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Er sitzt am zweiten Weihnachtsfeiertag in der römischen Wohnung seiner Partnerin Isabella an einem großen, runden Tisch voller Bücher und Papiere und schaut auf seinem iPad Fußball. Da wird ihm schwindlig, er stürzt zu Boden. Beim Aufprall kommt es zu einer Überstreckung des Kopfes und zu einer schweren Schädigung des Wirbelkanals, die eine Lähmung der Arme und Beine zur Folge hat. Zum Glück ist Isabella sofort bei ihm und ruft die Rettung. Der Autor kommt in die Gemelli-Klinik.
Die erste Eintragung erfolgt am 6. Jänner. Darin heißt es: "Im Moment ist unklar, ob ich je wieder laufen oder einen Stift in der Hand halten kann. Die Worte hier diktiere ich Isabella, die sie langsam in ihr iPad tippt. Ich bin fest entschlossen, mit dem Schreiben weiterzumachen, noch nie hat es mir so viel bedeutet wie jetzt." Also spannt er seine Familie ein, seine Freundin, der er in der Klinik einen Heiratsantrag macht, und seine drei Söhne, denen er zwischen Untersuchungen, Therapien und Plaudereien diktiert.
Sprechen und formulieren kann er noch, und das empfindet er als großes Glück. "Jeden Tag öffne ich beim Diktieren dieser Gedanken das, was von meinem zerstörten Körper übrig ist, um dem Chaos, in dem ich versinke, eine Form zu geben, um zu verhindern, dass ich innerlich sterbe."
Es geht in diesem Krankenhaus-Tagebuch um seinen aktuellen Zustand als "Gemüse", das die einfachsten Dinge nicht selbst erledigen kann und auf die Hilfe anderer angewiesen ist, um die unendlich langsamen Fortschritte, einen menschenwürdigen Zustand wiederzuerlangen, um Sex, der plötzlich bedeutungslos geworden ist, um neue Bekanntschaften im Spital, aber auch um das schöne, wilde Leben von früher.
Die großen Erfolge des 1954 geborenen Sohnes eines pakistanischen Einwanderers scheinen in einer anderen Galaxie stattgefunden zu haben. Bereits mit seinem Romandebüt "Der Buddha aus der Vorstadt" hatte er seinen Durchbruch gefeiert, das Drehbuch zu Stephen Frears' Film "Mein wunderbarer Waschsalon" trug ihm gleichzu Stephen Frears' Film "Mein wunderbarer Waschsalon" trug ihm gleich eine Oscar-Nominierung ein. Wird es je wie früher? Kureishi zweifelt daran. "Ich hatte einmal ein erfülltes und schönes Leben, und dann hatte ich einen Unfall, und es war vorbei." Aber sich selbst wieder durch die eigene Wohnung in London bewegen können - das wäre fantastisch!
Es wird eine Odyssee, und neben den einzelnen Tagen gliedern die Ortsveränderungen das Buch: Gemelli-Klinik und Krankenhaus Santa Lucia in Rom, dann der Kampf um die Verlegung nach London und das Erschrecken über die verheerenden Zustände im britischen Gesundheitswesen. Vom Chelsea and Westminster Hospital geht es ins Charing Cross Hospital und ins Royal National Orthopaedic Hospital in Stanmore, eine Reha-Klinik im Norden Londons. Hier begegnet er vielen Unfallopfern mit zum Teil grotesken Geschichten und folgert: "Wenn man sich nicht der Gefahr schwerer oder tödlicher Verletzungen aussetzen will, sollte man Bäder, Treppen, Küchen, Garagen und Straßen grundsätzlich meiden."
Kurz vor Weihnachten 2023 kehrt Hanif Kureishi zurück in seine Londoner Wohnung, wo er seither mit permanenter pflegerischer Betreuung lebt. Genau ein Jahr nach seinem Sturz schließt das Buch. "Meine Welt ist aus den Fugen geraten, und nichts darin ist wie zuvor; sie wurde zertrümmert und neu zusammengesetzt, und ich kann es nicht ändern. Aber ich werde nicht untergehen, ich werde daraus etwas machen."
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Hanif Kureishi: "Als meine Welt zerbrach", aus dem Englischen von Cornelius Reiber. Luchterhand Literaturverlag, 288 Seiten, 25,70 Euro; https://www.rlf.org.uk/hanif-kureishi/ , https://hanifkureishi.substack.com/ )