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Seinen Ausgangspunkt nahm die Innovation in den Wiener Labors von Boehringer Ingelheim: Rund 12.000 Verbindungen wurden auf mögliche Wirksamkeit gegen die Lungenkrebsart untersucht, von der anteilig relativ viele Nichtraucher betroffen sind, erinnerte sich der damalige Leiter der globalen Boehringer-Krebsforschung und nunmehrige "Senior Executive Scientist", Norbert Kraut, im Gespräch mit der APA. Gefunden hat man letztlich Zongertinib, das nun unter dem Markennamen Hernexeos firmiert.
Nicht-kleinzelliger Lungenkrebs mit HER2-Mutation steht für eine Tumorform, deren Ausbreitung durch ein verändertes HER2-Gen vorangetrieben wird, das die Vorlage für einen "wichtigen Wachstumsfaktor-Rezeptor" bildet. Diese Mutation führt über verschiedene Wege zu deutlich beschleunigter Krebszellteilung und Tumorwachstum. "HER2 wirkt wie ein dauerhaft durchgedrücktes Gaspedal", so Kraut.
Über den Ursprung dieser äußerst ungünstigen Veränderung rätselt die Wissenschaft noch. Das Rauchen dürfte aber im Gegensatz zu anderen Lungenkrebs-Formen eher nicht der große Antreiber hinter diesem "besonders aggressiven Lungenkrebs-Typ" sein, da er oft Nichtraucher betrifft. Leider geht mit der Mutation auch eine sehr schlechte Prognose und ein ebenso schlechtes Ansprechen auf Standard-Chemotherapien oder -Immuntherapien einher.
Kleine Moleküle, die man dagegen ins Feld führen hätte können, gab es nicht. Das liegt auch daran, dass es durch die HER2-Genmutationen meistens zur Bildung von zusätzlichen Aminosäuren kommt. Diese verkleinern perfiderweise die Taschen, an denen sich Wirkstoffe an die entarteten Proteinstrukturen anheften können, erklärte Kraut. Man brauchte also kleine, passgenaue Moleküle, die zudem nicht bei dem eng verwandten EGFR-Rezeptor unerwünscht andocken - was dann starke Nebenwirkungen, wie Hautausschläge oder Durchfall bei Patienten ausgelöst hätte.
Rund achteinhalb Jahre nach dem Start des Projekts und sechs Jahre nach dem Fund von Zongertinib kam im August die Zulassung durch die US-Gesundheitsbehörde FDA, ebenso wie positive Bescheide aus China und Japan. Das seien "fantastische Neuigkeiten" gewesen, so Mark Petronczki, Leiter der globalen Onkologie bei dem Unternehmen mit rund 400 in Österreich tätigen Krebsforschenden. Möglich war diese "beschleunigte Zulassung" auf Basis sehr positiver erster Daten in Untersuchungen an experimentellen Maus-Modellen und später in klinischen Studien. "Das ist nicht der Normalfall. Hier waren wir deutlich schneller als der Durchschnitt", sagte Petronczki.
Die wichtigsten Studien auf dem Weg zum Medikament konnte man in hochrangigen Fachjournalen wie "Nature Cancer", "Cancer Discovery" oder im "New England Journal of Medicine" platzieren. Nach dem Start mit drei bis fünf Forschenden wurde das Team in Wien bald auf rund 20 Mitglieder erweitert, so der Ex-Projektleiter. Je weiter es Richtung Zulassung ging, waren weltweit deutlich mehr Forschende involviert.
Von den ersten sechs behandelten Patienten im Jahr 2021 "haben bereits vier sehr gut angesprochen", sagte Kraut: "Wir wussten, dass wir ein Juwel in den Händen hatten." In weiteren klinischen Studien lag die Rate mit guter Wirkung bei über 70 Prozent. Hinter dieser Prozentangabe verbirgt sich ein signifikantes Schrumpfen von bereits metastasiertem Lungenkrebs, bei rund sieben Prozent verschwand der Krebs zeitweise nahezu komplett, bei 96 Prozent wuchs der Tumor während der Behandlung zumindest nicht weiter, erklärte Petronczki. Auch bei im Fall von dieser Krebsform häufigen Gehirnmetastasen zeigen neuere Daten Verbesserungen in rund 40 Prozent der Fälle. Das Profil insgesamt lege nahe, dass man "sehr vielen Menschen helfen" könne.
Interessant ist in dem Zusammenhang auch, dass HER2 in Magen- und Brustkrebs-Varianten ebenfalls eine prominentere Rolle spielt, betonte Kraut. Welche Wirkungen man hier erzielen kann, müsse noch in weiteren aufwendigen Studien geklärt werden. Die bisherigen Schilderungen vonseiten zuvor austherapierten Lungenkrebs-Patienten zeigen, dass Menschen quasi "vom Sterbebett wieder zurück ins Leben oder in die Arbeit" kommen. Kraut: "Das ist sehr vielversprechend." In Europa könnte es bis zur Zulassung noch um die zwei Jahre dauern.
WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Boehringer Ingelheim/Boehringer Ingelheim