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Erste Hilfslieferungen erreichen Gazastreifen

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Hilfskonvois auf dem Weg in den Gazastreifen
©AFP, APA, STR
Nach einer monatelangen faktischen Blockade durch Israel haben erstmals wieder größere Hilfslieferungen den Gazastreifen erreicht. Am Sonntag fuhr eine Kolonne von rund 100 Lastwagen mit Gütern für die notleidende Bevölkerung über den israelischen Grenzübergang Kerem Shalom in das großflächig zerstörte Küstengebiet, wie Quellen dort bestätigten.

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Die Waren - Lebensmittel, Medikamente, Babynahrung - werden dringend benötigt. Hilfsorganisationen hatten vor einer Hungerkatastrophe unter den 2,2 Millionen Bewohnern des Gazastreifens gewarnt. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind seit Kriegsbeginn 133 Menschen an Unterernährung gestorben, darunter 87 Kinder. Die israelische Regierung hingegen hat erklärt, sie habe genügend Lebensmittel in den Gazastreifen gelassen, und macht die palästinensische Terrororganisation für das Leid der Menschen verantwortlich.

Den UNO-Organisationen warf Israel zuletzt immer wieder vor, die Hilfe im Gazastreifen nicht verteilen zu wollen. Diese konterten, dass Israel keine sicheren Transportwege innerhalb des umkämpften Gebiets garantieren wollte. Tatsächlich gelangte seit Ende März, als Israel eine damalige Waffenruhe beendete, nur sehr wenig Hilfe zu den Menschen im Gazastreifen.

Die weltweite Kritik an ihrer Vorgangsweise in dem Palästinensergebiet hat die israelische Führung nun offensichtlich zu einer Kehrtwende bewogen. Überraschend kündigte das Militär in der Nacht zum Sonntag an, bis auf Widerruf jeden Tag von 10.00 bis 20.00 Uhr Ortszeit eine selbst erklärte humanitäre Feuerpause in Teilen des Gazastreifens einzuhalten.

Die Pause gelte in den Gebieten, in denen die Armee nicht operiere: Al-Mawasi im Südwesten des abgeriegelten Küstenstreifens, in Deir al-Balah im Zentrum sowie in der Stadt Gaza im Norden. Ferner würden von 06.00 bis 23.00 Uhr Ortszeit Korridore eingerichtet, um die sichere Durchfahrt von Konvois der UNO- und anderer Hilfsorganisationen zu ermöglichen, teilte die Armee weiter mit.

Auch eine Entsalzungsanlage zur Aufbereitung von Trinkwasser im Gazastreifen sei nun wieder an das israelische Stromnetz angeschlossen worden, teilte die Armee mit. Die eingeleiteten Maßnahmen zielten darauf ab, "die falsche Behauptung zu widerlegen, dass der Gazastreifen absichtlich ausgehungert wird".

Der UNO-Nothilfekoordinator Tom Fletcher begrüßte die Ankündigung des israelischen Militärs. "Mit unseren Teams vor Ort werden wir alles tun, was wir können, um in diesem Zeitfenster so viele hungrige Menschen wie möglich zu erreichen", schrieb er auf der Plattform X.

Auch andere UNO-Organisationen begrüßten die Maßnahme. Das Welternährungsprogramm (WFP) erklärte auf der Plattform X, genug Lebensmittel in der Region oder auf dem Weg dorthin zu haben, um die Versorgung der gesamten Bevölkerung im Gazastreifen für drei Monate sicherzustellen. WFP-Direktorin Cindy McCain schrieb auf X: "Jetzt ist es Zeit, zu handeln."

Das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF bezeichnete die Maßnahmen als Gelegenheit, Leben zu retten. "Seit dem Zusammenbruch der Waffenruhe im März sind Kinder in einem Albtraum gefangen und werden der grundlegenden Dinge zum Überleben beraubt", hieß es in einem X-Post. UNICEF sei bereit, die Zahl der Lastwagen mit Hilfsgütern zu erhöhen und die Bevölkerung zu unterstützen.

Der ägyptische Rote Halbmond entsandte nach eigenen Angaben am Sonntag mehr als 100 Lastwagen mit Lebensmitteln. Palästinensischen Angaben zufolge wurden die Lastwagen jedoch am Grenzübergang Kerem Shalom zunächst für Inspektionen aufgehalten. Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate warfen nach eigenen Angaben 25 Tonnen Hilfsgüter aus der Luft ab. Palästinensischen Gesundheitsvertretern zufolge wurden mindestens zehn Menschen durch herabfallende Hilfspakete verletzt. Außerdem seien durch israelischen Beschuss mindestens 17 Menschen getötet und 50 verletzt worden, als sie auf Hilfslieferungen warteten.

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sagte, Israel werde weiterhin die Einfuhr humanitärer Güter erlauben und mache sowohl bei den Kämpfen als auch bei den Verhandlungen Fortschritte. "Wir werden weiterkämpfen, wir werden weiter handeln, bis wir alle unsere Kriegsziele erreicht haben - bis zum vollständigen Sieg", sagte er. Der rechtsextreme israelische Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir kritisierte die Feuerpausen als "Kapitulation" vor der Hamas.

US-Präsident Donald Trump sieht Israel bei den nächsten Schritten im Gaza-Konflikt am Zug. Die Hamas wolle die von ihr festgehaltenen Geiseln nicht freigeben, sagte Trump am Sonntagabend bei einer Pressekonferenz vor Handelsgesprächen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Sie wollen sie nicht zurückgeben, und deshalb wird Israel eine Entscheidung treffen müssen", sagte er.

Israel und die USA hatten am Freitag die Verhandlungen über eine Waffenruhe für gescheitert erklärt, da die Hamas keine Bereitschaft zu einem Abkommen zeige.

Der Krieg begann am 7. Oktober 2023 mit dem Überfall der Hamas auf Israel, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und 251 Geiseln verschleppt wurden. Bei der seither andauernden israelischen Offensive wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde fast 60.000 Menschen im Gazastreifen getötet.

Die indirekten Gespräche über eine 60-tägige Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas gerieten zuletzt in eine Sackgasse. Es seien nun jedoch "wirkliche Bemühungen" im Gange, um sie wieder auf die Schienen zu bringen, zitierte das öffentlich-rechtliche Kan-Radio am Sonntagmorgen namentlich nicht genannte israelische Regierungsvertreter.

Bei den seit Monaten laufenden, sich oft im Kreis drehenden Verhandlungen vermitteln Katar, Ägypten und die USA. Israel und die USA hatten zuletzt ihre Delegationen aus der katarischen Hauptstadt zu "Konsultationen" zurückbeordert. Beide Länder warfen der Hamas vor, durch überzogene Forderungen die Gesprächsgrundlage unterminiert zu haben. Die Hamas bestritt dies.

Die Tageszeitung "Israel Hayom" zitierte am Sonntag einen israelischen Regierungsbeamten mit den Worten, die Gespräche seien "weder kollabiert noch geplatzt". Wann es zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch kommen könnte, blieb aber unklar.

Trucks loaded with humanitarian aid drive toward the Gaza Strip through the Egyptian side of the Rafah crossing on July 27, 2025. Egyptian state-linked media on July 27 reported that aid trucks had begun entering the Gaza Strip as Israel announced a "tactical pause" in parts of the devastated territory to allow deliveries. (Photo by AFP)

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