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Nach der Eröffnung des von unzähligen hungrigen Menschen belagerten GHF-Zentrums im Süden des dicht besiedelten Gebiets - insgesamt sind vier Zentren geplant - war es laut israelischen Medienberichten und Augenzeugen zu chaotischen Szenen gekommen. Die israelische Armee teilte mit, Soldaten hätten außerhalb des Zentrums Warnschüsse abgegeben. Die Situation sei wieder unter Kontrolle gebracht worden. Es sei nicht aus der Luft geschossen worden.
Israelische Medien hatten zunächst berichtet, US-Wachleute hätten Warnschüsse abgegeben, Menschen seien in Panik ausgebrochen. Später berichteten palästinensische Rettungskräfte, drei Menschen seien durch Schüsse der israelischen Armee getötet und Dutzende weitere verletzt worden.
Die Stiftung teilte dazu mit, angesichts des großen Andrangs am Verteilungszentrum in Rafah habe das GHF-Team sich punktuell zurückgezogen, "um es einer kleinen Anzahl von Gaza-Einwohnern zu erlauben, Hilfsgüter auf sichere Weise zu nehmen und sich wieder zu zerstreuen". Das Team habe sich dabei an das Sicherheitsprotokoll gehalten, um Opfer zu verhindern. Die normale Arbeit sei danach wieder aufgenommen worden.
Angesichts einer monatelangen Blockade von Hilfsgütern durch Israel, die zuletzt etwas gelockert worden war, hat sich die verzweifelte Lage vieler Menschen in dem umkämpften Küstenstreifen nochmals verschlimmert. In dem von rund zwei Millionen Palästinensern besiedelten Gebiet, das zu weiten Teilen zerstört ist, fehlt es an Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Medikamenten und nahezu allen Dingen des täglichen Bedarfs.
Die GHF soll nach dem Willen der israelischen Regierung künftig für die Verteilung der Hilfsgüter zuständig sein. Bisher seien rund 8.000 Lebensmittelpakete verteilt worden, teilte die Stiftung mit. Jedes Paket könne etwa fünf bis sechs Menschen für dreieinhalb Tage ernähren. Insgesamt seien es 462.000 Mahlzeiten. Allerdings sei es wegen Behinderungen durch die islamistische Hamas zu mehreren Stunden Verzögerung bei der Auslieferung gekommen.
Das Hamas-Medienbüro teilte nach dem Vorfall mit, der von Israel initiierte Mechanismus zur Verteilung von Hilfsgütern sei ein "totaler Misserfolg". Das von der Terrororganisation kontrollierte Innenministerium hatte die Einwohner des Gazastreifens zuvor dazu aufgerufen, den neuen Verteilmechanismus zu boykottieren.
Mit der von den USA unterstützten Verteilstrategie will die israelische Regierung nach eigenen Angaben verhindern, dass die Hamas Lieferungen für ihre eigenen Zwecke abzweigt und weiterverkauft, um damit dann Kämpfer und Waffen zu bezahlen. UNO-Vertreter sagen, Israel habe keine Beweise dafür vorgelegt.
Die vier GHF-Verteilungszentren im Süden und im Zentrum des Gazastreifens sollen von US-Sicherheitsfirmen betrieben werden. Israel will so Hilfsorganisationen der UNO und anderer internationaler Helfer umgehen.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sprach am Dienstagabend von einem "momentanen Kontrollverlust" bei der Verteilung der Hilfsgüter. "Wir haben es wieder unter Kontrolle gebracht", sagte er bei einer Ansprache. Man werde weitere Zentren eröffnen.
"Die Idee ist grundsätzlich, der Hamas die Plünderungen humanitärer Hilfsgüter als ein Kriegsinstrument wegzunehmen und sie der Bevölkerung zu geben", so Netanyahu. Ziel sei es, "eine sterile Zone im Süden Gazas zu haben, in der die gesamte Bevölkerung sich zu ihrem eigenen Schutz bewegen kann".
Viele Palästinenser befürchten eine neue Welle der Flucht und Vertreibung aus dem Gazastreifen, ähnlich wie während des Kriegs im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 und während des Sechstagekriegs 1967. An Israels Vorgehen in dem Küstengebiet, wo täglich Dutzende Tote infolge israelischer Angriffe gemeldet werden, gibt es international massive Kritik.
Die US-Regierung begrüßte die neu angelaufene Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen - und ging zugleich auf Abstand zur dahinter stehenden Stiftung. Man spreche nicht für die GHF, betonte die Sprecherin des Außenministeriums, Tammy Bruce. Kritik vonseiten der Vereinten Nationen und internationaler Hilfsorganisationen, die Stiftung sei nicht unabhängig und agiere im Interesse Israels, nannte Bruce "bedauerlich". Es sei "die Höhe der Heuchelei", sich darüber zu beklagen, wer die Hilfe bringe oder wie sie organisiert sei.
Die Vereinten Nationen (UNO) und andere internationale Hilfsorganisationen boykottieren die Stiftung der umstrittenen GHF-Organisation, die im Auftrag der USA den Menschen im Gazastreifen helfen soll. Die Stiftung untergrabe laut den Hilfsorganisationen den Grundsatz, dass humanitäre Hilfe unabhängig von den Konfliktparteien und nach Bedarf verteilt werden sollte.
"Humanitäre Hilfe darf nicht politisiert oder militarisiert werden", sagte Christian Cardon, Hauptsprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. In New York erklärte der Sprecher der UNO, Stéphane Dujarric, gegenüber Reportern, dass die UNO und ihre Partner einen soliden Hilfsplan hätten, "um der verzweifelten Bevölkerung Hilfe zukommen zu lassen", und dass Israel ihnen zwar erlaube, Hilfe zu leisten, allerdings mit vielen Hindernissen.
Kurz vor dem Anlaufen der Hilfe war der GHF-Vorsitzende Jake Woods - ein US-Militärveteran - zurückgetreten. Berichten zufolge hielt er es nicht für möglich, den unter seiner Führung entwickelten Plan umzusetzen und gleichzeitig "die humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit" zu wahren.