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Der Bachmann-Preis sucht das Krisenkabinett

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Heinz Sichrovsky

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Das Niveau der Beiträge zum Klagenfurter Wettlesen war zum Teil erfreulich hoch. Aber die von der Jury gezogenen Schlüsse sind nicht nachvollziehbar. Sprache gilt nichts mehr. Und was gilt, bleibt rätselhaft

Kennen Sie das, dieses langsame Entgleiten und Entrücken eines geliebten Menschen? Eben noch hat er einem beim Besuch die Tür geöffnet, beim nächsten lag er schon kraftlos im Fauteuil, und dann saß man an seinem Bett und hielt ihm die Hand und wusste, dass es das Sterbebett war. Ich habe das bei meinem Vater erlebt, als ihm meine jetzt auch schon seit einer Ewigkeit verstorbene Mutter mit ihrem Wissen als Ärztin beim Hinübergehen half.

Kommt Ihnen das bekannt vor und berührt Sie der folgende Text auch so, wie er mich am ersten Tag des eben beendeten Bachmann-Wettlesens berührt hat?

„Im Zimmer ist eine besondere Stimmung, irgendwie feierlich, wie wenn ein Kind geboren wird, der Anfang und das Ende sind sich dann doch ähnlich. Anjas Oma liegt im Bett und atmet ganz ruhig, Anjas Mutter sitzt bei ihr und hält ihre Hand. Die Oma schaut schon wieder ein bisschen anders aus, noch ein bisschen anders als die letzten Male, als Anja sie gesehen hat, in den letzten Wochen hat sich ihr Aussehen immer mehr verändert, sie ist von der Oma, die sie war, zu einem sterbenden Menschen geworden.“

Die Österreicherin Ulrike Haidacher wurde mit diesem Text von Klaus Kastberger zum Bewerb geladen und ist krachend durchgefallen. „Konventionell“ sei das, kam unausweichlich das zweitdümmste Argument, gleich nach dem dümmsten: Hier sage ja jedes Wort, was es meine, und umgekehrt! So kann man schlichtes, gerades, makelloses Erzählen auch benennen.

Fast so krachend durchgefallen ist der Text der Deutschen Sophie Stein, eine elegant aufs Horror-Genre referierende Dystopie. Nicht etwa diese Tatsache hat mich umgeworfen, sondern der hier entfesselte Beschreibungssturm, die mit Händen zu greifende Hochbegabung für das Erzeugen von Atmosphäre und Bildern, die in einem Dutzend Farben, Schattierungen und Intensitäten funkeln. Oder was sonst sagen Sie zum Folgenden?

„Der Fluss leuchtet jetzt jadegrün und jede einzelne Welle ist in tausend grelle, hauchfeine Splitter zerrissen. Blasse Weiden und Pappeln ziehen vorüber, wogende Schilfbüschel und das Wasser mit ihren Flügelspitzen kratzende Schwalben.“

Das ist großartig, blieb aber unbedankt wie in den vergangenen Jahren Laura Freudenthaler, Barbara Zeman oder Verena Gotthardt. Was genau die Jury sucht – Sprache ist es jedenfalls nicht –, weiß ich nicht. Nur was sie heuer gefunden hat, unterscheidet sich nochmals von den beiden Vorjahren. Da haben, trotz Abstimmungs-Fouls, zumindest die Hauptpreisträger das ihnen Zugedachte verdient.

Heuer hingegen? Hat der Schwächste der in Frage Kommenden, Tijan Sila, gewonnen, während sich unter den vielmals Besseren gerade noch die Österreicherin Tamara Stajner den dritten Platz sichern konnte. Beide Texte vertrauen dem Hauptmotiv des Jahres, dem weltpolitisch hochgerechneten Generationenkonflikt, beide mit Schauplätzen im früheren Jugoslawien.

Der Kosmopolit Henrik Szanto bekam gar nichts, obwohl er den vielleicht besten aller Texte geschrieben hat. Schauplatz ist ein Wohnhaus, das in der Nazizeit arisiert wurde. Die Geister der Opfer und der Täter kommen nicht zur Ruhe, sie wispern in den Wänden und berühren die Lebenden an den Händen. Dass der hohe Favorit für sein virtuoses Spiel mit den Zeitebenen leer ausging, verweist freundlich betrachtet bloß auf Überforderung, auch durch das konfuse Abstimmungsprocedere.

Aber der zweite Platz für den Deutschen Denis Pfabe ist eine Provokation. Eine neue Subgattung ist da mit sehr verhaltenem Überschwang zu begrüßen: die Eigenheimsanierungs- bzw. Baumarktbedeutsamkeitsaufladungsprosa. In eine solche Lokalität führt der männerschmerzknarzende Text, ein Mann will von dort gar nicht mehr heim zur Frau und verschwindet am Ende hinter einem Regal. Und was da juryseitig hineingeschwafelt wurde, Weltentwürfe im Halbdutzend!

Hätte die Jury wenigstens Mut gezeigt und den hochmanieristischen, exaltiert aufpolierten Text von Miedya Mahmod ausgezeichnet, dessen daktylische Exzesse sich mitsamt dem Sinn des Ganzen erst beim Vortrag erschließen! Aber die Österreicherin Johanna Sebauer hat mit ihrem für den Publikumspreis konfektionierten, intellektuell nicht überfordernden Text „Das Gurkerl“ gleich zwei Mal reüssiert.

Das Unbefriedigende dieser Resultate hat schon etwas Demonstratives. So dass man – so gern man Brigitte Schwens-Harrant, Mara Delius oder Klaus Kastberger auch weiter begegnet – die Einberufung eines Krisenkabinetts aus der Altersgruppe 80 plus/minus ins Auge fassen möchte. Ulrich Greiner, Sigrid Löffler, Iso Carmatin, Elke Heidenreich ... oder man versieht sich bei der reiferen Jugend und bittet Denis Scheck zurück?

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

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