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Wie stark Städte die Mobilität von Menschen prägen

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Sehr viele Menschen weltweit bewegten sich zu wenig
Die Struktur von Städten beeinflusst direkt, wie viel die Bewohnerinnen und Bewohner einer Stadt zu Fuß gehen – und damit auch die Gesundheit der Menschen. Das belegt erstmals eindeutig die minutiöse Analyse von App-basierten Bewegungsdaten von Menschen in US-Städten. Die Fußmobilität sei vor allem wichtig für die Gesundheit, schreibt das US-Team um Tim Althoff von der University of Washington in Seattle im Fachjournal "Nature".

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Sehr viele Menschen weltweit bewegten sich zu wenig und steigerten damit ihre Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs. Das gelte zunehmend für die Städte, wo bis 2050 schätzungsweise 6,7 Milliarden Menschen leben werden. Wie wichtig Bewegung für die körperliche Gesundheit ist, belegen Studien zweifelsfrei.

Ein deutscher Experte hält die Resultate generell für übertragbar: "Auch in deutschen Städten hängt Gehen davon ab, wo man lebt und wie gut dort das fußläufige Angebot ist", sagt Stefan Siedentop von der Technischen Universität Dortmund, der nicht an der Studie beteiligt war. Wichtig sei die Erreichbarkeit etwa von Geschäften, Ärzten, Gastronomie, Schulen, Freizeiteinrichtungen und Parks. Dies müsse man bei der Raumplanung stärker berücksichtigen.

Dass eine städtische Umgebung Menschen zu körperlicher Aktivität anspornt, war bisher zwar viel erforscht, galt aber als nicht eindeutig gesichert. Um dies zu klären, wertete das US-Team Daten von rund 5.400 Nutzern der Smartphone-App Argus aus, die die Schrittzahl der Menschen erfasst. In einem Zeitraum von drei Jahren zogen diese Individuen etwa 7.500 Mal zwischen etwa 1.600 US-Städten um – damit konnte das Team den langfristigen Einfluss der Umgebung verschiedener Städte auf die körperliche Aktivität systematisch überprüfen und mit einem bereits bestehenden Index zur Gehfreundlichkeit von Städten abgleichen. Als gehfreundlichste Stadt gilt New York City.

Demnach gingen jene Teilnehmer, die aus wenig gehfreundlichen Städten nach New York City zogen, im Mittel tatsächlich 1.400 Schritte pro Tage mehr – sie steigerten ihr durchschnittliches Pensum von 5.600 auf 7.000. Im gleichen Maße nahm die Zahl der Schritte bei jenen Menschen ab, die umgekehrt von der Metropole wegzogen. Andere mögliche Einflüsse – etwa Alter, Geschlecht, Körper-Masse-Index, Jahreszeit und generelles Aktivitätslevel – wurden von den Forschenden bei der Analyse berücksichtigt.

"Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Veränderungen der baulichen Umgebung große Populationen beeinflussen können – im Vergleich zu Interventionen, die auf Individuen abzielen und nur kleine Gruppen erreichen", schreibt die Gruppe. Der Analyse zufolge entspricht etwa ein Sechstel der US-Bevölkerung – 18 Prozent – der Empfehlung, 150 Minuten pro Woche zu gehen. Bei einer recht anregenden Umgebung wie etwa in Chicago oder Philadelphia, so berechnet die Gruppe, wären es über 29 Prozent, im Falle von New York City sogar fast ein Drittel, 32,5 Prozent.

Zwar seien die Nutzer der App wohl nicht repräsentativ für die US-Bevölkerung, räumt das Team selbst ein. Dennoch: "Die Ergebnisse unserer Analyse liefern Forschenden und Politik-Verantwortlichen Informationen, um die Auswirkungen zielgerichteter Verbesserungen der Fußgängerfreundlichkeit abzuschätzen", schreibt die Gruppe.

Die Studie biete "zwingende Belege dafür, dass die bauliche Umgebung kausal beeinflusst, wie viel wir gehen", betont Althoff. "Viele Dinge beeinflussen die Zahl der täglichen Schritte, und die bauliche Umgebung gehört eindeutig dazu."

Experte Siedentop, der an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund lehrt, spricht von einer sehr spannenden Studie, die mit Hilfe der App-Daten ganz neue Einblicke gebe – auch wenn die USA nur eingeschränkt mit Deutschland vergleichbar seien. "Es hat eine große Bedeutung für Bewegung, wo ich lebe und welche Angebote ich habe", sagt der Experte für Stadtentwicklung.

Diesbezüglich gebe es auch in Deutschland beträchtliche Unterschiede. So legten Menschen in deutschen Metropolen einer Studie zufolge etwa 31 Prozent ihrer Wege zu Fuß zurück, in Kleinstädten und Dörfern dagegen seien es nur 21 Prozent, so Siedentop.

Aus Frankreich stammt demnach das auch in Deutschland diskutierte Konzept der Stadt der kurzen Wege – auch 15-Minuten-Stadt genannt: Demzufolge sollten alle wichtigen Orte für den täglichen Bedarf binnen 15 Minuten zu Fuß oder per Rad erreichbar sein. Von den deutschen Metropolen schneiden gemäß einer Studie hier vor allem Frankfurt, Mannheim und München gut ab, aber auch Hannover, Düsseldorf, Berlin und Stuttgart.

Generell, so Siedentop, sei es Aufgabe der Raum- und Stadtplanung, das fußläufige Angebot zu verbessern, allerdings gebe es auch andere Interessen – etwa wirtschaftliche. "Solche Studien sind eine Argumentationsgrundlage für Planende", sagt der Experte. Das könne auch zur angestrebten Mobilitätswende beitragen.

Als Beispiel für ein Vorzeigeprojekt nennt Siedentop die Lincoln-Siedlung in Darmstadt. Bei dem früher von der US-Armee genutzten Areal ist die Förderung der Nahmobilität ein zentraler Baustein.

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/dpa-tmn/Alicia Windzio/Alicia Windzio

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