von
Dabei hat Marschall zahlreiche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen befragt, allen voran ihren langjährigen Strafverteidiger Herbert Eichenseder. Der Autor schildert, wie die ursprünglich in der Szene schon wegen ihres Geschlechts belächelte "Wilde Wanda" sich schnell Respekt verschaffte - natürlich durch überbordende Gewalt. "Ihre Laufbahn war der Versuch, in einem von Männern dominierten Herrschaftssystem Platz zu finden", zitiert Marschall den Soziologen Robert Geher aus dessen Buch "Wiener Blut oder Die Ehre der Strizzis". Und um es noch einmal zu erwähnen: Gewalt war das Mittel für Kuchwalek, die sich schon zu einer Zeit, als Homosexualität in Österreich noch unter Strafe gestellt war, als Lesbierin bekannte.
Marschall zeichnet ein umfassendes Bild, angefangen mit Kuchwaleks Aufwachsen im Nachkriegs-Wien - sie wurde am 22. Jänner 1947 als Tochter einer Schlangentänzerin und eines russischen Besatzungssoldaten geboren. Ihren leiblichen Vater sollte sie nie kennenlernen, ihre familiäre Hauptbezugsperson war ihre Großmutter, in deren Wohnung am Floridsdorfer Schlingermarkt sie aufwuchs, frühe Kontakte mit alkoholischen Getränken inklusive. Kuchwaleks erste kriminelle Schritte mit ihrer Jugendgang, Verurteilung, erster Gefängnisaufenthalt, kaum dass sie 14 ist, und Heimzeiten werden geschildert.
Die "Wilde Wanda" muss durchaus respektgebietend, um nicht zu sagen furchteinflößend gewesen sein. Marschall demonstriert das etwa, wenn er das ehemalige "Autodrommädel" Maria über ihre Zeit Mitte der 1980er-Jahre im Stuwerviertel in der Leopoldstadt erzählen lässt: "Na heast, die is immer beim Park da hinten g'sessen, da hat's noch so einen Brandulli (Brandineser, Branntweinstube) geben. Ich bin da grad in die Poly (Polytechnische Schule) gangen, hab sie g'sehen und mir dacht: 'Oida, was is denn das für eine?!'" Und weiter: "Bei so einem Pitbull musst du gleich genau zwischen die Blinker treffen - sonst kommst du nicht mehr in die Höhe. Aber ich bin lieber ruhig geblieben. Die hat eine Dominanz g'habt, die schon von der Weit'n durch den Park g'strahlt hat."
Marschall schildert anhand der Person Wanda Kuchwaleks detailliert, wie es in einem Wien war, als es noch die Rotlichtvierteln in der Leopoldstadt und am Gürtel gab und die Lokale, in denen das verbotene Hasardspiel Stoß an der Tagesordnung war. Und wo Gestalten wie Josef "Notwehr"-Krista, "der Gschwinde" oder die "Schmutzer-Buam" Meinungsverschiedenheiten in Wildwestmanier mit Schusswaffen austrugen, auch wenn die Treffsicherheit zum Glück manchmal nicht gegeben war. Oft genug aber doch: Die Mordraten waren in jener Zeit doppelt oder dreimal so hoch wie dieser Tage, wie Kriminalisten immer wieder betonen.
Der Autor hat den Anspruch, die Wanda und ihre Zeit nicht zu verklären. Das impliziert auch der Nebentitel: "Wiens einzige Zuhälterin: ein Leben zwischen Emanzipation, Exzess und Zerstörung". Ganz gelungen ist dies nicht immer, der nonchalante Stil wirkt manchmal verharmlosend bei den vielfach brutalen Fakten, die bei dem Thema notwendigerweise eine zentrale Rolle spielen. Wanda Kuchwalek starb am 4. September 2004.
(S E R V I C E - Clemens Marschall: "Wilde Wanda. Wiens einzige Zuhälterin: ein Leben zwischen Emanzipation, Exzess und Zerstörung", Verlag Brandstätter, Wien 2025, 208 Seiten, 25 Euro, ISBN: 978-3-7106-0903-9 )