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Mit "Hamburger Aufstand" führt Disarstar eine politische Trilogie fort. Nach "Deutscher Oktober" (2021) und "Rolex für alle" (2022) richtet er den Blick nicht mehr nur auf einzelne Missstände, sondern auf das gesellschaftliche Ganze. Gleich zu Beginn zeigt sich, wie eng Persönliches und Politisches bei ihm verbunden sind. Der Auftakt "Saint-Tropez" erzählt von einer verlorenen Jugend. Während andere auf Klassenfahrten gingen, heißt es dort, habe er "Taxis und Drogeriemärkte ausgeraubt". "Fühl" mich, als hätt ich was verpasst, als vermisse ich 'n Leben, das ich nie hatte", rappt er.
Ein weiteres Highlight ist "Tochter" - gemeinsam mit dem Sänger Jassin, der gerade mit "Bitte sei vorsichtig" auf TikTok erfolgreich ist. Er liefert den eindringlichen Refrain: "Meine Mom ist auch nur 'ne Tochter, und mein Dad ist auch nur ein Sohn." Disarstar zeigte sich beeindruckt von Jassins Talent und traut ihm eine große Karriere zu.
Noch persönlicher wird er in "Familienchronik". "Ich habe mit meinen Eltern seit Jahren keinen Kontakt aus für mich guten Gründen. Sie lernen ihren Enkel nicht kennen, weil ich ihm diese Energie ersparen will", sagt der Musiker. Der Song sei für ihn besonders belastend gewesen, er habe sich "zwei Wochen lang wie ein Haufen Scheiße gefühlt". Viele hielten so viel Offenheit für riskant, er sieht darin eine Stärke: "Ich habe eher das Gefühl, das macht mich unbesiegbar."
Neben der Familiengeschichte nimmt Disarstar auch das große Weltgeschehen ins Visier. Noch deutlicher wird das in "Meine Söhne geb" ich nicht". Der Song ist eine Absage an Wehrpflicht und Kriegslogik. "Meine Söhne geb" ich nicht, gibt nichts Größeres für mich, Deutschland. Wie kommst du drauf, dass sie sterben oder töten woll'n für dich?"
Die Arbeit am Album fiel in eine Zeit großer Umbrüche. Vor zweieinhalb Jahren hörte Falius mit dem Trinken auf. "Davor war ich einige Jahre ziemlich rockstarmäßig unterwegs und habe dabei die Kontrolle verloren." Etwa ein Jahr später kam sein Sohn auf die Welt. Er habe erst mal keine Musik mehr machen wollen. "Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich das nicht kann."
Heute helfe ihm die Balance zwischen Bühne und Privatleben. "Früher war ich 24/7 Disarstar, ein Privatleben gab es nicht. Heute gibt es ein Drinnen und ein Draußen, das ist für mich ganz neu." Auch der Blick auf seine seelische Gesundheit hat sich verändert. "Ich habe mein Leben lang mit Depressionen zu tun gehabt und werde die wohl immer haben", sagt er.
Trotz mehr als 700.000 monatlichen Hörern auf Spotify begann er parallel eine Ausbildung als Tischler in Hamburg. "Ich habe mich ganz normal in einer Werkstatt beworben. Es ist denen scheißegal, dass ich Musik mache." Die Tischlerei sei seine zweite Säule.
Diese Offenheit wurzelt auch in seiner eigenen Geschichte. Disarstar wuchs auf St. Pauli auf und spricht offen über schwierige Jahre in seiner Jugend. Ein engagierter Sozialarbeiter habe ihm damals geholfen, die Kurve zu kriegen. Falius holte die Matura nach und studierte einige Semester Rechtswissenschaften.
Mehr Erfolg ohne Politik? Für Disarstar undenkbar. "Niemals. Ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem ich für weniger Politik erfolgreicher wäre." Kritik spart er auch an der Linkspartei nicht, obwohl er sich selbst "als Marxisten" bezeichnet. Zwar gebe es bei den Linken "tolle Kacheln auf Instagram und gute Takes", doch die Praxis überzeuge ihn nicht. "Dann schaut man auf Abstimmungsergebnisse etwa zur Reichensteuer und denkt, irgendwas stimmt da nicht."
"Hamburger Aufstand" ist Disarstars bisher stärkstes Statement. Es verbindet politische Wucht mit persönlicher Offenheit, Milieuschilderungen mit gesellschaftlicher Analyse, harte Kante mit verletzlicher Introspektion. Ein Album, das fordert und nachwirkt. Ab Herbst geht Disarstar auf Tour, die ihn unter anderem am 10. Oktober in die Wiener Arena führen wird.
(S E R V I C E - www.disarstar.de/)