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Kaschmir-Konflikt: Atom-Duell

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Angst vor Atomkrieg. Im Kampf um den Krisenherd Kaschmir drohen Indien und Pakistan mit der Atombombe. Katastrophen-Szenario. Zwölf Millionen Tote, globale Verseuchung und radioaktiver Fallout bis nach Österreich.

In den Raketenstützpunkten Indiens und Pakistans herrscht Alarmstufe Rot. Ein Knopfdruck genügt, und der Alptraum Atomkrieg wird binnen Sekunden Realität. Der Konflikt um die Bergregion Kaschmir hat bereits zwei Kriege provoziert. Nun droht eine dritte Auseinandersetzung mit unabsehbaren Folgen: Beide Staaten verfügen über Atomwaffen und über einsatzfähige Trägerraketen. "Die Lage ist gespannt wie zuletzt während der Kuba-Krise in den 60er Jahren", warnt der amerikanische Konfliktforscher Zia Mian. Ein militärisch unterlegenes Pakistan könnte versuchen, einen Vorstoß Indiens mit einem nuklearen Schlag zu stoppen. Als Indiz dafür gilt, dass Pakistan, im Gegensatz zu Indien, den Erstschlag nicht ausgeschlossen hat.

Folgen bis Österreich. Eine einzige Atombombe würde Hunderttausende Menschen sofort töten und ein Gebiet von mehreren Tausenden Quadratkilometern verstrahlen. Selbst in Österreich, über 5.000 Kilometer entfernt vom Katastrophenort, könnten die Folgen zu spüren sein. Vor allem dann, wenn es zum Super-GAU kommt: "Würden Indien und Pakistan ihre A-Bomben-Arsenale zur Gänze einsetzen, wären die Probleme auf globaler Ebene nicht mehr wirklich voraussagbar", warnt der Physiker Univ.-Prof Wolfgang Kolb vom Institut für Risikoforschung in Wien.

Tödliche Arsenale

Wahrscheinlich verfügt Pakistan über bis zu 50, Indien über bis zu 35 Atombomben. Die Zerstörungskraft der Sprengköpfe ist etwa doppelt so groß wie die jener Bomben, die 1945 über Hiroshima und Nagasaki gezündet wurden. Die enorme Wucht einer Atomexplosion wirbelt tonnenweise Staub- und Erdteilchen auf, die Radioaktivität aufnehmen. Dieser so genannte Fallout würde sich über den gesamten Globus verteilen. Auch Österreich wäre betroffen. Eine nukleare Wolke wie nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl wäre nach einem Atomkrieg nur wenig wahrscheinlich. "Nukleare Explosionen schleudern die radioaktiven Teilchen bis in die Stratosphäre", erklärt Martin Exler von der Umweltorganisation Global 2000: "In dieser Höhe entstehen keine Wolken mehr, die abregnen können. Dafür rieselt der radioaktive Fallout langsam, über einen längeren Zeitraum, über Jahrzehnte, auf die Erde." Nach Meinung der Meteorologin Univ.-Prof. Helga Kromp-Kolb würden Jahreszeit und Wetterlage während eines möglichen Atomkrieges in Indien sehr wohl eine Rolle für die Belastung in Österreich spielen. Genaue Analysen der tatsächlichen Gefahr oder Warnhinweise seien vor dem tatsächlichen Ausbruch eines Krieges nicht möglich. "Die Bedrohung durch radioaktive Belastung wird von vielen Unbekannten bestimmt", so Kromp-Kolb. Bei ernsthafter Gefahr wären in Österreich Alarmsirenen zu hören. Über Radio und Fernsehen würde über Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen informiert. "Seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl verfügt Österreich über ein hochsensibles Netz an Warnsystemen", beruhigt das Innenministerium.

Langzeitfolgen

Die globalen Folgen einer Atombombenexplosion wären heimtückisch, weil sie schleichend, über Jahre hinweg, wirksam würden. Bei einem Bombenabwurf gelangen andere radioaktive Substanzen in die Umwelt als nach einem Reaktorunglück. Nicht Cäsium, das sich in den Schilddrüsen festsetzt, sondern Uran, Plutonium und das Spaltprodukt Strontium werden frei. Zu den Folgen zählen vermehrtes Auftreten von Leukämie und Knochenkrebs. Die Bombenabwürfe über Nagasaki und Hiroshima führten noch Jahrzehnte danach zu unzähligen Krebstoten. Auch die überirdischen Atomtests in den USA in den fünfziger und sechziger Jahren in den Wüstengebieten von Nevada ließen die Krebsrate im ganzen Land in die Höhe schnellen. Xanthe Hall von "Ärzte gegen Atomgefahren" warnt im Gespräch mit NEWS: "Wir haben bis vor wenigen Jahren in den Milchzähnen von Kindern rund um München Spuren von Strontium gefunden - Spaltprodukte der US-Atomtests. Dieses Beispiel zeigt, wie lange wir an den Folgen eines Krieges leiden würden."

Zwölf Millionen Tote

Wahrscheinlich wären die Folgen eines "begrenzten" Schlagabtausches - also des Einsatzes von wenigen Bomben - weltweit begrenzt. Dramatisch würde die Situation jedoch in Indien und Pakistan, unabhängig davon, wie viele Bomben gezündet würden. Bei einem Einsatz aller nuklearen Sprengköpfe würden am Subkontinent zwölf Millionen Menschen allein durch deren Sprengkraft sterben, warnen Experten des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Die längeren Folgen eines Atombombenabwurfes sind in dieser Bilanz noch nicht berücksichtigt. "Die Bombe tötet in vier Phasen", beschreibt der Physiker Matthew McKinzie den Horror.

Der Wissenschaftler des "Natural Defence Council" in Washington hat ein Szenario der Auswirkungen eines Atomkrieges erstellt. Alle Menschen, die sich im Radius von 500 Metern rund um die Detonation der Bombe befinden, sterben innerhalb von Millisekunden: Tödliche Gammastrahlung löscht jedes Leben aus. Temperaturen von bis zu 4.000 Grad Celsius lassen Sand zu Glas schmelzen. In einer Stadt wie dem indischen Bombay, wo mehr als 110.000 Menschen pro Quadratkilometer leben, würde das den Blitztod von Hunderttausenden bedeuten.

Nach der Explosion folgt eine immense Druckwelle, die innere Organe bersten lässt. Gleichzeitig werden Gebäudetrümmer zu Geschossen. Deshalb, so rechnet McKinzie, stirbt in einem Umkreis von 1,5 Kilometern jeder Zweite innerhalb von Stunden. Wer den Feuersturm überlebt, bekommt die Strahlenkrankheit: Schwindel, Erbrechen, Schleimhautzerfall in Rachen, Kehlkopf und Darm, Bewusstlosigkeit, Hirntod, tödliche Magen-Darm-Störungen. Langfristig könnte ein Bombenabwurf in Südasien Millionen Opfer fordern - und keine Hilfsorganisation würde sich in die Krisenregion wagen. Deshalb sprach US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eine klare Warnung an die Streitparteien aus: "Ihr spielt mit der Apokalypse."

Angst vor dem "unmöglichen Krieg"

Schauspieler Franz Buchrieser über seinen abgebrochenen Pakistan-Urlaub

Welcome to the land of peace", liest man in den Northern Areas von Pakistan auf Tafeln und Hauswänden. Am Karakorum Highway ist dieser Satz mit weiß gekalkten Flusssteinen in die steil abstürzenden Geröllhalden geschrieben.

1963 war ich zum ersten Mal in Pakistan, 1964 zum zweiten Mal. Nun sind meine Frau Heli und ich seit sieben Wochen hier. Die dramatische Zuspitzung der politischen Entwicklung hat uns überrascht. Wenn westliche Botschaften ihr Personal evakuieren, können auch wir nicht anders, als an den Rückflug zu denken.

Immer wieder donnern Flugzeuge über die idyllische Bergwelt. In Lahore stehen Flugzeuge wie Denkmäler auf Sockeln. Auch ein erbeuteter indischer Hubschrauber ist darunter. Kanonen sieht man an jeder Ecke. Trotzdem ist, nach meiner westlichen Logik, ein Krieg eigentlich unmöglich. Indien mit seinen 120 Millionen Muslimen würde aus den Wespennestern seiner Muslimstädte wütende Hornissennester machen. Kaschmir würde zu einem wild wuchernden Krebsgeschwür. Aber die Inder scheinen sich daran gewöhnt zu haben, dass dies zum Alltag gehört. Schon Erich Kästner lässt in seinem 1930 erschienenen Roman "Fabian" einen Reporter, der keine News hat, eine auf alle Fälle stimmende Meldung erfinden: "Zehn Hindus und zehn Muslime haben sich erschlagen."

Für Pakistan, das nach der großen Schlappe im Zweiten Krieg den Osten des Landes verlor, könnte eine neuerliche kriegerische Auseinandersetzung den Zerfall des Landes bedeuten. Punjab, halb in Indien, halb in Pakistan, würde nach Autonomie und Zusammenschluss streben. Kaschmir pocht sowieso auf seine Selbständigkeit. Für die 22 Familien (Großgrundbesitzer und Industrielle), die Pakistan in Wirklichkeit regieren, wäre der Krieg das Ende ihrer Feudalherrschaft, für die Militärregierung das Ende der Macht.

Nach europäischer Logik ist ein Krieg undenkbar - aber hier regiert "inshallah" (So Gott will ...). Also haben wir einen zweiten Rucksack gekauft, um aus der höchst gefährdeten Stadt Islamabad auszufliegen. Inshallah.

Autoren: Petra Ramsauer, Thomas Seifert

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