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Einer, der sich immer wieder mit Jandl beschäftigt hat, ist der Komponist, Dirigent, Bandleader, Posaunist und Pianist Christian Muthspiel. Zum 100er des Dichters veröffentlicht der Musiker nun mit seinem Orjazztra Vienna die Doppel-CD "vom Jandln zum Ernst". Darauf hat er sich mit 17 Jazzmusikerinnen und -musikern rund 20 Gedichten des Jubilars angenähert - von "de easchdn zen joa" und "jazz me if you can" über "sein das heuten tag" und "im reich der toten" bis zu "wien: heldenplatz"und "drottl".
Das Besondere: In dem Werk wird die Illusion eines gemeinsamen Live-Auftritts mit Jandl erzeugt, indem dessen aus verschiedenen Aufnahmen extrahierte Stimme als Hauptsolist agiert. Muthspiel hatte bereits 2008 die Soloperformance "für und mit ernst" herausgebracht und dafür - acht Jahre nach dem Tod des Poeten - ebenfalls die Stimme Jandls verwendet. Die neuen Aufnahmen erscheinen Ende August in gepresster Form, live sind sie erstmals beim Auftaktabend des Festivals Glatt&Verkehrt am 23. Juli in Krems zu erleben, wo auch Anna Mabo am 26. Juli Jandl-Vertonungen gemeinsam mit Clemens Sainitzer am Violoncello präsentiert. Mit seinem Jandl-Programm nimmt Muthspiel zugleich Abschied von der Bühne. Als letztes Konzert des 62-Jährigen ist ein Auftritt am 5. Dezember in der Szene Salzburg angekündigt. Bereits am Montag (21. Juli) ist Muthspiel im "kulturMontag"-Studio zu Gast.
Eine etwas andere Jandl-Biografie legt der Germanist Bernhard Fetz, Leiter des Literaturmuseums der Nationalbibliothek, vor. "Biografie einer Stimme" heißt das rund 270 Seiten starke Werk, das sich dem Dichter über die Beschreibung und Interpretation bisher unbekannter autobiografischer Fragmente aus dem Nachlass nähert und so "die Emanzipation einer Stimme im Kontext der internationalen Avantgarden" verfolgt. Bereits im 50-seitigen "Auftakt" macht Fetz deutlich, worum es ihm geht: Es handle sich nicht um eine Biografie, wie sie Hans Haider vor zwei Jahren vorgelegt hat, sondern es sei "vielmehr als großer Essay angelegt". Das Buch handle von der "fortgesetzten Suche nach literarischen Formen zur Bewältigung und Darstellung des eigenen Lebens und zur Stimme des Autors".
So lernt der Leser bei der Lektüre etwa Jandls Gedicht "die morgenfeier" als "Atempartitur" kennen oder begleitet Fetz noch einmal ins Jahr 1965 zu Jandls legendärem Auftritt in der Royal Albert Hall, bei dem sich "der immer korrekt auftretende Lehrer und bis dahin nur in Literaturkreisen bekannte Dichter als professioneller Performer" entpuppte. Nachgezeichnet werden auch Jandls verschiedene, unveröffentlicht gebliebene Versuche einer Autobiografie. So skizzierte der Dichter eine "Jazzbiografie" oder eine Biografie in Briefform, verwarf beides jedoch wieder. Neben gezeichneten Selbstporträts gab es auch das Projekt einer "autobiographischen Schallplatte" mit dem Arbeitstitel "merk dir, du heißt", die auf den beiden Seiten "helle" und "dunkle" Gedichte versammeln sollte.
In den einzelnen Kapiteln widmet sich Fetz näher der Stimme, etwa anhand der "stanzen", dem Sprechen als soziales Handeln (etwa am Beispiel von "die humanisten") oder dem Komplex "Stimme und Gewalt" anhand des Sprachspiels "das röcheln der mona lisa" aus dem Jahr 1970. Fast nebenbei geht Fetz künstlerischen Einflüssen von Gertrude Stein über John Cage bis zur Rap-Musik nach und macht so die intermedialen Bezüge der Werk-Biografie deutlich. Eine herausfordernde, aber lohnende Lektüre für Jandl-Hardcore-Fans.
(S E R V I C E - "Ernst Jandl. Biografie einer Stimme" von Bernhard Fetz, Wallstein Verlag, 268 Seiten, 28,80 Euro, ISBN 978-3-8353-5991-8)
Schlicht "Ernst Jandl zum 100. Lieblingsgedichte" nennt sich der im Luchterhand Verlag erschienene Band, der Autorinnen und Autoren des Verlags - darunter etwa die Österreicher Michael Stavarič, Daniel Wisser und Marie Gamillscheg - eingeladen hat, jeweils ein Jandl-Gedicht zu kommentieren. "Es kamen sehr persönliche Antworten, die einiges über die Wirkkraft von Ernst Jandls Texten sagen", schreibt Mit-Herausgeberin Regina Kammerer im Vorwort.
Gamillscheg ("Aufruhr der Meerestiere") hat sich etwa Jandls zweisilbiges "naturgedicht" ("heu/see") ausgesucht, das ihr einst ein Freund am Telefon vortrug und dessen Lautbildung sie fortan nicht mehr los ließ, Stavarić bezeichnet "zertretener mann blues" als eines von lediglich drei Gedichten, die ihn bereits als Schüler beeindruckten, und Wisser fühlte sich durch die vielen Anaphern in "Herz" angestachelt, sich das Stilmittel selbst anzueignen. Weitere Autorinnen und Autoren, die in dem Band mit persönlichen Erinnerungen zu Jandl-Gedichten zu Wort kommen, sind u.a. Kristine Bilkau oder Saša Stanišić.
(S E R V I C E - "Ernst Jandl zum 100. Lieblingsgedichte", hrsg. von Christof Bultmann, Regina Kammerer, Martina Klüver und Miriam Spinrath, 176 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-630-87806-5)
Am Montag (21. Juli) ist im Anschluss an den "Kulturmontag" (ab 23.15 Uhr) die neue Dokumentation "Ernst Jandl - der Sprachperformer" auf ORF 2 zu sehen. Darin begibt sich Heidi Neuburger-Dumancic filmisch auf die Spuren Jandls und verwebt in ihre Erzählung zahlreiche alte Aufnahmen von Auftritten und Interviews mit Jandl. Walter Gröbchen erinnert sich an Jandl als Lehrer, Bernhard Fetz, der gemeinsam mit Jandl den Vorlass aufgearbeitet hat und auch den Nachlass betreut, sorgt für die literaturwissenschaftliche Einordnung.
Auch jene Schriftstellergeneration kommt zu Wort, die mit Jandl-Texten aufgewachsen ist: So begleitet die Regisseurin etwa einen Auftritt von Lydia Haider und spricht mit Michael Stavarić, der durch Jandl bereits in der Schulzeit seine eigene Sprache entdeckte. Auch Menschen auf der Straße lesen im Film Jandl-Texte, und bringen dabei laut Ankündigung zum Ausdruck, "was Jandl immer war: ein Dichter für alle".
"Ö1 jandlt" nennt sich der Thementag am 1. August, doch bereits davon stehen einige Sendungen auf dem Programm des Kultursenders. Von 28. Juli bis 2. August spricht Literaturkritiker und Übersetzer Cornelius Hell in den "Gedanken für den Tag" jeweils um 6.57 Uhr unter dem Titel "längst schon versuche ich / die gängigsten gebete zu rekonstruieren" über Jandl. Am 31. Juli (21 Uhr) ist ein "Im Gespräch" aus dem Jahr 1988 zu hören, das Peter Huemer unter dem Titel "Ich züchte mir mein Gedicht" mit Friederike Mayröcker führte.
An Jandl nicht vorbeizukommen ist dann am Geburtstag, wo Ö1 "Original-Ton-Juwelen" ganztags ins Programm einstreut. Nach "Guten Morgen mit Ö1" (6.10 Uhr) ist in einem "Radiogeschichten Spezial" (11.05 Uhr) Jandls Vortrag "Zweifel an der Sprache" vom steirischen herbst 1973 zu hören. Literaturwissenschafterin Vanessa Hannesschläger und Schauspieler Wolfram Berger sprechen in "Punkt Eins" (13.00 Uhr) über "Die Strahlkraft der Sprache und des Sprachspiels", "In Concert" (14.05 Uhr) bringt eine Aufnahme vom diesjährigen Festival "Glatt & Verkehrt", wo die Sänger-Gitarristin Anna Mabo und Cellist Clemens Sainitzer ihre "Lieder nach Ernst Jandl" uraufführen.
"Die Welt ist laut - laut ist schön!" lautet der Titel eines "Im Gespräch" (16.05 Uhr) aus dem Jahr 1988, das Huemer mit Jandl führte. Die "Spielräume" (17.30 Uhr) bringen frühe und spätere Jandl-Vertonungen unter anderem mit Mathias Rüegg, Lauren Newton, Klaus Dickbauer, Wolfgang Puschnig, Wolfram Berger, Christian Muthspiel und Jandl selbst. Ab 19.30 Uhr ist schließlich ein zweiteiliges "Ö1 Konzert" zu hören und dazwischen das Feature "JazzJandl" (20.15 Uhr). Ab 21.10 Uhr geht es um Jandl und die Musik. Zu hören sind Ausschnitte aus der "bist eulen"-Produktion sowie "lieber ein saxophon". Muthspiels 2008 im Rahmen des Brucknerfests aufgeführtes "für und mit ernst" ist schließlich in "Sound Art: Zeit-Ton" (23.03 Uhr) zu erleben, bevor die "Ö1 Jazznacht" (23.03 Uhr) ebenfalls ganz im Zeichen von Jandl steht.