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Follett überlässt beim Schreiben nichts dem Zufall. Er recherchiert gründlich, fast handwerklich. In den ersten sechs bis zwölf Monaten sammelt er Material und fasst es zu einem etwa 50-seitigen Exposé zusammen, das er von Geschichtsprofessoren und – bei jüngeren Stoffen – auch von Zeitzeugen prüfen lässt. Genauigkeit und historische Detailtreue sind ihm wichtig. Erst danach entwickelt er Schritt für Schritt die Fassungen bis zum fertigen Roman, wie er kurz vor der Veröffentlichung von "Stonehenge" in London erzählt.
Mehr als 190 Millionen verkaufte Exemplare belegen seinen Erfolg. Nach fast 40 Romanen in mehr als 80 Ländern vertrauen Leserinnen und Leser auf solides Handwerk, klaren Rhythmus – und auf eine klare Erzähltechnik, aus der Follett kein Geheimnis macht.
"Die Geschichte braucht alle vier bis sechs Seiten eine Wendung", verriet er. Andernfalls langweile sich das Publikum, statt mit den Figuren zu hoffen und zu bangen. Die meisten Romane bestünden aus etwa 50 dramatischen Szenen - eine Methode, die Tempo, Spannung und Aufmerksamkeit garantiert.
Verschachtelte Handlungsgänge? Lange Sätze? Alles Fehlanzeige bei Follett. Tiefe in den Charakterzügen umgeht er geschickt. Seine Sprache bleibt schlicht, die Szenen wechseln schnell, und auch Liebesschwüre sowie Sexszenen nehmen in "Stonehenge" viel Raum ein.
Im Zentrum stehen bei Follett meist einfache Menschen, die Großes leisten: In seinem Erfolgsroman "Die Säulen der Erde" bauen Steinmetze im England des zwölften Jahrhunderts eine Kathedrale, in "Stonehenge" entsteht eine Kultstätte, die 5.000 Jahre später noch zu den bedeutendsten Orten der Welt zählt. "Mich inspiriert die Vorstellung, dass Menschen aus benachteiligten Verhältnissen Großes vollbringen können", sagte der 76-Jährige der "FAZ".
Fans schätzen diese klare Figurenführung und die leichte Lesbarkeit trotz des wuchtigen Stoffes. Kritiker hingegen halten seine Methode für vorhersehbar, schablonenhaft und die Charaktere oft für blass.
Das dürfte sich auch beim nicht immer wirklich packenden Lesen von "Stonehenge" kaum ändern. Im neuen Roman tragen die Priesterin Joia und der Steinmetz Seft den von Follett verfolgten Gedanken. In ihrer Welt voller Rivalität, Verrat und Gewalt lieben, leiden, kämpfen und hoffen Bauern, Hirten und Waldvolk finden Menschen durch ihre Vision und ihren Ehrgeiz zusammen, um ein gewaltiges Monument zu errichten: Stonehenge.
Im Mittelpunkt steht der junge Seft, der sich von seiner brutalen Familie löst und entscheidend am Bau beteiligt ist. Während persönliche Tragödien, Stammesfehden und Naturkatastrophen die Menschen immer wieder zurückwerfen, wächst das Monument langsam heran und wird zum Symbol für Zusammenhalt, Opferbereitschaft und die Sehnsucht der frühen Gesellschaft nach Sinn und Dauerhaftigkeit.
Dabei ist der religiöse Ursprung von Stonehenge keineswegs gesichert. Manche sagen, es sei eine Art überdimensionierter Kalender gewesen, andere vermuten einen religiösen Ursprung. Jüngere Theorien deuten die Monolithen als Symbol der Einheit zwischen den verschiedenen Völkern, die auf der Insel lebten.
Doch war es wirklich möglich, diese tonnenschweren Brocken kilometerweit zu bewegen? Und das in einer Epoche, in der Rad und Spaten noch nicht erfunden waren? Woher nahmen Menschen damals die Kraft, ein solches Projekt vielleicht ein ganzes Leben lang zu verfolgen – ohne zu wissen, ob es je vollendet würde?
Im Dickicht der Theorien schlägt Follett seinen eigenen Weg ein. Er entführt seine Leserinnen und Leser in Steinbrüche und auf Schlachtfelder, in Tempelstätten und über Felder der Vergangenheit – ein vertrautes Muster, das die einen begeistern, die anderen aber erneut zuverlässig irritieren wird.
Ob das historisch haltbar ist? Nein - und vielleicht ja doch. "Alles an Stonehenge ist eine Mutmaßung. Ich nehme lediglich an, dass es ein religiöses Monument und eine Pilgerstätte war – denn es fühlt sich so an", sagt Follett in London.
(Von Martin Oversohl/dpa)
S E R V I C E - Ken Follett: "Stonehenge - Die Kathedrale der Zeit", Bastei Lübbe Verlag, 672 Seiten, 38,50 Euro)