News Logo
ABO

In Julia Pustets Romandebüt ist "Alles ganz schlimm"

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
3 min
Romandebüt von Julia Pustet
©Haymon Verlag, APA
"Alles ganz schlimm." Julia Pustet hat den Titel ihres Debütromans gut gewählt. Denn die Musikerin und Autorin hat in ihn so viel Unbill gepackt, dass einem ganz schwindlig wird: Prostitution und Gewalterfahrung, Betrug und Ausgrenzung, Shitstorm und Lüge, Psychiatrie und Selbstmord. Kein Wunder, dass der Haymon Verlag mit dem Kommentar einer Kollegin wirbt: "Nach diesem Buch kommt einem das eigene Leben gar nicht mehr so schlimm vor. Danke!"

von

Pustet türmt zwar so richtig viele Probleme in ihrer Geschichte auf, baut aber gleichzeitig zwei Sperren gegen Empathie-Maximierung und Mitgefühl-Overkill ein. Was einem hier aufgetischt wird, spielt nämlich auch mit der Unsicherheit der Quellen. Der Vorwurf der Lüge ist ein zentrales Motiv in dem Roman. Ein Erfahrungsbericht wird nicht etwa angezweifelt, sondern sich von jemand anderem zu eigen gemacht. Zudem schütteln Zeitsprünge und der Einbau anderer Textarten das Gefüge schneekugelartig durcheinander, sodass man letztlich vor allem eines sagen kann: Hier geht es ganz schön drunter und drüber.

Im Mittelpunkt steht Susanne. Die junge Frau ist im Erwachsenenleben angekommen, hat aber offenbar auf die falschen Freundinnen gesetzt. Eine von ihnen, Stella, profiliert sich übergriffig mit einem von Susanne verfassten Bericht über ihre Zeit als Prostituierte und schleicht sich als Freundin von Susannes Bruder auch in ihre Familie. Dass sich Stella schließlich das Leben nimmt, geht in der Atemlosigkeit der Berichte beinahe unter und fügt den Erschütterungen wie den Zweifeln an einer von ihr berichteten Vergewaltigung noch ein weiteres Trauma hinzu.

Mit den Zeit- und Schauplatzwechseln bekommt man mehr ein Gefühl als eine Erklärung für eine Entwicklung, die die menschliche Belastbarkeit auf eine harte Probe stellt. Gleichzeitig wird Feminismus und Politisierung nicht als Ausweg, sondern als eine Facette der Misere dargestellt: Das richtige gesellschaftliche Mindset macht noch niemanden per se zum besseren Menschen und mit dem Sozialarbeiterinnenjargon wird man passagenweise ganz schön zugetextet. Alles sehr kompliziert, "alles ganz schlimm".

Wenn da nicht immer wieder Passagen genauen Schilderns und Beobachtens wären, könnte man auch als Leser rasch verzweifeln. So kann man aber zwischen all' den Verletzungen, Vorwürfen und Selbstbezichtigungen zwischendurch auch innehalten und staunen: Dort, wo Julia Pustet heftig auf die Bremse tritt, dass rundherum alles still steht und eine ganze Seite lang etwas beschrieben wird, das überraschende Türen und Einblicke öffnen könnte, ist plötzlich alles ganz anders. Dann werden jedoch diese Türen wieder krachend zugeschlagen und weiter geht die wilde Jagd. Bis die Geschichte in Italien zu Ende geht, wo sich Susannes Familie rund um die sterbende Großmutter versammelt hat. Man errät es: Abschiednehmen und Erben ist auch nicht ganz einfach.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Julia Pustet: "Alles ganz schlimm", Haymon Verlag, 360 Seiten, 25,90 Euro)

INNSBRUCK - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA / Haymon Verlag

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER