von
"Diese Menschen haben Kränkungen erlitten, die von außen Kinkerlitzchen sind, aber die für sie die Welt bedeuten", sagte Haller. "Das können kleine Sticheleien sein, denen man von außen hin nicht viel Aufmerksamkeit schenkt." Dennoch handle es sich um "schwer getroffene Individuen". Diese fahren nicht an ihre Schule - oder teils Jahre später an ihre ehemalige Schule -, um bestimmte Lehrer oder Schüler zu töten, die sie gekränkt haben. Es gehe um die Schule als Institution und Rache an der aus Tätersicht "kalten, ausschließenden Gesellschaft", berichtete Haller aus Untersuchungen zu ähnlichen Fällen und rund 300 "School Shootings", vor allem in den USA.
Es handle sich dabei nicht um Amokläufe, die mit Verwirrtheit zu tun haben, sondern um einen gezielten Vorgang gegen die Schule. Die Institution sei der "Ort der meisten Kränkungen", sagte der Psychiater und Psychotherapeut. Die Täter fühlen sich beispielsweise von Lehrern schlecht beurteilt oder wurden nicht zu Geburtstagspartys eingeladen. Innerlich entstehe eine schwere Kränkung bei der Person. Diese Menschen seien meist "im Gesamten psychisch gar nicht so besonders auffallend", oft aus guten familiären Verhältnissen und konsumieren nicht mehr Drogen oder aggressive Computerspiele als andere, erläuterte Haller.
Wie diese Personen und ihr Umfeld besser damit umgehen können, bevor es zu solchen Taten kommt, sei "das große Problem", weil die Täter in ihrem Innenleben oft eine "so große Geschundenheit" empfinden. Es gebe aber drei Punkte, die getan werden können. Erstens wurden "kriminologisch große Fortschritte gemacht" und es sei bereits immer wieder gelungen, Schulamokläufe zu verhindern.
Zweitens sollte an Schulen, wenn es zu harten Beurteilungen oder Entlassungen kommt, mit dem Betroffenen gesprochen und nachgefragt werden - beispielsweise: "Was geschieht mit dir", "was hast du für Pläne"? Drittens "sollten wir im Umgang mit Menschen mitdenken, dass es Personen gibt, die sich vereinsamt fühlen, die sich schwer tun, über ihre eigenen Probleme zu sprechen", weil dies "nicht männlich" sei oder aus ähnlichen Gründen. Mit diesen Menschen gelte es zu versuchen, ins Gespräch zu kommen, "dass wir versuchen, sie dort zu befreien".
Die Täter seien jedoch zuvor oft völlig unauffällig. "Mit Schuldzuweisungen muss man sehr vorsichtig sein", betonte Haller daher in Bezug auf das Umfeld. Er habe den Täter von Graz auch nicht untersucht, hielt er fest. Hinter den zahlreichen Bombendrohungen gegen Schulen in jüngster Zeit stecke jedenfalls "eine andere Psychologie", sagte der Experte auf Nachfrage. Sein Mitleid gelte den Angehörigen der Opfer von Graz. Es sei "das Schlimmste, was einem Angehörigen oder Elternteil passieren kann", drückte er sein "Entsetzen" und "tief empfundenes Beileid" aus.