Felix Baumgartner will im August als erster Mensch im freien Fall die Schallmauer durchbrechen. Todesangst kennt er keine. Nur um Mutter Eva macht er sich Sorgen.
Im Flug Neuland zu betreten - dieses Kunststück wagt Felix Baumgartner. Der Österreicher wird im August über New Mexico aus einer Ballongondel springen (s. Grafik r.) und als erster Mensch die Schallmauer im freien Fall durchbrechen. Dabei will der 43-Jährige fünf Weltrekorde aufstellen: höchste bemannte Ballonfahrt und höchster Absprung (36.000 Meter), längster und längstdauernder freier Fall (34.500 Meter in ca. 5 Minuten) und größte im freien Fall erreichte Geschwindigkeit (ca. 1.200 km/h).
„Ich bin bereit“, sagt Baumgartner. Im NEWS-Interview gesteht er, dass ihn trotz Aufbringung allen Todesmutes die Anwesenheit seiner geliebten Mutter Eva „das größte Maß an Überwindung“ kosten wird.
Herr Baumgartner, beim ersten Test für Ihren Sprung aus der Stratosphäre erreichten Sie eine Spitzengeschwindigkeit von 587 km/h. Ihr Weltrekordversuch im August wird Sie auf die doppelte Geschwindigkeit beschleunigen. Laut Wahrscheinlichkeitsrechnung würde sich dabei ein etwaiges Restrisiko nicht verdoppeln, sondern potenzieren. Wie groß ist der Risikofaktor bei diesem Sprung?
Der ist vorhanden. Etwas anderes zu behaupten wäre eine Lüge. Wir können mit den Testsprüngen vieles ausprobieren und in der Folge korrigieren. Das Einzige, was wir nicht können, ist, das Szenario zu simulieren, das entsteht, sobald die Schallmauer durchbrochen wird. Die Probleme, die sich bei Überschallgeschwindigkeit ergeben, kennen wir nicht, da bisher noch kein Mensch die Schallmauer in freiem Flug durchbrochen hat. Es gibt dazu viele wissenschaftliche Theorien, aber manchmal bedarf es eines Menschen, der diese Theorien durch Taten bestätigt oder widerlegt. Der bin ich. Und ich habe auch das Restrisiko zu tragen. Das große Fragezeichen - was passiert mit dem menschlichen Organismus im Überschallbereich - bleibt bis zu jenem Zeitpunkt bestehen, an dem ich abspringe. Das ist auch der Grund, warum sich die NASA so brennend für dieses Projekt interessiert.
Gibt es ein Back-up-System? Etwa falls Sie bewusstlos werden?
Natürlich. Es wäre sträflich und dumm, zu springen, ohne vorher sämtliche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die technisch machbar sind. Das war nie meine Art zu arbeiten. Eine Kamikaze-Nummer würden meine Partner Red Bull und die US-Air-Force niemals unterstützen. Wir haben analysiert, was alles schiefgehen kann, und danach Lösungen erarbeitet. Es müssten mehrere negative Szenarien gleichzeitig eintreten, damit der Sprung tödlich endet.
Sie haben ein sehr inniges Verhältnis zu Ihrer Mutter Eva. Wie können Sie ihr das antun?
Das ist die einzige Frage, die ich mir selbst ständig stelle. Dieses Gefühl, etwas eigentlich sehr Egoistisches zu tun, verfolgt mich schon meine ganze berufliche Karriere. Das wird zwischen uns nie ausgesprochen, aber ich muss meiner Mutter beim Verlassen des Hauses nur in die Augen sehen, um zu wissen, was sie denkt. Natürlich unterstützt sie mich, aber eine Mutter kann gar nicht anders, als sich zu sorgen. Ich habe dazu ein eigenes Ritual: Wenn ich morgens das Hotelzimmer verlasse, um eine meiner Aktionen durchzuführen, dann drehe ich mich im Türrahmen noch einmal um und sehe mir den Raum konzentriert an. Dabei denke ich: „Hoffentlich komme ich durch diese Türe wieder zurück und kann selbst meine Sachen zusammenpacken.“ Es wäre für mich das Schlimmste, wenn meine Mutter einen Freund anrufen müsste mit der Bitte: „Fahr in das Hotel, und pack dem Felix seine Sachen zusammen, denn er hat es leider nicht geschafft.“ Dieses Ritual aktiviert bei mir jene Disziplin, wie nahezu besessen an der Minimierung sämtlicher Risikofaktoren zu arbeiten. Alle anderen sind mir egal. Ich selbst bin unwichtig. Aber eine Situation wie die eben erwähnte, das würde ich meiner Mutter niemals antun wollen. Denn sie wäre diejenige, die am meisten darunter leiden würde. Und zwar ein Leben lang.
Hinter Ihnen liegen mehr als fünf Jahre Vorbereitungszeit. Wie fühlt man sich so kurz vor dem Ziel?
Nach dem ersten Testsprung ist eine große Last von meinen Schultern gefallen, weil ich gesehen habe, dass es richtig war, immer an mich selbst zu glauben. Aufgrund eines Rechtsstreits waren wir ja kurz vor dem Aufgeben. Viele Freunde, aber auch meine Mutter, waren damals gar nicht so unglücklich darüber. Das hat mich irritiert, da ich gemerkt hatte, dass man mir gegenüber während des Projektes nicht immer aufrichtig war. Sicher wollte man mich nicht negativ beeinflussen, aber man hat mir nicht aufrichtig gesagt, was man denkt, nämlich: Ich soll die ganze Sache lassen. Nett gemeint, aber ich bin ein Mensch, der etwas, was er begonnen hat, zu einem Ende bringt. Deshalb habe ich damals erst recht weitergekämpft, was sich schließlich auch bezahlt gemacht hat.
Wie wollen Sie Ihren Sprung aus der Stratosphäre jemals toppen? Oder gehen Sie danach in Pension?
Ich bin kein lebensmüder Draufgänger, der sein Selbstverständnis daraus bezieht, sich selbst zu übertreffen. Jedes meiner Projekte steht für sich alleine. Das ist, wie wenn man eine Mutter fragt, welches ihrer Kinder sie besonders mag oder ob sie mit einem neuen Kind die anderen zu übertreffen gedenkt. Jeder meiner Sprünge hat für meine Karriere eine einzigartige Bedeutung. Ich hätte vor zehn Jahren nicht das machen können, was ich heute mache.
Haben Sie Ihr Testament gemacht?
Am Tag, bevor ich zu meinem Sprung von der Christusstatue in Rio de Janeiro aufgebrochen bin, habe ich ein Testament verfasst. Das ist zwar handschriftlich, aber immer noch gültig. Ich werde kein neues anfertigen, denn je weniger ich neue Testamente verfasse, desto geringer ist der Bedarf dafür. Diesbezüglich bin ich etwas abergläubisch.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/2012 erschienen.