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Indien und Pakistan Konflikt eskaliert: Wie aus Brüdern Erzfeinde wurden

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©IMAGO / ZUMA Press Wire

Indien fliegt Luftangriffe, Pakistan schlägt zurück – die jahrzehntealte Rivalität um Kaschmir flammt im Mai 2025 gefährlich auf. Warum die Teilung von 1947 die Wurzel dieser Krise ist.

Nach einem schweren Terroranschlag in Jammu und Kaschmir am 22.04.2025 hat Indien erstmals seit Jahren wieder Luftangriffe auf pakistanischem Territorium durchgeführt. Die indische Regierung spricht von „Präzisionsschlägen auf terroristische Infrastruktur“ und betont, man habe keine regulären pakistanischen Militäreinrichtungen angegriffen. Pakistan hingegen wirft Indien vor, mit den Angriffen gezielt Zivilisten zu töten – nach pakistanischen Armeeangaben kamen dabei 31 Menschen ums Leben und 57 wurden verletzt. Indische Quellen melden ihrerseits Opfer durch pakistanischen Beschuss: Mindestens ein Dutzend Zivilisten in indisch kontrolliertem Kaschmir wurden durch Artilleriefeuer aus Pakistan getötet, rund 40 weitere verletzt. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig der Grenzverletzungen an der sogenannten Line of Control (LoC), der De-facto-Grenze in Kaschmir.

Die Kriegsgefahr ist so real wie lange nicht mehr: Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif verurteilte die indischen Luftschläge als „feige Angriffe“ und kündigte harte Vergeltung an. Ein pakistanischer Minister behauptete sogar, man habe als Antwort „40 bis 50 indische Soldaten“ getötet und mehrere indische Militärposten an der Grenze zerstört – Angaben, die von unabhängiger Seite nicht bestätigt sind. Sicher ist jedoch, dass es auch auf indischer Seite militärische Verluste gab: In Luftgefechten über Kaschmir sollen pakistanische Abwehrkräfte bis zu fünf indische Kampfflugzeuge abgeschossen haben, darunter offenbar sogar einen modernen französischen Rafale-Jet. Indien dementiert diese Zahlen teilweise, räumte aber den Verlust von mindestens zwei Maschinen ein. Entlang der Grenze liefern sich indische und pakistanische Einheiten nächtliche Schusswechsel mit Kleinwaffen und Artillerie. In beiden Ländern herrscht Alarmstimmung, und die Bevölkerungen in Grenznähe fürchten eine weitere Eskalation.

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Das Foto zeigt das Wrack eines Kampfjets der indischen Luftwaffe, der in Wuyan Pampore in Kaschmir abgestürzt ist. Indien startete am 7. Mai Luftangriffe auf Pakistan und das von Pakistan verwaltete Kaschmir, während Pakistan behauptet, zwei indische Jets abgeschaltet zu haben.

 © IMAGO / Middle East Images
Krisenherd Kaschmir: Der Konflikt der Atommächte Indien und Pakistan

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Auch diplomatisch hat der Zusammenstoß Folgen: Beide Staaten haben wechselseitig Diplomaten ausgewiesen und Bürger des Nachbarlandes des Landes verwiesen. Neu-Delhi setzte sogar den jahrzehntealten Indus-Wasservertrag aus – ein bislang beispielloser Schritt, der die Wasserversorgung Pakistans gefährden könnte. Dieser Vertrag von 1960 regelte die Aufteilung der Flüsse zwischen Indien und Pakistan und galt trotz aller Konflikte stets als unantastbare Lebensader. Dass Indien ihn nun einseitig suspendiert, werten Beobachter als drastische Strafmaßnahme und weiteres Zeichen dafür, wie ernst die Lage inzwischen ist. Beide Seiten haben zudem große Militärverbände in erhöhte Bereitschaft versetzt. Die Krise zeigt: Jeder neue Zwischenfall kann zwischen den Atommächten Indien und Pakistan zu einer militärischen Konfrontation führen, die außer Kontrolle zu geraten droht.

Historischer Hintergrund: Teilung, Kriege und atomare Aufrüstung

Der aktuelle Konflikt ist tief in der Geschichte der Teilung Britisch-Indiens verwurzelt. Als die britische Kolonialmacht im August 1947 abzug, wurde das ehemalige Indien entlang religiöser Mehrheiten aufgeteilt. Neben dem überwiegend hinduistischen Indien entstand der neue Staat Pakistan als Heimat für die muslimische Bevölkerung. Die Teilung verlief extrem blutig: Der gewaltige Bevölkerungsaustausch zwischen den frisch gezogenen Grenzen führte zu Massakern und Pogromen, denen über eine Million Menschen zum Opfer fielen. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben und zu Flüchtlingen. Aus einstigen Nachbarn und Brüdern wurden so über Nacht Erzfeinde, die dieses Trauma bis heute nicht überwunden haben.

Kaum waren Indien und Pakistan unabhängig, entbrannte der erste Krieg um Kaschmir. Das Fürstentum Jammu und Kaschmir, dessen muslimische Mehrheit eigentlich zu Pakistan tendierte, war Indien beigetreten – sehr zum Unmut Pakistans. 1947/48 führten beide Länder ihren ersten Krieg, an dessen Ende Kaschmir zwischen ihnen geteilt wurde. Die Line of Control markiert seither die ungefähre Grenze: Pakistan kontrolliert den Nordwesten (Azad Kashmir und Gilgit-Baltistan), Indien den größeren südöstlichen Teil (Jammu & Kashmir). Doch beide erheben bis heute Anspruch auf das gesamte Gebiet. 1948 forderte der UN-Sicherheitsrat zwar eine Volksabstimmung über Kaschmirs Zukunft, doch diese wurde niemals umgesetzt. Damit war der Grundstein für einen Dauerstreit gelegt.

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Anhänger der Dongri- und Shivsena-Fraktion (Shinde-Fraktion) skandieren Slogans für die indische Armee und feiern den Erfolg der Operation Sindoor. Sie verteilen Süßigkeiten vor der Sandust Road Rail Station am 8. Mai 2025 in Mumbai, Indien. Die indischen Streitkräfte führten am frühen Mittwoch im Rahmen der Operation Sindoor Präzisionsschläge in Pakistan und dem von Pakistan besetzten Kaschmir (PoK) durch und zielten auf Terrorabwehrrampen als Reaktion auf den Terroranschlag in Jammu und Kaschmirs Touristenort Pahalgam, bei dem am 22. April kaltblütig 26 Zivilisten getötet wurden.

 © IMAGO / Hindustan Times

In den folgenden Jahrzehnten kam es wiederholt zu Kriegen zwischen den unversöhnlichen Nachbarn:

  • 1965: Der zweite Indisch-Pakistanische Krieg brach aus, als pakistanische Truppen heimlich die indische Kaschmir-Region infiltrierten. Nach wochenlangen Gefechten mit Panzern und Flugzeugen einigten sich beide Seiten auf einen Waffenstillstand; die Grenze in Kaschmir blieb unverändert.

  • 1971: Im dritten Krieg standen sich Indien und Pakistan auf dem Gebiet des heutigen Bangladesch gegenüber. Ost-Pakistan revoltiert gegen die Herrschaft West-Pakistans, Indien griff zugunsten der Rebellen ein. Der Krieg endete mit der Abspaltung Ost-Pakistans als unabhängiges Bangladesch, was für Pakistan eine demütigende Niederlage bedeutete. Dieser Krieg drehte sich zwar nicht um Kaschmir, belastete die Rivalität aber weiter.

  • 1999: Nur ein Jahr nachdem beide Länder offiziell zu Atommächten geworden waren, eskalierte der Konflikt erneut im sogenannten Kargil-Krieg. Pakistanische Einheiten besetzten strategische Höhen auf der indischen Seite der LoC bei Kargil (Kaschmir). Indien schlug zurück, eroberte die Stellungen blutig zurück und erhielt dabei Unterstützung durch internationalen Druck auf Pakistan. Nach wenigen Monaten war der begrenzte Krieg beendet – doch erstmals drohten zwei Atomstaaten direkt aneinanderzugeraten.

Neben diesen großen Kriegen kam es immer wieder zu kleineren militärischen Konfrontationen und Grenzgefechten, besonders in Kaschmir. In den 1980er Jahren kämpften beide sogar um den Siachen-Gletscher im Himalaya. Die Feindschaft fraß sich tief ins nationale Bewusstsein beider Länder. Gleichzeitig rüsteten Indien und Pakistan kontinuierlich auf – konventionell und nuklear. Indien zündete 1974 seine erste Atombombe (Codename „Smiling Buddha“), um der Welt seine nukleare Fähigkeit zu demonstrieren. Pakistan, unterlegen in konventionellen Waffen, trieb daraufhin mit chinesischer Hilfe sein eigenes Atomprogramm voran und testete im Mai 1998, wenige Wochen nach indischen Tests, erfolgreich eigene Atomsprengsätze. Seitdem gelten beide offiziell als atomar bewaffnet.

Heute verfügen beide Staaten über ein beträchtliches Arsenal an Kernwaffen. Schätzungen zufolge hat Indien rund 150 nukleare Sprengköpfe, Pakistan etwa 160. Im Vergleich zu den Supermächten USA und Russland (je ca. 6.000 Sprengköpfe) ist das zwar deutlich weniger, doch reicht es aus, um die gegenseitige Vernichtung zu garantieren. Keine Seite denkt daran, diese Arsenale abzubauen – im Gegenteil, sie werden weiter ausgebaut. Beide Regierungen sehen in den Atomwaffen einen unverzichtbaren Schutz vor einem Angriff der Gegenseite. Das Prinzip der nuklearen Abschreckung hat zwar bisher größere Kriege verhindert – jeder Konflikt blieb unter der Schwelle des Nuklearkriegs, es blieb beim „Säbelrasseln und Scharmützeln“. Doch die Gefahr einer unkontrollierten Eskalation ist keineswegs gebannt. Sicherheitsexperten warnen, dass vor allem das Machtungleichgewicht – Indiens Wirtschaft und Militär wachsen deutlich schneller als Pakistans – langfristig neuen Zündstoff birgt. Zudem fühlt sich Indien durch Pakistans engen Schulterschluss mit China strategisch eingekreist. Die historischen Rivalen stehen somit in einem komplexen Spannungsdreieck mit der aufstrebenden Großmacht China, was den Konflikt zusätzlich anheizt.

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 © IMAGO / Newscom World
Indien gegen Pakistan. Ein andauernder Konflikt ohne Aussicht auf Frieden

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Ursachen der aktuellen Spannungen

Der unmittelbare Auslöser der aktuellen Krise war ein grausames Attentat im indisch verwalteten Teil Kaschmirs. Am 22. April 2025 überfielen unbekannte bewaffnete Männer eine Ausflügler-Gruppe auf einer Bergwiese nahe dem Touristenort Pahalgam. Dabei wurden 26 Menschen erschossen – vorwiegend indische Urlauber, darunter auch Frauen und Kinder. Es war der verheerendste Anschlag auf Zivilisten in Kaschmir seit Jahrzehnten und schockierte ganz Indien. Die Regierung in Neu-Delhi machte umgehend pakistanische Terrornetzwerke dafür verantwortlich. Sicherheitsbehörden gaben an, drei Attentäter identifiziert zu haben, darunter zwei pakistanische Staatsbürger. Premierminister Narendra Modi sprach von einem „feigen Terrorakt“ und stellte klar, Indien werde nicht tatenlos zusehen. Pakistan wies jede Verwicklung in den Anschlag vehement zurück und bot an, eine neutrale Untersuchung des Vorfalls zuzulassen. Doch Indien lehnte internationale Ermittlungen ab – aus Sicht Neu-Delhis nur ein Ablenkungsmanöver, da Pakistan “Terroristen Unterschlupf gewährt”, wie indische Medien unter Verweis auf frühere Attentate (etwa Mumbai 2008 oder Pulwama 2019) betonten.

Tatsächlich sind islamistische Milizen wie Jaish-e Mohammed oder Lashkar-e Taiba, die in Pakistan operieren, seit langem ein zentraler Streitpunkt. Diese Gruppen verüben immer wieder Anschläge in Indien, insbesondere in Kaschmir, und werden verdächtigt, Unterstützung durch Teile des pakistanischen Militärs oder Geheimdienstes ISI zu erhalten. Pakistan bestreitet das offiziell, doch unternimmt oft auch wenig, um die Extremisten wirksam zu zerschlagen. So gab es schon in der Vergangenheit Eskalationen nach Terrorattacken: Nach dem Pulwama-Anschlag auf indische Sicherheitskräfte 2019 (über 40 Tote) flog Indien Luftangriffe auf ein mutmaßliches Terrorlager in Pakistan – und riskierte damit schon einmal eine direkte Konfrontation der Armeen. Der neue Anschlag von Pahalgam hat dieses toxische Muster erneut ausgelöst.

Hinzu kommt eine seit Jahren angespannte politische Großwetterlage. Es gibt praktisch keinen Dialog mehr zwischen Neu-Delhi und Islamabad. Seit die hindu-nationalistische BJP-Regierung Indiens im August 2019 Kaschmir den Autonomiestatus entzog und direkt der Zentralregierung unterstellte, sind die Beziehungen auf Eis. Pakistan brach damals den diplomatischen Kontakt ab, internationale Vermittlungsangebote wurden von Indien zurückgewiesen. Ein zwischenzeitlicher Waffenstillstands-Pakt an der Grenze 2021 brachte zwar kurz Ruhe, hielt aber nicht dauerhaft. Im Jahr 2025 trifft die Krise zudem auf zwei innenpolitisch geschwächte Regierungen: In Pakistan steckt die Regierung (und das mächtige Militär) in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und politischem Chaos, was den Ruf nach außenpolitischer Stärke laut werden lässt. In Indien wiederum hat Modi nach gewonnenen Wahlen 2024 wenig Interesse an Nachgiebigkeit – im Gegenteil, er stilisiert sich innenpolitisch als harter Verteidiger der Nation. Diese Gemengelage aus gegenseitigem Misstrauen, Verletzungen nationalen Stolzes und innenpolitischem Druck erklärt, warum der Pahalgam-Anschlag so schnell in eine militärische Eskalation münden konnte. Beide Regierungen sahen sich quasi gezwungen zu handeln: Indien wollte Stärke zeigen und Vergeltung üben, Pakistan musste darauf reagieren, um nicht als schwach zu gelten. Eine gefährliche Dynamik der wechselseitigen Provokation war damit in Gang gesetzt.

Internationale Reaktionen und Machtspiele

Die neue Krise auf dem Subkontinent alarmiert auch die internationale Gemeinschaft. UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich „tief besorgt“ und mahnte, die Welt könne sich eine militärische Konfrontation Indiens und Pakistans nicht leisten. In der Tat wären die globalen Folgen eines Krieges zwischen den beiden Atommächten verheerend – entsprechend einstimmig fallen die Appelle zur Deeskalation aus.

Die USA drängen beide Seiten zu äußerster Zurückhaltung. US-Präsident Donald Trump – der seit Januar 2025 wieder im Amt ist – bot öffentlich an, zwischen Indien und Pakistan zu vermitteln, und forderte ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen. Washington hat enge Beziehungen zu beiden: Pakistan war lange ein Verbündeter im Krieg gegen den Terror, während Indien heute als strategischer Partner im Indopazifik gilt. Offiziell gibt sich die US-Regierung neutral, doch hinter den Kulissen dürfte man Indiens hartes Vorgehen gegen Terror durchaus Verständnis entgegenbringen. US-Außenminister Marco Rubio telefonierte mit Vertretern beider Regierungen und betonte die Notwendigkeit, direkte Kommunikationskanäle offen zu halten, um Missverständnisse zu vermeiden. Auch Großbritannien signalisierte Bereitschaft zu vermitteln – man stehe bereit, „beiden Ländern zu helfen“, so ein britischer Minister in London.

China reagierte zurückhaltend: Pekings Außenministerium nannte Indiens Angriff „bedauerlich“ und forderte beide Nachbarn auf, Zurückhaltung zu üben. Offiziell gibt China an, alle Formen von Terrorismus abzulehnen. Allerdings ist klar, dass die Volksrepublik geostrategisch auf Seiten Pakistans steht. China ist Pakistans engster militärischer und wirtschaftlicher Partner – nicht zuletzt betreibt es große Infrastrukturprojekte in Pakistan (Stichwort „Neue Seidenstraße“). Zugleich hat China eigene Grenzstreitigkeiten mit Indien und betrachtet Indiens Aufstieg mit Argwohn. Dennoch hat auch Peking kein Interesse an einem Krieg vor der Haustür: Chinas Sprecher begrüßten Pakistans Angebot einer internationalen Untersuchung des Anschlags und riefen beide Seiten zum Dialog auf.

Russland pflegt traditionell gute Beziehungen zu Indien, hat aber in den letzten Jahren auch zu Pakistan Kontakt gesucht. Moskau positionierte sich in diesem Konflikt als neutraler Vermittler: Außenminister Sergej Lawrow bot an, sowohl mit Neu-Delhi als auch Islamabad zusammenzuarbeiten, um eine politische Lösung zu finden, falls beide das wünschen. Hintergrund: Russland ist an Stabilität in Südasien interessiert und lehnt – ähnlich wie der Westen – islamistischen Terror ab, will aber Indien nicht vor den Kopf stoßen. Auch Frankreich und Deutschland zeigten sich alarmiert. Der französische Außenminister äußerte Verständnis dafür, dass Indien sich gegen Terror schützen wolle, mahnte aber ebenfalls beide Seiten, eine weitere Eskalation zu vermeiden und Zivilisten zu schützen. In Berlin erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz gemeinsam mit Präsident Emmanuel Macron, man blicke mit größter Sorge nach Kaschmir und rufe zur Vernunft auf: „Eine weitere Eskalation liegt in niemandes Interesse“, so Merz. Die Bundesregierung verurteilte zugleich den Terroranschlag auf die Touristen als Auslöser deutlich. Europäische Diplomaten stehen in engem Kontakt mit beiden Konfliktparteien, um auf eine Beruhigung hinzuwirken.

Unter den islamischen Staaten erhält Pakistan verbale Rückendeckung, etwa von Malaysia, dessen Premier die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung unterstützte, oder vom Iran, der seine „guten Dienste“ als Vermittler anbot. Die wichtigen Golfstaaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate versuchen eine Balance: Sie sind traditionell enge Geldgeber und Partner Pakistans, haben aber auch milliardenschwere Wirtschaftsbeziehungen zu Indien. Saudi-Arabien rief Ende April beide Länder zur Mäßigung und diplomatischen Konfliktlösung auf – eine vorsichtige Stellungnahme, die verdeutlicht, dass Riyadh keinen offenen Bruch mit Neu-Delhi riskieren will. Insgesamt herrscht international Einigkeit: Ein neuer Krieg in Südasien muss um jeden Preis verhindert werden. Viele Staaten bieten hinter den Kulissen ihre Vermittlung an. Allerdings stößt dies an Grenzen, denn Indien lehnt jede Internationalisierung des Kaschmir-Streits kategorisch ab. Seit dem Abkommen von Shimla 1972 beharrt Neu-Delhi darauf, dass alle Fragen mit Pakistan nur bilateral geregelt werden. Pakistan dagegen sucht oft die Unterstützung durch UNO oder befreundete Länder, da es sich Indien allein unterlegen fühlt. Diese konträren Positionen erschweren außenpolitische Vermittlungsbemühungen beträchtlich.

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 © IMAGO / Hindustan Times

Droht ein großer Krieg?

Die Lage bleibt hochgefährlich, doch noch besteht die Chance, eine weitere Eskalation einzudämmen. Beide Seiten wissen, dass ein vollumfänglicher Krieg verheerende Folgen hätte – nicht nur für Südasien, sondern für die ganze Weltordnung. Erstmals in der Geschichte stünden sich zwei Staaten mit Atomwaffen offen auf dem Schlachtfeld gegenüber. Ein solcher Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf nie geführt werden – darin sind sich theoretisch alle Großmächte einig. Aber die Dynamik der Ereignisse in Kaschmir birgt das Risiko, dass durch Fehlkalkulation oder einen Unfall die Schwelle zum großen Krieg überschritten wird. Bereits jetzt, im Zuge der Gefechte, hat Pakistan angedeutet, notfalls „alle Mittel“ zu nutzen, sollte Indien weiter angreifen. Indien wiederum hat klargemacht, dass man weitere Terroranschläge präventiv verhindern werde – notfalls mit Schlägen in Pakistan. Solche Rhetorik schürt Ängste vor einer unkontrollierbaren Spirale der Gewalt.

Dennoch gibt es Faktoren, die Hoffnung machen, dass der Konflikt nicht zu einem neuen Indo-Pakistan-Krieg größeren Ausmaßes führt. Die nukleare Abschreckung sorgt paradoxerweise dafür, dass beide Seiten trotz aller Drohgebärden zurückschrecken, direkt die Armee des Anderen anzugreifen – zu groß ist die Furcht vor einem Gegenschlag mit Massenvernichtungswaffen. Bisher blieben die indischen Angriffe bewusst begrenzt und zielten nicht auf Pakistans Armee, was als Signal der Kalkulierbarkeit gesehen werden kann. Ebenso verzichtete Pakistan bislang darauf, indisches Kernland anzugreifen, sondern beschoss „nur“ militärisch umstrittene Grenzgebiete. Dieser unausgesprochene Tanz am Abgrund ist brandgefährlich, aber er zeigt, dass beide Führungseliten einen totalen Krieg vermeiden wollen. International wächst zudem der Druck: Washington, Beijing, Moskau und andere Hauptstädte machen hinter geschlossenen Türen klar, dass ein Krieg in Niemandes Interesse liegt – schon gar nicht, während die Weltgemeinschaft bereits mit anderen Krisen (Ukraine, Nahost und dem sino-amerikanischen Gegensatz) belastet ist. Sogar wichtige Kreditgeber und Handelspartner beider Länder – etwa China, die Golfstaaten und der Westen – würden bei einem Krieg finanzielle Konsequenzen ziehen. So warnte die Ratingagentur Moody’s bereits, eine Eskalation könne die Wirtschaft beider Länder schwer beschädigen und Investoren vertreiben. Dieses Szenario dürfte insbesondere in Islamabad, das sich in einer akuten Finanzkrise befindet, für Nachdenklichkeit sorgen.

Für die Region Südostasien steht viel auf dem Spiel. Ein erneuter Großkrieg würde die fragile Stabilität in Afghanistan beeinträchtigen, extremistische Kräfte stärken und möglicherweise eine humanitäre Katastrophe mit Millionen Flüchtlingen auslösen. Schon die jetzigen Gefechte treffen die Zivilbevölkerung in Kaschmir hart: Häuser liegen in Trümmern, Tausende Menschen verbringen die Nächte aus Angst in Bunkern oder müssen aus den Grenzdörfern fliehen. Die Entwicklungschancen sowohl Indiens als auch Pakistans werden seit Jahrzehnten durch diese Konfrontation gebremst – Gelder fließen in Rüstung statt in Armutsbekämpfung, Vertrauen und regionale Kooperation liegen brach.

Experten hoffen, dass die aktuellen Kämpfe bald durch Verhandlungen eingedämmt werden können, bevor die Schwelle zum offenen Krieg überschritten wird. Mögliche Ansätze sind bilaterale Krisentreffen der Generalstäbe oder eine stille Diplomatie über Dritte (wie die USA, China oder Saudi-Arabien). Am wahrscheinlichsten ist, dass die akute Krise nach einigen Tagen abflaut, so wie frühere Konfrontationen – beide Seiten würden dann ihren „Sieg“ propagieren und erst einmal zurückrudern. Doch eine Entwarnung wäre das nicht: Der Kaschmir-Konflikt bleibt ungelöst. Solange keine politische Lösung gefunden wird, kann jederzeit ein neuer Funke genügen, um Indien und Pakistan erneut an den Rand eines Krieges zu bringen. Der traurige Zyklus, in dem aus Brüdern Erzfeinde wurden, setzt sich fort – und die Welt schaut mit bangem Blick auf zwei verfeindete Atommächte.

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