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Punkinstitution Propagandhi wirbelte die Wiener Arena auf

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Aktualisiert
Lesezeit
6 min
Das Quartett legt nach wie vor den Finger in die Wunde
©APA, Epitaph, Dwayne Larson
Es ist schon ein paar Jahre her, seit die kanadische Punkinstitution Propagandhi hierzulande zu erleben war. Wer befürchtet hat, dass die Gruppe nach fast 40 Jahren Bandkarriere mittlerweile leiser tritt, wurde Mittwochabend in der Wiener Arena eines Besseren belehrt: Passend zum hervorragenden neuen Album "At Peace" bot das Quartett dezidiert politischen Hardcore, der eher den Kopf denn die Beine bediente. Für manche vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig.

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Denn der Rahmen war mit der im Open-Air-Areal abgehaltenen "Reconstruction Tour" eher auf gute Stimmung denn Nachdenklichkeit getrimmt. Immerhin sorgten Kollegen wie Comeback Kid (als energetische Antreiber direkt davor) oder Pennywise (als gebührende Headliner direkt danach) im Pit für ordentlich Bewegung. Die Riffs dafür hatten zwar auch Propagandhi im Köcher, allerdings wurden sie nur selten im klassischen Punkrockkorsett wie bei "...And We Thought That Nation-States Were a Bad Idea" serviert.

Die unbarmherzige Nummer aus dem Frühwerk der seit 1986 existierenden Formation mag musikalisch formattreu daherkommen, schlägt aber alle wesentlichen inhaltlichen Pflöcke ein, die auch heute noch gültig sind: Antikapitalistisch, antifaschistisch, Minderheiten inkludierend - Propagandhi haben sich stets politisch positioniert und taten dies auch bei diesem Gig. Dass dieser Zugang nicht immer mitsingtauglich ist, mussten auch einige Konzertbesucher verschmerzen, die sich wohl eine Spur mehr Zugänglichkeit erhofft hätten.

Stattdessen servierten Propagandhi viel vom neuen Album, sei es das ebenso treibende wie nostalgische "Rented P.A." oder die melodische Großtat "No Longer Young". Die musikalische Bandbreite habe auch mit den äußeren Umständen zu tun, erklärte Drummer Jord Samolesky vor dem Auftritt im APA-Gespräch und verwies auf die vielen Krisen unserer Zeit. "Wir haben wohl diese Verzweiflung und grenzwertige Hoffnungslosigkeit mit in den Proberaum gebracht und genutzt." Nicht zuletzt die Rolle ihres Heimatlandes Kanada in globalen Konflikten sei von den Musikern immer wieder durchgekaut worden. "Viel von dieser Frustration steckt in dieser Platte." Die Musik habe vor diesem Hintergrund auch "eine therapeutische Funktion".

Leicht machen es sich Propagandhi jedenfalls nicht - und auch nicht ihrem Publikum. Wo andere Bands vielleicht mit klaren Ansagen und einfacheren musikalischen Mitteln daherkommen, setzen sie mit progressiven Nummern wie "Guiding Lights" oder dem Titeltrack der aktuellen Platte auf eine ambivalente Stimmung, die größere Fragen adressiert, während die Sounds nicht unbedingt zum stupiden Mitspringzirkus animieren. "Uns war und ist wichtig, was auf der Welt passiert", so Samolesky. "Das ist auch in dieses Album eingeflossen. Es ist eine Arbeit der Liebe, aber auch eine Arbeit der Verzweiflung."

Dass sich diese aktuell besonders am Gaza-Konflikt entzündet und in der linken Kulturszene intensiv diskutiert wird, zeigte sich auch beim Auftritt der kanadischen Band. Wobei der Schlagzeuger diese überaus komplexe Angelegenheit von einem grundsätzlicheren Standpunkt aus betrachtete: "Letztlich geht es doch um Empathie für Menschen, ganz egal, wo oder wer sie sind. Niemand kann etwas dafür, an welchem Ort auf der Welt er geboren wird. Wir sind keine verschiedenen nationalen Entitäten, wir sind eine Spezies! Es bricht mir das Herz, dass all diese Scheiße passiert auf der Welt. Das ist wirklich schwer zu akzeptieren."

Musikalisch finden Propagandhi dafür kluge Lösungen, denen Sänger Chris Hannah in seinen Texten teils einen zynischen Unterton verpasst. Entsprechend ist auch der Titel "At Peace" keineswegs als "seinen Frieden finden" zu lesen, sondern eher von einer resignierenden Qualität gekennzeichnet. Was will man schon verändern in einer Welt, die jeden Tag näher an den Abgrund rückt? Vielleicht ein wenig Verständnis für das Gegenüber, für andere Positionen und Sichtweisen. Eine Schwarz-Weiß-Perspektive hat schließlich noch nie zu konstruktiven Lösungen geführt.

In dieser Hinsicht war das dichte, nicht einmal eine Stunde dauernde Set der Gruppe - noch bestehend aus Bassist und Sänger Todd Kowalski sowie Sulynn Hag an der zweiten Gitarre - als kleiner Weckruf zu verstehen. Vielleicht ist noch nicht alles verloren. "Die Vermögensschere geht immer weiter auf", erinnerte Samolesky. "Es ist so ein kleiner Teil, vielleicht 0,0001 Prozent der Menschheit, der von der aktuellen Situation profitiert. Dieser hart-rechte Autoritarismus bzw. diese beinahe faschistische Richtung, die wir heute erleben, hat nur den Zweck, mit dem Finger auf Minderheiten zu zeigen und sie zu Sündenböcke zu machen, während unrechtmäßig erworbener Reichtum geschützt wird. Wie aber bekämpfen wir das?"

Für Propagandhi scheint Zusammenhalt in dieser Hinsicht unausweichlich. "Es gibt so viel Missinformation", betonte der Schlagzeuger. "Technischen Fortschritte wie KI und dergleichen liegen in den Händen von Typen, die sie als Waffe gegen die Menschheit einsetzen wollen. Sie wollen die Welt regieren für die kurze Zeit, die noch vorhanden ist. Und dann? Sich nach der Apokalypse in einen Bunker verziehen?", ätzte der Musiker. "Das ist doch idiotisch. Ich hoffe einfach, dass sich die Menschen irgendwie zusammenfinden, um das abzuwenden." Und vielleicht ist ja ein Song manchmal der erste Anreiz, um Dinge neu zu bewerten. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

(Von Christoph Griessner/APA)

(S E R V I C E - https://propagandhi.com)

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Epitaph/Dwayne Larson/Dwayne Larson

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