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Selenskyj erstmals seit Kriegsbeginn in Österreich

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Platzsperre am Heldenplatz wegen Besuch des ukrainischen Präsidenten
©APA, HELMUT FOHRINGER
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist am Montag mit militärischen Ehren in Wien empfangen worden. Es handelt sich um den ersten Österreich-Besuch des ukrainischen Staatsoberhaupts seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022. Selenskyj wird von seiner Ehefrau Olena Selenska zu dem offiziellen Besuch begleitet. Das Paar wurde kurz nach 13.00 Uhr von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seiner Frau Doris Schmidauer begrüßt.

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Eine gemeinsame Pressekonferenz der beiden Staatsoberhäupter ist für 15.00 Uhr geplant. Selenskyj trifft außerdem mit Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) und Vertretern aus der Wirtschaft zusammen. Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) holt Selenskyj vom Flughafen ab. Auch Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) trifft Selenskyj zu einem Arbeitsgespräch. Dabei möchte der SPÖ-Chef ihm Österreich als Standort für zukünftige Friedensverhandlungen anbieten. In der Delegation Selenskyjs befinden sich mehrere Minister, unter anderen der ukrainische Außenminister Andrij Sibyha. Bilaterale Memoranden of Understanding und Absichtserklärungen sollen unterzeichnet werden.

Selenska ihrerseits nimmt an einem Treffen der First Ladies and Gentlemen am Mittwoch in der Hofburg teil. Laut der Tageszeitung "Die Presse" haben bereits Suzanne Innes-Stubb, Ehefrau des finnischen Präsidenten, Aleš Musar, Ehemann der slowenischen Präsidentin Nataša Pirc Musar, sowie Lucrecia Peinando, die First Lady Guatemalas, ihr Kommen zugesagt. Gastgeberin ist Doris Schmidauer. Der First Ladies and Gentlemen Summit findet seit 2021 auf Initiative von Selenska statt, in Kiew und als Online-Event. Schmidauer übermittelte bei einem derartigen Treffen im September 2014 eine Videobotschaft.

Scharfe Kritik an dem Besuch Selenskyjs übte die FPÖ. Die Freiheitlichen brachten im Nationalrat eine Dringliche Anfrage an Bundeskanzler Stocker ein, weil sich die Visite mit dem Beginn der Budgetdebatte im Nationalrat überschneidet. "Bekanntlich ist dieser Besuch der Grund für die Vorverlegung der Generaldebatte über das Belastungs-Budget, der sich die Regierung möglichst schnell entziehen will, um dem Oberhaupt eines kriegsführenden Staates zu huldigen und damit Österreichs Neutralität einmal mehr zu missachten", begründete die außenpolitische Sprecherin Susanne Fürst.

Lange bleiben wird Selenskyj ohnehin nicht können. Sein Büro bestätigte, dass er am G7-Gipfel der größten westlichen Industriestaaten teilnehmen wird. Das Treffen findet von Sonntag bis Dienstag in den kanadischen Rocky Mountains statt.

Österreich ist eines der letzten EU-Länder, die Selenskyj noch nicht besucht hat. Nur in Slowenien und auf Zypern war der ukrainische Staatschef seit Kriegsbeginn ebenfalls noch nicht. Nach Slowenien war jedoch Selenska zu einem Arbeitsbesuch gereist. Selbst in Ungarn war Selenskyj schon: Der ukrainische Präsident nahm auf Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán am Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) im November 2024 in Budapest teil. Auch im neutralen Malta war Selenskyj zu Gast und präsentierte dort bei einem Gipfel seine Friedensformel.

Selenskyj ist aber bereits mit Mitgliedern der ÖVP-SPÖ-NEOS-Regierung zusammengetroffen. Die erste bilaterale Reise im Amt der Außenministerin führte Meinl-Reisinger Anfang März nach Kiew, wo sie unter anderem von Selenskyj empfangen wurde. Ein Vier-Augen-Gespräch mit Selenskyj hatte Bundeskanzler Stocker. Es fand am Rande eines EU-Gipfels Anfang März in Brüssel statt. Eine freie souveräne Ukraine sei im Interesse Europas und der USA, hatte Stocker erklärt. Österreich habe im Rahmen der Neutralität an der Unterstützung für die Ukraine teilgenommen und werde dies auch weiter tun, betonte der Kanzler.

Die NEOS-Chefin setzte mit Ex-Manager Wolfgang Anzengruber Ende April außerdem einen Ukraine-Sonderkoordinator ein. Anzengruber soll beim Wiederaufbau unterstützen und koordinieren. Die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine werden auf 500 Milliarden Euro geschätzt. Dabei soll auch die Wirtschaft helfen. Mehr als 200 österreichische Unternehmen sind weiterhin direkt in der Ukraine tätig.

Österreich hat laut Außenamt bilateral seit Kriegsbeginn rund 327 Millionen Euro an staatlicher finanzieller und humanitärer Hilfeleistung für die Ukraine und ihre besonders betroffenen Nachbarstaaten mobilisiert. Dazu kämen Unterstützungsleistungen aus den österreichischen Bundesländern, aus privaten Initiativen und von österreichischen Unternehmen sowie weitere Leistungen, welche die Ukraine über den österreichischen Anteil an der EU-Unterstützung erhalte.

Selenskyj wandte sich seit Kriegsbeginn dreimal an die österreichische Politik und Bevölkerung. Ende März 2023 sprach Selenskyj per Videoschaltung zum Nationalrat. Dabei dankte er Österreich für die Hilfe und bat um Unterstützung bei der Entminung. Per Leinwand berichtete er, dass in der Ukraine 174.000 Quadratkilometer, etwa die doppelte Fläche Österreichs, durch Minen und nicht-explodierte Geschoße kontaminiert seien. Selenskyj betonte gegenüber den Abgeordneten im Plenarsaal, dass es wichtig sei, "moralisch nicht neutral gegenüber dem Bösen zu sein". Überschattet war die Veranstaltung vom Boykott durch FPÖ-Parlamentarier. Auch ein großer Teil der SPÖ-Abgeordneten blieb fern.

Ende Juni 2022 hatte Selenskyj im Rahmen des 4Gamechangers-Festivals in der Wiener Marx Halle in einer Live-Schaltung jenen gedankt, "die verstehen, wer an diesem Krieg schuld ist". Er verteidigte die Sanktionen gegen Russland und warnte vor einem "Migrationstsunami" aus Afrika. Bei einem Solidaritätskonzert im März 2022 auf dem Wiener Heldenplatz wurde eine voraufgezeichnete Videobotschaft von Selenskyj gezeigt.

Für Montag wurde auf dem Heldenplatz eine ganztägige Platzsperre verhängt. Die Polizei verbot das Betreten der Sperrzone, die auch den Volksgarten einschließt und bis zur Wallnerstraße reicht, ab 09.00 Uhr. Die Lesesäle der Nationalbibliothek und das Haus der Geschichte bleiben geschlossen. Gleichzeitig gab es eine große Polizeipräsenz. Zwei Kundgebungen wurden angekündigt: eine Demonstration zur "Unterstützung der Ukraine" sowie eine gegen den Besuch Selenskyjs.

Wolfgang Katzian, der Präsident von ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund) und EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund), äußerte zum Anlass des Besuchs "ernste Sorge". Er verwies auf die kurzzeitige Festnahme des Präsidenten des größten ukrainischen Gewerkschaftsbundes FPU, Hryhorij Osowyj, Anfang April. "Die Festnahme des Präsidenten des größten ukrainischen Gewerkschaftsbundes FPU und die Beschlagnahme ihres Gebäudes sind der vorläufige Höhepunkt einer zunehmend repressiven Linie der ukrainischen Regierung gegenüber unabhängigen, demokratischen Gewerkschaften", kritisierte Katzian am Montag in einer Aussendung.

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