsbruck) ein Jahr lang gemeinsam an der Auswertung der Proben und Vorbereitung von Publikationen. Anschließend stehen die Daten dann den einzelnen Gruppen zur weiteren freien Verwendung zur Verfügung.

Zwei große Fragen waren Treibstoff der Mission: "Niemand weiß, wie oft Erdbeben und damit verbundene Tsunamis - wie das Ereignis von 2011 oder etwa der 'Weihnachtstsunami' aus 2004 - auftreten. Wir haben in den vergangenen 100 Jahren, seitdem wir diese Großereignisse messen können, fünf Megabeben erhoben", so Strasser. Ungeklärt sei, ob diese Events mit einer Magnitude von 9 oder größer regelmäßig stattfinden und ob sie einem "übergeordneten Zyklus" folgen. "Hier konkurrieren zwei Hypothesen: Die eine geht von einer zufälligen Verteilung aus - die andere von einer gewissen Regelmäßigkeit, und um das zu testen, braucht man ein Archiv mit einer langen Zeitreihe."

Als zweites interessierte die Rolle dieser Zonen für den Kohlenstoffkreislauf und letztlich auch Klimawandel: "Diese Tiefseegräben waren bisher schwarze Löcher auf unserer Landkarte des Verständnisses des Kohlenstoffkreislaufs, aber hier wird sehr viel Kohlenstoff umgesetzt und umgelagert." Auch hier gebe es wieder zwei Hypothesen. Eine gehe davon aus, dass Tiefseegräben als große Kohlenstoffsenken dienen - eine andere gehe von einer Rückführung des Kohlenstoffs in die Ozeane aus.

Die Speicherung von Kohlenstoff im Meeresgrund konnte bei der Expedition 2021 mit einer aktiven "Remineralisierung" von organischem Kohlenstoff in den Tiefseegräben in Zusammenhang gebracht werden. Man ging also davon aus, dass Megabeben für mehr gelösten Kohlenstoff verantwortlich sind: Tektonische Ereignisse könnten die Kohlenstoffakkumulation verstärken und die Kohlenstoffumwandlung in diesen Graben-Systemen stimulieren, "was den Kohlenstoffexport in die Subduktionszonen beschleunigen kann", schrieben 2023 die Forschenden in "Nature Communications" (DOI: 10.1038/s41467-023-41116-w). "Jetzt haben wir die Bohrkerne, wo wir das dann messen können", so Strasser, der sich über erste Messungen auch schon sehr begeistert zeigte: "Mehr darf ich noch nicht verraten."

"Das ist das Schönste für einen Forscher auf dem Schiff: Man lernt so viel, und man darf Kind sein und Neues entdecken", so der Geologe, der diese Art von Expeditionserfahrung, einhergehend mit dem Kontakt zu internationalen Kollegen, auch vor allem für den Nachwuchs als essenziell ansieht. Seit 2001 nimmt Österreich am International Continental Scientific Drilling Program teil, seit 2004 an dem IODP. Was bedeutet dies für den Tiroler? "Wir bohren zwar auch in österreichischen Seen. Aber wir erforschen Erdsysteme, und diese hängen zusammen. Der Zugang zu diesen exzellenten kooperativen Großforschungsprogrammen ist daher - auch für ein Binnenland - wichtig. Die Astronomen nutzen NASA-Missionen - wir nutzen IODP-Expeditionen, um mit Bohrschiffen in unbekannte Gefilde auf - unserem eigenen - Planeten vorzudringen."

Service: IODP3-Expedition 503: "Hadal Trench Tsunaigenic Slip History": https://iodp3.org/expedition/503/, JAMSTEC: https://www.jamstec.go.jp/e/, Uni Innsbruck: https://www.uibk.ac.at/de/geologie/news/

FUKUSHIMA - JAPAN: FOTO: APA/JAMSTEC/IODP3

INNSBRUCK - ÖSTERREICH: FOTO: APA/JAMSTEC/IODP3

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