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Sein Pulver verschoss er gleich zu Beginn mit einem seiner schönsten Songs: "Mirrors", eine berührende 2013er Ballade über die erste Liebe und den Lebensabend. "Aren't you somethin' to admire?" heißt es darin. Bewunderer und Bewunderinnen hat Timberlake auch nach über 25 Jahren noch viele. Es gibt sie noch, die "Justin-ich-will-ein-Kind-von-dir"-Fans, aber inzwischen sind die meisten von ihnen kaum jünger als der in Memphis geborene Künstler selbst und Zeilen wie "dirty babe, uh-hu" und "I got sexy ladies all over the floor" gehen womöglich nicht mehr ganz so unreflektiert runter wie in den Nullerjahren.
Vielleicht verlief der Abend deshalb gemächlicher und ein wenig lauwarm, als das noch vor zwanzig Jahren der Fall war. Die Herzen lodern jetzt nicht mehr, sie sind schon ein wenig abgekühlt. "Ihr Newcomers, seid herzlich willkommen auf der Party", reüssierte Timberlake, "und ihr Oldtimer, danke, dass ihr den Traum eines Jungen aus Tennessee wahr gemacht habt".
Die Welt mag sich in all den Jahrzehnten verändert haben (Timberlakes erstes Solo-Album "Justified" erschien 2002), aber nicht dieser "Junge aus Tennessee". Der Hüftschwung sitzt. Uh-hu. Er hat Charisma und Verschmitztheit und flitzt über die Bühne, als würden seine weißen Sneakers auf einer Wolke wandern. Seine stilechte Kopfstimme ist intakt - wie damals als Boyband-Prinz von *NSYNC.
Sowohl Timberlake, als auch die Fans sehen gerne über seine bewegte Vergangenheit hinweg ("Nipplegate", Britney Spears und ein nicht sehr vorteilhafter Mugshot wegen Trunkenheit am Steuer), da die meisten der Songs sie in ihre eigene Jugend zurückversetzen. Jeder hat gewisse Erinnerungen an Klassiker wie "Summer Love", "Rock Your Body" und "Señorita". Synth-Sounds verschmelzen zu einem funkigen Dreifach-Hit von "LoveStoned", "Like I Love You" und "My Love", gekrönt von einem E-Gitarrensolo.
Zwei Stunden lang legte Timberlake eine fein geölte Show hin - ohne viel Gedöns und mit nur drei Songs aus seinem neuen Album "Everything I Thought It Was", mit dem er 2024 auf Tournee ging. Es blieb sogar Zeit für ein Selfie mit einem Zehnjährigen und ein Autogramm für eine Frau, die einen Herzinfarkt überlebt hat (es stand auf ihrem selbstgemachten Plakat). Sein langjähriger Produzent Timbaland schaute für "SexyBack" vorbei.
Kein futuristisches Hightech-Spektakel, wie das bei seiner im Februar beendeten "Forget Tomorrow"-Tour der Fall war, sondern eine abgespeckte Version gab es an diesem warmen Sommerabend. Hinter den erstklassigen Tennessee Kids erstreckte sich ein riesiger Bildschirm mit blauen, retrofuturistischen Elementen und tiefen Orange- und Rottönen einer Wüstenlandschaft.
Die Show wirkte so heruntergefahren, dass sie an einem kleineren Ort womöglich besser aufgehoben gewesen wäre. Timberlake braucht nicht viel. Nur eine Gitarre, die er für eine Version von "What Goes Around...Comes Around" und "Selfish" dann auch rausholte. Am antiklimaktischen Ende ("Until The End Of Time") war man nach zwei Stunden dann wieder zurück in der Gegenwart.
(Von Marietta Steinhart/APA)
BERLIN - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA/dpa/Carsten Koall