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Das Sicherheitskabinett beschloss nach Angaben des Büros des Ministerpräsidenten zudem fünf Prinzipien, um den Krieg im Gazastreifen zu beenden. Dazu gehörten unter anderem die militärische Kontrolle des Küstengebiets durch Israel und die komplette Entwaffnung der islamistischen Hamas sowie die Entmilitarisierung des Gazastreifens. Anschließend solle dort außerdem eine alternative Zivilregierung aufgebaut werden.
Israel kontrolliert gegenwärtig nach Medienberichten rund drei Viertel des weitgehend zerstörten Küstenstreifens, in dem insgesamt etwa zwei Millionen Palästinenser leben. Seit Anfang der Woche war über eine komplette Einnahme des Gazastreifens durch Israel spekuliert worden. Die nun beschlossenen Pläne gehen der offiziellen Mitteilung zufolge vorerst nicht so weit.
Der TV-Sender N12 berichtete unter Berufung auf einen hochrangigen Beamten, der nun beschlossene Einsatz fokussiere sich ausschließlich auf die Stadt Gaza im Norden des Küstengebiets. Ziel sei die Evakuierung der Bewohner in Flüchtlingslager im zentralen Abschnitt des Gazastreifens - dies solle bis Anfang Oktober geschehen. Offizielle Details gab es dazu zunächst nicht.
Die radikal-islamische Hamas bezeichnet die israelische Entscheidung zur Übernahme der Kontrolle über die Stadt Gaza als Kriegsverbrechen. Die israelische Regierung kümmere sich nicht um das Schicksal ihrer Geiseln, teilt die Organisation mit.
Deutschland schränkte am Freitag mit Verweis auf den Beschluss ab sofort die Waffenlieferungen an Israel ein. "Unter diesen Umständen genehmigt die Bundesregierung bis auf weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können", erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz.
Der britische Premierminister Keir Starmer kritisierte die Entscheidung Israels, die Kontrolle über Gaza-Stadt erlangen zu wollen. "Die Entscheidung der israelischen Regierung, ihre Offensive in Gaza weiter zu eskalieren, ist falsch", sagt er. "Wir fordern sie dringend auf, diese Entscheidung unverzüglich zu überdenken." Auch Australien warnte Israel davor, die militärische Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen. Ein solcher Schritt werde die humanitäre Katastrophe nur verschlimmern, sagt Außenministerin Penny Wong. Die dauerhafte Zwangsumsiedlung stelle einen Verstoß gegen das Völkerrecht dar.
Die Türkei verurteilte die israelischen Pläne zur Übernahme der Kontrolle über Gaza-Stadt scharf. Das Außenministerium in Ankara forderte die internationale Gemeinschaft und den UN-Sicherheitsrat zum Handeln auf, um die Umsetzung des Vorhabens zu verhindern. Jeder Schritt der israelischen Regierung zur Fortsetzung des von der Türkei so bezeichneten Völkermords und der Besetzung palästinensischer Gebiete versetze der globalen Sicherheit einen schweren Schlag.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte die israelische Regierung auf, ihren Beschluss zu überdenken. Gleichzeitig müssten "alle Geiseln, die unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten werden", freigelassen werden, forderte sie auf der Plattform X. Humanitäre Hilfe müsse zudem unverzüglich und ungehindert Zugang zu Gaza erhalten.
Das Außenministerium in Wien hatte sich bereits am Donnerstagabend in einer der APA übermittelten Stellungnahme "tief beunruhigt" gezeigt, "dass eine allfällige Ausweitung der israelischen Militäroperation auf ganz Gaza sich negativ auf die Sicherheit und Versorgungslage der palästinensischen Zivilbevölkerung und der israelischen Geiseln auswirken wird. (...) Gaza muss auch in Zukunft palästinensisch bleiben. Es darf keine Vertreibung der dortigen Bevölkerung geben."
Der palästinensische Botschafter in Österreich, Salah Abdel Shafi, forderte die Bundesregierung in einer Aussendung vom Freitag auf, die Ablehnung der Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel "zu überdenken": "Nur dieser Schritt würde ernsthaft Druck auf Israel ausüben und der Europäischen Union - und somit auch Österreich - wieder Glaubwürdigkeit verleihen." Die geplante israelische Besetzung von Gaza-Stadt "stellt eine weitere Eskalation in einem genozidalen Krieg dar und droht, eine ohnehin schon katastrophale humanitäre Situation nur noch weiter zu verschlimmern", warnte der Botschafter.
UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk forderte einen "sofortigen" Stopp des israelischen Plans zur nochmaligen Ausweitung des Armee-Einsatzes im Gazastreifen. "Der Plan der israelischen Regierung für eine vollständige militärische Übernahme" des Palästinensergebiets stehe "im Widerspruch zum Urteil des Internationalen Gerichtshofs, wonach Israel seine Besatzung so schnell wie möglich beenden muss", erklärte Türk am Freitag.
Angehörige israelischer Geiseln haben die Ausweitung des Kriegs im Gazastreifen als "Todesurteil" für die noch immer festgehaltenen Geiseln bezeichnet. Die Entscheidung der politischen Führung sei eine offizielle Erklärung, die Geiseln aufzugeben, und führe diese - und auch israelische Soldaten - in eine "kolossale Katastrophe", erklärte das Forum der Geisel-Angehörigen.
Israels Oppositionsführer Yair Lapid bezeichnete die vom Sicherheitskabinett beschlossene Einnahme der Stadt Gaza als "Katastrophe", die "zu vielen weiteren Katastrophen führen wird". Die geplante Eroberung der größten Stadt des Gazastreifens werde zum Tod der Geiseln sowie der Tötung vieler israelischer Soldaten führen, schrieb Lapid auf der Plattform X.
Ministerpräsident Netanyahu habe sich entgegen den Einwänden der Armeeführung von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich treiben lassen, erklärte Lapid weiter. Die beiden ultrarechten Minister sind Verfechter der Idee, den Gazastreifen vollständig einzunehmen und die rund zwei Millionen dort lebenden Palästinenser zu vertreiben.
Monatelange indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas über eine neue Waffenruhe und die Freilassung weiterer Geiseln waren zuvor ergebnislos geblieben. "Ich verstehe genau, was die Hamas will. Sie will keinen Deal", hatte der Netanyahu zuletzt in einer Video-Botschaft erklärt. Er sei nun noch entschlossener, die Geiseln zu befreien, die Hamas zu zerschlagen und sicherzustellen, dass vom Gazastreifen unter der Herrschaft der Terrororganisation nie wieder eine Gefahr für den Staat Israel ausgehe.
Medien spekulierten zuvor, dass die nun konkrete Ankündigung einer Ausweitung der Kämpfe auch Teil einer Verhandlungstaktik sein könnte, um die Hamas in den Verhandlungen um eine Waffenruhe massiv unter Druck zu setzen. Israelische Politiker deuteten eine solche Strategie an. Der N12-Sender berichtete, die Vermittlerstaaten Katar und Ägypten würden bereits Druck auf die Hamas ausüben, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
In einem Interview mit dem US-Sender Fox News kurz vor Beginn der Sitzung des Sicherheitskabinetts sagte Netanyahu, Israel wolle die Kontrolle über den gesamten Gazastreifen übernehmen, das Gebiet aber nicht dauerhaft besetzen. Es solle von der Hamas befreit werden, um es schließlich an andere Kräfte zu übergeben. Dies müssten Kräfte sein, die nicht wie die islamistische Terrororganisation Hamas zur Vernichtung Israels aufriefen.
Netanyahu sagte weiter: "Wir wollen ihn (den Gazastreifen) nicht behalten. Wir wollen eine Sicherheitsgrenze haben. Wir wollen ihn nicht regieren." Konkret sagte er, den Gazastreifen an "arabische Kräfte" übergeben zu wollen.
Nach israelischer Einschätzung befinden sich derzeit noch 50 Geiseln in der Gewalt der Hamas, von denen etwa 20 noch am Leben sein sollen. Medienberichten zufolge hatte die Armeeführung Bedenken gegen den ursprünglichen Plan zur Komplett-Eroberung des Gazastreifens geäußert.
Ausgelöst wurde der Gaza-Krieg durch den Überfall der Hamas und weiterer islamistischer Terrororganisationen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem etwa 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seither sind nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 61.000 Menschen getötet worden.
Die UNO und internationale Hilfsorganisationen warnen bereits eindringlich vor einer Hungersnot im umkämpften Gazastreifen, in dem rund zwei Millionen Menschen unter katastrophalen Bedingungen leben. Zwar erlaubt Israel wieder die Einfuhr größerer Mengen an Hilfsgütern in das blockierte Gebiet. Viele dieser Lieferungen erreichen jedoch nicht die Bedürftigsten, da sie bereits vor ihrer Verteilung geplündert werden - von Zivilisten und bewaffneten Gruppen.