Lasziv tanzende oberkörperfreie Männer, eine lustvolle, mordende Königin und ein Diskurs darüber, wer was in der Kunst machen darf. Kurdwin Ayubs Theaterdebüt „Weiße Witwe“ imaginiert eine Zukunft, in dem der islamische Staat Europa von einer dauergeilen und machthungrigen Herrscherin geführt wird. Und weil es Österreich ist, fehlt es nicht an Bissigkeit, Ironie und einem Appell, sich selbst an die Nase zu fassen.
Tausendundeine Nacht in neuem Gewand
Königin Aliah hat alles: einen treuen Hofstaat, teure Kleidung und ein braves Haustier. Nur eines hat sie nicht: einen neuen Liebhaber. Jede Nacht sehnt sie sich nach einem jungen, weißen Mann, der ihr Verlangen befriedigt. Doch mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass sie ihre Gspusis am nächsten Tag hinrichten lässt – weshalb sich die Suche nach neuem Fleisch erschwert.
Genauso schwierig erweist sich auch die Suche nach einer innovativen Hinrichtungsmethode. Deshalb wird Tochter Cesaria mit dem Finden beauftragt, woraufhin der typische Mutter-Tochter-Streit entbrennt: Ist ihr Vorschlag nicht originell genug, bekommt sie Handy-Verbot.


Georg Friedrich
© Apollonia_Theresa-BitzanCesaria ist gar nicht begeistert von der Politik ihrer Mutter. Denn die neue alte Rechte tobt in Europa, weshalb es Kommunikation statt Unterdrückung braucht, findet die Tochter. Ein alter, weißer Mann, gespielt von Georg Friedrich, will dem Schrecken ein Ende bereiten – natürlich, denn nur ein Mann kann durchgreifen – und meldet sich freiwillig.
Doch statt eine Nacht mit Aliah zu verbringen, erzählt er ihr eine Geschichte. „Der macht einen auf Scheherezade“, kommentiert Königin Aliahs Eunuch. Daraufhin vermischt sich Handlung mit Erzählung, die Wand zwischen Publikum und Bühne bricht und ein Diskurs über Sexismus, Islam und über den Westen beginnt.
Bissig, bissiger, "Weiße Witwe"
Visuell ist das fast zweistündige Stück ein absolutes Spektakel. Da ist die überdimensional große Spinne, die immer wieder auf die Bühne herabgesenkt wird, ein Chor aus tanzenden Männern und Frauen – mal Tausendundeine-Nacht-gleich, mal wie in der Grellen Forelle an Samstagen – und Instagram-Videos, die per Bildschirmaufnahme auf die Leinwände gespielt werden.


© Apollonia_Theresa-Bitzan
Ebenso spektakulär ist die Sprache, die vor allem durch das Neuköllner Deutsch der in der Hauptrolle auftretenden Rapperin addeN geprägt ist. Den exzessiven Gebrauch des Wortes „Fotze“ sollte man ignorieren, auch wenn es die Atmosphäre auf den Punkt bringt. Auf der Oberfläche lustig, überzeichnet und makaber, unter der Oberfläche ernst, kritisch und politisch. Das Stück kommentiert, prangert an und – vor allem – macht einfach. Egal, ob es entsetzt oder schockiert, „Weiße Witwe“ traut sich was.
Es ist – einfach zusammengefasst – österreichischer Humor, der vor dem Makabren, dem Bissigen, dem Skurrilen nicht Halt macht. Und dabei hält er der österreichischen Bevölkerung, und vor allem der Kunstszene, den Spiegel vor. Zeigt, wie sich viele muslimisch regierte Länder vorstellen, prangert aber auch an, dass man die Augen verschließt vor dem, was passiert.
Die Zukunft ist die Gegenwart
„Weiße Witwe“ spielt zwar 2666, die Politik und das Mindset sind aber denen von 2025 ziemlich ähnlich. Deshalb trifft der Fingerzeig auf das Publikum – teils auch direkt – nochmal härter. Eine Szene gegen Ende ist besonders eindrucksvoll. Tochter Cesaria ist nun die neue Herrscherin und möchte alles anders machen als ihre Mutter. Sie sitzt mit dem alten, weißen Mann und einem Produzenten am vorderen Bühnenrand und bespricht die Narrative des Geschehenen. Königin Aliah soll aus der Geschichte gestrichen werden.
Durch ihr problematisches Verhalten würde ein weißes Publikum automatisch darauf schließen, alle Musliminnen seien wie sie. Cesaria protestiert, doch wird von scheints woken Aussagen, die „Ich bin ja nicht rassistisch, aber…“ ähneln, zum Schweigen gebracht. Das Machtgefälle wird anhand der Anordnung ersichtlich: Cesaria kniet zwischen dem stehenden alten weißen Mann und dem auf einem Sessel sitzenden Produzenten. Sie thronen über ihr, egal dass sie die Königin ist. Am Ende wird schließlich auch sie aus der Geschichte gestrichen.
Es zeigt sich eben erneut: Nichts ist unpolitisch und Kunst um der Kunst Willen eine Illusion. Und am Ende haben dann eben doch alte weiße Männer das Sagen. Doch immerhin macht es „Weiße Witwe“ mit Schmäh.