Exklusiv. 17 Jahre lang war er wegen Mordes in Haft. Nun beschloss die Justiz seine Entlassung. NEWS bringt die ersten Bilder von Helmut Frodl - in Freiheit.
Donnerstag, 16. April 2009, 9 Uhr. Zwei Richter und ein Staatsanwalt des Landesgerichts Steyr haben sich in einem Verhandlungsraum der oberösterreichischen Justizanstalt Garsten eingefunden. In der kommenden Stunde werden sie eine wichtige Entscheidung zu treffen haben. Eine Entscheidung, die für einen Insassen des Gefängnisses "alles oder nichts" bedeutet.
"Zweite Chance"
Eine Entscheidung auch, die von erheblicher gesellschaftspolitischer Relevanz ist: Soll er, dieser Mann, der 1992 einen heimtückischen Mord begangen hat und 1993 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, eine Chance auf ein Dasein in Freiheit bekommen? Ist Helmut Frodls Entlassung überhaupt verantwortbar?
Seit Wochen hat sich die Kommission auf die Beantwortung dieser Fragen vorbereitet, mit den Polizei- und Gerichtsprotokollen zu dem Fall auseinandergesetzt und mit den Gutachten, die über den Seelenzustand des früheren Filmproduzenten verfasst wurden.
Zwei namhafte Sachverständige - der Vorarlberger Psychiater Reinhard Haller und der Linzer Psychologe Gerhard Kette - haben den nunmehr 51-Jährigen in den vergangenen Monaten ausgiebig untersucht; einhellig sind sie zu der Diagnose gelangt, er stelle keine Gefahr mehr dar, für andere.
Eine Meinung, welche die Therapeuten und der Leiter der Justizanstalt Garsten teilen. Helmut Frodl gilt schließlich als "Musterhäftling". Hat hinter Gittern immerzu jeden Streit vermieden; sich jederzeit an alle Vorschriften gehalten; mit Elan in der Theatergruppe mitgewirkt und brav in der Gefängnisbibliothek gearbeitet.
Und ja, sagen alle Experten, der Täter hätte das Unrecht seines Handelns längst eingesehen, sich seinem Verbrechen gestellt und an sich gearbeitet - um ein "besserer Mensch" zu werden.
Ein Ausgang in die Freiheit
Donnerstag, 16. April, 10 Uhr. Der Beschluss ist gefällt. Helmut Frodl darf ein neues Leben beginnen. Bald, in wenigen Wochen schon. Am 14. Juni 2009. Dann wird er aus der Haft entlassen. Und bis dahin darf er bloß, wie bisher, einmal wöchentlich für ein paar Stunden das Gefängnis verlassen - um an der Uni in Linz sein Theologiestudium fortzusetzen.
Donnerstag, 16. April, 11 Uhr. Ein schlanker Mann tritt aus dem Eingangstor der Justizanstalt Garsten. Jeans trägt er, ein helles Hemd unter dem blauen Sakko, in der rechten Hand hält er eine abgewetzte Aktentasche und einen Papiersack.
Glücklich, sehr glücklich sieht er aus, bleibt kurz stehen, streicht durch das graue, lockige Haar, hält sein bubenhaftes Gesicht in die Sonne, sekundenlang, rückt dann die silberne Brille zurecht, geht langsam los. Beginnt mit seinem Handy zu telefonieren, bleibt immer wieder stehen, redet, lächelt - schlendert zum Bahnhof, löst ein Zugticket nach Linz. Taucht in der Menschenmenge unter.
Er, dieser "völlig unauffällige" Mann. Der Lehrer sein könnte. Oder Sozialarbeiter. Oder Musiker.
Er: Helmut Frodl. Heute.
Eine Wahnsinnstat
Er: Helmut Frodl. Damals. Mit 34, vor 17 Jahren, hat er einen grauenhaften Mord begangen. Gemeinsam mit Gabor Pesti, einem befreundeten Steuerberater aus Wien. Die Horrorstory der Tat - sie ist in die österreichische Kriminalgeschichte eingegangen.
Helmut Frodl und sein Komplize - so wird der Fall in Büchern beschrieben - lockte am 21. Mai 1992 Fritz Köberl, 46, einen Filmemacher aus Wien, in eine Wohnung in Budapest. Betäubte ihn, tötete ihn danach mit mehreren Schüssen. Zerstückelte die Leiche mithilfe eines Häckslers und eines Fuchsschwanzes in 17 Teile. Und entsorgte die sterblichen Überreste in Müllcontainern.
Das Verbrechen, "ein Drehbuch des Wahnsinns" - diffizil geplant und absurd zugleich. Biza N., eine junge Serbin, spielte in dem irren, von Frodl entworfenen Drama eine Hauptrolle. Die Frau sah nämlich einer Expartnerin Köberls sehr ähnlich - und wurde von Frodl bewusst auf diesen "angesetzt". Sie solle so tun, als sei sie in ihn verliebt; sie solle ihn bezirzen; sie solle ihn nach Budapest locken, zu ihrem angeblichen Lieblingsonkel - lautete ihr Auftrag.
Ein wahrer Thriller
Und dann begann, in einer dort kurzfristig angemieteten Wohnung, Gabor Pestis Part: Der gebürtige Ungar empfing den zukünftigen Bräutigam seiner vermeintlichen "Nichte", setzte ihm mit Rohypnol vermischte Speisen und Getränke vor, während der "Regisseur" des "Thrillers" im Nebenzimmer darauf wartete, dass Köberl ohnmächtig wurde - und er ihn erledigen konnte.
Die Motive für die Wahnsinnstat? Habgier, Neid, Rache.
Helmut Frodl und Fritz Köberl: Freunde waren die zwei einmal gewesen, Anfang der 90er-Jahre aber nur noch Konkurrenten - beide auf Aufträge des Sozialministeriums angewiesen, Frodl schlussendlich "noch mehr". Eine Prunkvilla im Nobelbezirk Hietzing hatte er sich nämlich gerade bauen lassen und hohe Kredite dafür aufgenommen; seine schnellen Autos und sein auch sonst sehr aufwendiger Lebensstil kosteten ebenfalls. Und Köberl arbeitete billiger als sein Kontrahent, und er beschuldigte zudem Frodl öffentlich, wegen Schmiergeldzahlungen bei Ausschreibungen bevorzugt behandelt zu werden. Damit, so einst die Ankläger, habe der Mann sein Todesurteil unterzeichnet.
"Ich bin schuldig." Helmut Frodl: Bei seiner Verhandlung hat er seine Schuld bestritten, eine wüste Agentenstory erfunden, behauptet, der russische Geheimdienst hätte Köberl gekillt. Und Gabor Pesti beteuerte vor Gericht, "total unbedarft in eine schreckliche Sache hineingeraten" zu sein.
Bis heute ist der jetzt 61-Jährige bei dieser Version geblieben: Schon vor eineinhalb Jahren wurde er aus der Haft entlassen, im Februar dieses Jahres gab er NEWS ein Exklusivinterview. "Ich bleibe dabei: Ich bin kein Mörder", sagte er.
Helmut Frodl hingegen ist mittlerweile "voll geständig". Nach den ersten Jahren hinter Gittern, nach Jahren, in welchen er in tiefen Depressionen gefangen gewesen war, hätte er nämlich damit begonnen, seine Geschichte aufzuarbeiten - und damit auch sein Verbrechen. "Er hat sich der Wahrheit gestellt", resümiert Anwalt Nikolaus Lehner, der den Täter einst in dessen Mordprozess verteidigte.
Jugendidol - und Mörder. Wer war Helmut Frodl früher?
Jugendidol, erfolgreicher ORF-Moderator ("Jolly Joker", "Okay"), gut verdienender Filmproduzent. Ein Mann, der als glücklich verheiratet galt, mit seiner Frau zwei Kinder hatte - eines davon war von dem Ehepaar in Indien adoptiert worden; der seine kleine Familie abgöttisch liebte; der sich für soziale Hilfsprojekte einsetzte. Der andererseits wilde Partynächte feierte, im Jetset, in der Schickeria verkehrte und der ständig über seine Verhältnisse lebte.
Helmut Frodl - eine zerrissene Persönlichkeit? Freunde von damals beschreiben ihn als "gutmütig", aber labil. Sachverständige diagnostizierten bei ihm einst ein Borderlinesyndrom.
Jetzt erklären ihn Psychiater für "psychisch gesund". "Helmut Frodl", so Nikolaus Lehner, "ist ein hochintelligenter, äußerst sensibler und sehr tiefsinniger Mensch. Der immer auf der Suche nach dem Besonderen war."
Im Glauben an Gott habe er das "Besondere" schließlich gefunden. In der Justizanstalt Garsten sei er mit Seelsorgern in Kontakt gekommen, sie seien nach und nach seine engsten Vertrauten geworden, er habe mit ihnen über Schuld und Sühne gesprochen und über den wahren Sinn des Lebens. "Und damit erreichte er", meint Lehner, "in sich eine Umkehr."
Gläubig - und verliebt
In der Haft begann Frodl, Theologie zu studieren, 2007 erlangte er den Magistertitel. Das Thema seiner - mit einer Eins benoteten - Diplomarbeit: "Der Wandel der Arbeit, analysiert anhand von kirchlichen Texten".
Der frühere "Frauenheld" Helmut Frodl - auch in den langen Jahren der Haft hat er viele Bekanntschaften gemacht. Unzählige Frauen haben ihm Briefe in seine Zelle geschrieben, mit einigen dieser Damen pflog er enge Beziehungen.
Die wahre Liebe fand er jedoch erst um 2005. In Claudia, einer etwa 30-jährigen Chefsekretärin, Tochter eines Ehepaars, mit welchem Frodl seit seiner Jugend befreundet ist und das ihn immer regelmäßig im Gefängnis besuchte.
Und genau mit dieser Claudia, die er seit ihrer Kindheit kennt, will der nunmehr 51-Jährige nach seiner Entlassung neu starten. Sie heiraten, mit ihr zusammenziehen. Eine Wohnung haben die beiden bereits angemietet, in einem gepflegten Altbau, innerhalb des Gürtels.
Seine Wünsche?
"Helmut will einfach nur ein ruhiges Leben führen", sagt Anwalt Lehner. Und sonst? "Er wünscht sich nichts mehr, als dass seine Kinder irgendwann den Kontakt zu ihm suchen. Aber seine Hoffnung darauf ist gering." Noch vor seinem Prozess hatte Frodls frühere Gattin jeden Kontakt zu ihm abgebrochen, die Scheidung eingereicht, einen neuen Namen angenommen - und war mit den beiden Töchtern an einen ihm unbekannten Ort verzogen.
Frodls Jobangebote
Frodls berufliche Zukunft? In Garsten ist er bereits (neben seiner Arbeit in der Gefängnisbibliothek) für einen Verlag als Lektor tätig gewesen. Doch vor allem widmete er sich natürlich seinem Studium - demnächst soll er an der Linzer Katholisch-Theologischen Fakultät promovieren. Der Themenbereich, mit dem er sich in seiner Dissertation befasst: "Geld und Ethik".
Möglich, dass der 51-Jährige nach seiner Haftentlassung in einem kirchlichen Betrieb eine Stelle bekommt, "allerdings", erklärt Anwalt Lehner, "bin ich für ihn auch schon in Verhandlungen mit zwei Unternehmen im Ausland". Allzu weit darf sich der ehemalige Filmemacher vorerst von Österreich jedoch nicht entfernen: Denn sein "Ticket in die Freiheit" ist an die Auflage geknüpft, dass er bei wöchentlichen Besuchen in der Justizanstalt Garsten seine Therapie fortsetzt.
Donnerstag, 16. April, 18 Uhr: Helmut Frodl kehrt von seinem kurzen Freigang ins Gefängnis zurück. Bevor er sich beim Wachposten meldet, bleibt er noch einmal kurz stehen. Und schaut zum Himmel ...
Alles zu Helmut Frodls Heiratsplänen und seiner beruflichen Zukunft lesen Sie im NEWS 17/09!






