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Dalai Lama wird 90: Ein Leben zwischen Frieden, Exil und Weltpolitik

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The Sundai Times photo of Dalai Lama pictured in L The Sundai Times photo of Dalai Lama pictured in London Airport s hotel during an interview in September 1990. PUBLICATIONxINxGERxAUTxSUIxONLY Copyright: xMarkxEllidgex

1990 by Sunday Times Photo

©IMAGO/News Licensing/Sunday Times

Zum 90. Geburtstag blickt die Welt auf Tenzin Gyatso, den 14. Dalai Lama – eine spirituelle Ikone, politischer Exilführer und unbeirrbarer Botschafter des Mitgefühls.

Der Junge aus Amdo: Kindheit und Erwählung

Geboren wurde der 14. Dalai Lama als Lhamo Dhondup am 6. Juli 1935 in Taktser, einem kleinen Dorf in der osttibetischen Region Amdo. Mit gerade einmal zwei Jahren wurde er von buddhistischen Mönchen als Reinkarnation seines Vorgängers identifiziert – ein Prozess, der tief im tibetisch-buddhistischen Glaubenssystem verwurzelt ist. Unter dem Namen Tenzin Gyatso wurde er im Potala-Palast in Lhasa zum Dalai Lama ausgebildet, dem geistigen und zeitweise auch weltlichen Oberhaupt Tibets.

Mit nur 15 Jahren – 1950 – übernahm er die politische Führung Tibets, just in dem Jahr, in dem chinesische Truppen das Land besetzten. Der junge Lama wurde über Nacht zu einer zentralen Figur des Widerstands. Acht Jahre später, nach dem blutig niedergeschlagenen Aufstand von Lhasa, floh er unter dramatischen Umständen über den Himalaya ins indische Exil – ein Schritt, der sein weiteres Leben prägen sollte.

Exil, Einfluss, Ethik: Der Dalai Lama als globales Gewissen

Seit 1959 lebt der Dalai Lama im nordindischen Dharamsala, wo auch die tibetische Exilregierung ansässig ist. Dort entwickelte er sich vom isolierten Mönchskönig zur globalen moralischen Instanz. Seine Botschaft: Gewaltlosigkeit, Mitgefühl, interreligiöser Dialog – und ein autonomes Tibet innerhalb Chinas.

Der Friedensnobelpreis, den er 1989 erhielt, war Höhe- und Wendepunkt zugleich. Die Weltöffentlichkeit nahm ihn als Stimme der Menschlichkeit wahr – als Gegenbild zu autoritären Regimen, als buddhistischen Brückenbauer zwischen Ost und West. Seine Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Papst Johannes Paul II., Barack Obama, Angela Merkel oder Desmond Tutu machten ihn zur moralischen Instanz auf Augenhöhe mit Weltpolitikern.

Gleichzeitig betonte er stets seine Rolle als einfacher Mönch. Der Dalai Lama verzichtete 2011 freiwillig auf seine politische Macht und übergab die weltlichen Amtsgeschäfte an eine demokratisch gewählte Exilregierung – ein bemerkenswerter Schritt im Kontext der Theokratiegeschichte Tibets.

Dalai Lama - Sein Leben in Bildern

Zwischen Reinkarnation und Realität: Konflikte mit China

Das zentrale geopolitische Thema seines Lebens aber blieb Tibet – und die erbitterte Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Partei Chinas. Während der Dalai Lama auf einen „dritten Weg“ setzt – Autonomie statt Unabhängigkeit – lehnt Peking jegliche Verhandlung ab. Für China ist der Dalai Lama ein Separatist, für Millionen Tibeter weltweit ein Symbol von Identität und Hoffnung.

Ein besonders heikler Punkt: die Frage der Reinkarnation. Der Dalai Lama kündigte mehrfach an, er könnte sich entscheiden, nicht wiedergeboren zu werden – oder außerhalb Tibets. Für Peking, das sich das Recht herausnimmt, selbst über den nächsten Dalai Lama zu bestimmen, wäre das ein Affront. Die Auseinandersetzung über die „Nachfolge“ ist längst zu einem politischen Stellvertreterkrieg geworden – ein Streit zwischen Religion und Parteidoktrin, der weit über Tibet hinaus Bedeutung hat.

Der Dalai Lama als Pop-Ikone und Sinnstifter

Trotz politischer Konflikte und wachsender Konkurrenz in der Weltreligion ist der Dalai Lama in den letzten Jahrzehnten zu einer Ikone der modernen Spiritualität geworden – auch im Westen. Seine Bücher – etwa „Der Weg zum Glück“, „Ethik für das neue Jahrtausend“ oder „Die Kunst des Glücklichseins“ – wurden internationale Bestseller. In unzähligen Vorträgen, Interviews und Social-Media-Clips predigt er Achtsamkeit, Verantwortung und Mitgefühl – Werte, die in Zeiten von Klimakrise, Krieg und Spaltung neue Bedeutung gewinnen.

Besonders auffällig ist seine Rolle als Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Religion. In regelmäßigen Dialogen mit Neurowissenschaftlern, Psychologen und Philosophen betonte er die Verbindung von Meditation, Ethik und Kognition – lange bevor „Mindfulness“ zum Lifestyletrend wurde.

In einer zunehmend polarisierten Welt bleibt der Dalai Lama ein seltener Akteur: religiös, aber nicht missionarisch; politisch, aber nicht parteiisch; humorvoll, aber nie zynisch. Viele sehen in ihm einen der letzten echten moralischen Leuchttürme unserer Zeit.

Kritik, Herausforderungen, Vermächtnis

Trotz seines weltweiten Ansehens blieb auch der Dalai Lama nicht frei von Kritik. Einige Aktivisten werfen ihm vor, zu kompromissbereit gegenüber China zu agieren. Andere kritisieren, dass seine Gemeinschaft im Exil autoritäre Strukturen beibehalte. Zudem sorgten einzelne Aussagen – etwa zu Frauen als mögliche Dalai-Lamas oder über Migranten in Europa – für Irritationen und Widerspruch.

Doch sein Lebenswerk bleibt bemerkenswert: Seit mehr als sieben Jahrzehnten steht der Dalai Lama für gewaltfreien Widerstand, spirituelle Integrität und das Ideal einer friedlichen Koexistenz. Mit nun 90 Jahren ist klar: Sein physisches Ende wird kommen – aber seine Ideen sind längst Teil eines globalen Diskurses.

Ein Jahrhundert der Gelassenheit

Wenn der 14. Dalai Lama in diesen Tagen 90 Jahre alt wird, blickt die Welt nicht nur auf einen Menschen zurück – sondern auf ein Jahrhundertprojekt: den Versuch, Spiritualität, Politik und Menschlichkeit miteinander zu versöhnen. In Zeiten globaler Unruhe wirkt seine Botschaft aktueller denn je: „Unser wahres Feindbild ist nicht der andere Mensch – es ist unser Mangel an Mitgefühl.“

Was von ihm bleibt, ist nicht nur ein religiöses Erbe, sondern eine Haltung. Ein Ethos, das man weder importieren noch zwingen kann. Man muss es – wie er selbst – leben.

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