Seine Romane über den Bau einer mittelalterlichen Kathedrale verschafften dem Briten Ken Follett Buchumsätze in Millionenhöhe. In seinem jüngsten Roman „Stonehenge. Die Kathedrale der Zeit" widmet er sich der Entstehung des titelgebenden Steinzeitmonuments. News traf den Bestsellerautor am Schauplatz seines Romans
von

Steckbrief
Ken Follet
wurde am 5. Juni 1949 in Cardiff, Wales, geboren. Als er zehn war, zog die Familie nach London. Seine Eltern gehörten einer Glaubensgemeinschaft an, die Kino- und Theaterbesuche verbot. Der Schüler Follett floh in die Literatur, studierte Philosophie, arbeitete als Journalist, zunächst für die Waliser Tageszeitung „South Wales Echo“, dann als Kolumnist für die Londoner „Evening News“. 1978 verschaffte ihm der Thriller „Eye of the Needle“ („Die Nadel“) über einen deutschen Spion in Großbritannien während des Zweiten Weltkriegs internationale Anerkennung. 1989 gelang ihm mit dem historischen Roman „The Pillars of the Earth“ („Die Säulen der Erde“) über den Bau einer Kathedrale in der fiktiven Stadt Kingsbridge der internationale Durchbruch als Schriftsteller. Follett verbucht Verkaufszahlen in Millionenhöhe. Mit seiner Frau Barbara lebt Follett in London und in Knebworth.
Eines muss man dem britischen Regen lassen, er weiß, wann er sich zurückziehen muss. Etwa, wenn einer der erfolgreichsten Schriftsteller des Vereinigten Königreichs sein jüngstes Werk präsentieren will. Die Rede ist von Ken Follett. Mehr als 198 Millionen Exemplare seiner 38 Romane hat der 76-jährige Waliser auf der ganzen Welt verkauft.
Zur Präsentation seines jüngsten Werks „Stonehenge. Die Kathedrale der Zeit“ hat der Millionenautor Journalisten vom Kontinent eingeladen. News war das einzige Blatt aus Österreich.
Folletts Office und der Lübbe-Verlag hatten den Ausflug zum titelgebenden Steinzeitmonument im Südwesten Englands präzise geplant. Die Abfahrt von der 30 Minuten entfernten Stadt Salisbury erfolgte per Bus um fünf Uhr früh. Die Presseleute sollten den Sonnenaufgang erleben, so, wie er im Roman geschildert wird. Das Gelände wird ausschließlich für Follett und seine Gefolgschaft geöffnet. Doch die Aussicht bleibt düster. Sturm und Regen bleiben unerbittlich. Als die Busse mit den Gästen um 5.30 Uhr eintreffen, eignen sich die meteorologischen Bedingungen für die Heide-Szene in Shakespeares „König Lear“. „Jetzt erleben Sie echtes britisches Wetter“, scherzt Follett. Den Kragen seines dunkelblauen Burberry hat er hochgeschlagen. Seinen schwarzen Rolls-Royce mit cremeweißen Streifen hat sein Chauffeur am Wegrand geparkt. Follett selbst schützt sich mit einem robusten schwarzen Schirm der Marke seines Wagens. Der hält dem Wind stand.
6.16 Uhr: In sieben Minuten soll die Sonne aufgehen. Folletts Assistenten platzieren Lautsprecher, reichen ihm ein Mikrophon. Und siehe da. Genau in diesem Moment weicht der Regen einem zart gelblichen Licht. Jetzt kann der Schriftsteller seine Gäste begrüßen. Er greift zum Mikrophon, posiert für den Fotografen und die Kamerateams. Zum Gespräch mit News lud er ins Café des Besucherzentrums von Stonehenge.
Herr Follett, was empfinden Sie hier in Stonehenge, an diesem historischen Ort?
Ehrfurcht. Und diese steigert sich, je mehr man darüber weiß. Wenn man erfährt, wie es gebaut wurde und welche bescheidenen Mittel die Menschen der Steinzeit hatten, wird deren Leistung immer noch bemerkenswerter.
Wann waren Sie zum ersten Mal hier?
Als Kind mit meinen Eltern. Damals war das Gelände noch frei zugänglich, wir Kinder konnten auf die Steine klettern. Manche Besucher schabten sogar etwas davon ab.
Was war der Auslöser dafür, dass Sie jetzt über die Steinzeit schreiben?
Ein Buch mit dem Titel „How to Build Stonehenge“. Aber ich meine nur den Titel, nicht das Buch. Ich dachte, das klingt wie ein Roman von Ken Follett. Und ich begann tatsächlich, darüber nachzudenken, wie Stonehenge gebaut wurde. Ich habe dann das Buch gelesen und Mike Pitts, den Autor, getroffen. Er wurde einer meiner Berater. Und ich begann, über diese Rätsel nachzudenken. Wer hat das gebaut? Wie wurde es gebaut? Und warum? So erkannte ich, wie daraus ein Roman entstehen könnte, eine Geschichte über diese Fragen, wer diese Menschen waren, wie sie diese außergewöhnliche Leistung vollbracht haben und was sie dazu motiviert hat. Das ist der springende Punkt.
Im Roman geht es vor allem darum, wie man das Unmögliche möglich macht, nicht?
Richtig. Denn wie Sie wissen, sagen die einen im Roman, immer wieder, dass diese Unternehmung töricht, reine Zeitverschwendung sei. Das aber motiviert die Leute, die daran arbeiten, noch viel mehr. Denn sie zeigen denen, dass sie sich irren. Sie können den Gedanken, es nicht zu schaffen, nicht ertragen. Das erhöht die Spannung in einem Roman.
Eine der zentralen Figuren ist eine junge Frau namens Joia. Sie wird Priesterin und treibt die Hirten dazu, das Monument zu bauen. Sie hofft, dass ihr der Bau Ansehen verschafft und sie zur Hohepriesterin aufsteigt. Ist sie eine Art weiblicher Emmanuel Macron der Steinzeit?
Wie kommen Sie auf Macron?
Beide haben geschafft, was niemand für möglich gehalten hätte. Frankreichs Präsident hat in fünf Jahren Notre-Dame nach dem Brand wieder aufgebaut. Joia im Roman war die treibende Kraft für Stonehenge. Anders gefragt, ist sie ein Beispiel für einen ehrgeizigen Politikertypus?
Joias Ehrgeiz gilt der Gemeinschaft. Sie ist überzeugt, dass dieses Monument der Gesellschaft, die gerade eine Hungersnot überstanden hat, neuen Lebensmut geben wird. Ich halte sie nicht für besonders egoistisch. Aber man kann schließlich jeden für egoistisch halten, vielleicht sogar Mutter Teresa, die alles nur für ihren Ruhm getan hat oder um in den Himmel zu kommen. Aber das wäre Zynismus. Manchmal tun Menschen auch Dinge, weil sie diese für richtig halten. Die Hälfte meiner Freunde sind Politiker. Sie sind alle ein bisschen idealistisch. Aber keiner von ihnen brennt wirklich darauf, Premierminister zu werden. Wenn man sie darauf anspricht, dann sagen sie, dass ihr Leben dann komplett ruiniert wäre. In diesem Amt wird man ständig von Bodyguards bewacht, man muss zu jeder Minute bereitstehen. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt darüber nachdenken würde, dieses Amt anzunehmen, würde man es mir anbieten. Aber es gibt natürlich Menschen, die haben nur ein einziges Ziel, nämlich aufzusteigen.
Eine andere hochrangige Priesterin will das Projekt stoppen. Steht sie für die Konservativen in der Politik, die gegen jeden Fortschritt sind?
Ich weiß nicht, ob sie überhaupt konservativ ist. Sie ist ängstlich. Das ist oft so bei Menschen, die einen sehr bequemen Job haben und alles haben, was sie wollen. Wenn jemand etwas Riskantes vorschlägt, lehnen die das ab. Denn sie haben ja alles. Das gibt es heute, und das gab es in der Steinzeit und wahrscheinlich auch im Mittelalter.
Diese Priesterin will ihre Privilegien nicht aufgeben. Sie glaubt auch, dass sie das Recht hat, junge Kolleginnen zu missbrauchen. Haben sich die Menschen denn nicht verändert?
Sie ist wie viele Menschen in Führungspositionen. In den vergangenen Jahren sind viele Missbrauchsfälle bekannt geworden, weil die Leute erst jetzt darüber reden. Wenn heute etwa 40-Jährige sagen: „Als ich zehn Jahre alt war und diese Schule besuchte, wurde ich von diesem Lehrer missbraucht“, sind alle schockiert.
Manche Szenen im Roman wirken, als hätten Sie heutige Menschen in die Steinzeit versetzt. Kann man Ihren Roman als Spiegelbild unserer Gesellschaft sehen?
Wenn Sie diesen Eindruck haben, dann liegt das daran, dass die Steinzeit unserer Gesellschaft ähnlich ist. Es gibt Parallelen zwischen der Gesellschaft der Urzeit und der modernen. Krieg, Rivalität, Konflikte, Unterdrückung hat es immer schon gegeben. Aber ich verwende diese Dinge nicht, um eine Lektion zu erteilen. Ich will niemanden belehren und keine Botschaften vermitteln.
Belastet Sie das Weltgeschehen beim Schreiben gar nicht?
Nun, Kriege hat es doch immer gegeben.


Das schildern Sie auch in Ihrem Stonehenge-Roman. Hätten Sie in einem solchen Buch schon vor zehn Jahren so viel über einen drohenden Krieg geschrieben?
Diese Bedrohung eines Krieges gab es immer. Aber ich stimme Ihnen zu, der Krieg rückt immer näher. Der Unterschied ist, dass heute in einem Krieg eine Milliarde Menschen getötet werden können, in der Steinzeit aber nur ein paar Tausend. Was meinen Roman betrifft, ich konnte das alles nur deshalb so schreiben, weil Archäologen bei Ausgrabungen in der heutigen Salisbury-Ebene, die im Buch die „große Ebene“ genannt wird, Tausende Pfeilspitzen gefunden haben. Der Pfeilschaft verrottet im Boden. Aber die Spitze des Pfeils besteht aus Feuerstein und bleibt erhalten. Wenn man nur Hunderte Pfeilspitzen gefunden hätte, könnte man davon ausgehen, dass diese von einer Jagd zurückgeblieben sind. Aber Tausende Pfeilspitzen deuten darauf hin, dass es eine Auseinandersetzung mit Waffen gegeben haben muss. Das Monument wird damit zum Symbol für den Konflikt. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, Historiker heute glauben, dass es in menschlichen Gesellschaften schon immer Krieg gab, sogar vor der Zivilisation, sogar in der Zeit der Jäger und Sammler. Denn man findet immer wieder Massen von ermordeten Menschen. Wie ein Mensch zu Tode kam, kann man in der Regel am Skelett erkennen, außer er ist ertrunken.
In Ihrem Roman sind die Priesterinnen die Einzigen, die rechnen können. Sie erstellen sogar eine Art Kalender. Gibt es Belege dafür, warum das nicht Männer gemacht haben?
Das habe ich erfunden. Denn das meiste in der Menschheitsgeschichte wird doch Männern zugeschrieben. Bei mir betreiben diese Frauen eine Art Steinzeit-Universität. Sie konzentrierten sich nur auf ihr Amt und waren nicht Teil der arbeitenden Gesellschaft.
Sie schildern drei Gesellschaften, die friedlichen Hirten, die kriegerischen Bauern und das Volk der Waldleute. Kann man Letztere als Hippies der Steinzeit sehen?
Ja, denn ich dachte, dass die Moralvorstellungen dieser Menschen und ihre Sichtweise auf Dinge wie Ehe und Familie sich von unseren unterscheiden. Die Moralvorstellungen der Bauern aber ähneln ein wenig jenen der Neuzeit. Der entscheidende Faktor ist, dass in der Bauerngemeinschaft Frauen als Eigentum angesehen werden. Das ist heute in den meisten Teilen der Welt noch immer so. In der gesamten Geschichte der menschlichen Zivilisation waren Frauen Eigentum. Zumindest in England wird auch heute noch bei einer Trauung die Frau an einen Mann übergeben. Das macht sie zu seinem Eigentum. Natürlich haben viele Frauen das heute aus der Zeremonie gestrichen. Aber oft hängt es davon ab, ob der Pfarrer das durchgehen lässt. Es gibt noch immer einige, die an diesen alten Formen festhalten.
Heißt das, dass der Feminismus gescheitert ist, wenn in unserer westlichen Welt noch immer an solchen Riten festgehalten wird?
Das würde ich nicht sagen. Ich denke aber, dass gesellschaftlicher Wandel immer langsamer voranschreitet, als wir es wünschen.
Da waren die Hirten, die Sie im Roman schildern, fortschrittlicher. Wie kommt es, dass die Frauen dort gleichberechtigt sind?
Das liegt meiner Meinung nach daran, dass die Hirten möglicherweise kein sehr ausgeprägtes Konzept von Privateigentum hatten. In einem Dorf wie in meinem Roman lebten vielleicht 500 Menschen. Sie hatten wahrscheinlich so um die 2.000 Rinder und auch einige Schafe. Ich glaube, dass sie unmöglich wissen können, welche Kuh wem gehört. Sie hatten ja noch keine Brandzeichen, weil es noch kein Eisen in der Steinzeit gab. Heute markieren die Schafzüchter ihre Tiere mit Farbe. Das konnten die Hirten damals nicht, denn es gab damals noch kein geeignetes Material dafür. Also dachte ich, dass diese Tiere wahrscheinlich allen gehört haben, und daher gab es kein persönliches Eigentum.
Hat Sie die Zeichentrickserie „The Flintstones“ irgendwie inspiriert?
Lustige Frage, ich finde sie toll, aber nein, das nicht.
Von welcher Epoche werden Sie in Ihrem nächsten Roman erzählen?
Darüber sprechen wir in zwei Jahren, vorausgesetzt, ich bin bis dahin damit fertig.


Das Buch: Ein junger Steinmetz und eine aufstrebende Priesterin wollen ein Monument für ihr Volk schaffen. Ken Follett schildert in „Stonehenge. Die Kathedrale der Zeit“ die Entstehung des mysteriösen Monuments aus der Steinzeit im Südwesten Englands. Ab 23.09.25 bei Lübbe, € 37,10
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 38/2025 erschienen.