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Zum anderen seien es Mütter, die sich von ihren Töchtern bedrängt und bevormundet fühlen. Sie fragen um Rat, wie sie sich diese Töchter und deren Gesprächswünsche oder auch liebevoll gemeinten Taten quasi vom Leib halten können - ohne dabei die Beziehung zu zerstören. Damit ist klar: Sonja Schiff kennt beide Sichtweisen zur Genüge.
Sonja Schiff: Altern ist ein Prozess. Wenn nicht gerade ein Unfall oder ein Herzinfarkt das Leben abrupt beendet, ist es ein sehr langsamer Prozess. Und auch darüber zu reden, sollte ein Prozess sein. Man kann nicht erwarten, dass man ein einziges Mal darüber spricht und das wie ein Projekt abhaken kann. Die Reaktionen können von Widerstand über ein freundliches Nicken bis zur wütenden Abfuhr reichen.
Über das vermeintliche Tabuthema zu sprechen kann schwierig sein, weil viele Ältere Gespräche über Pflege und Sterben als Angriff auf ihre Kompetenz oder als "Abschreiben" empfinden.
Auch weil es mit zunehmendem Alter zu einer Rollenumkehr kommt und Kinder kommunikativ oft die "Elternrolle" übernehmen, kann das für Eltern irritierend sein. Wenn das Thema dann noch kalt serviert wird, kann es als "Überfall" empfunden werden, unter dem dann tatsächlich das Vertrauen leidet.
Und dennoch sage ich: Ja, man sollte darüber reden - aber behutsam und nicht überfallartig. Es gibt vier gute Gründe, das Thema anzusprechen:
Sonja Schiff: Je früher, desto besser! Wenn Eltern mit 60, 70 Jahren noch fit sind, laufen Gespräche in die Richtung entspannter und auf Augenhöhe ab. Sie geben dann sogar Raum für Humor, Reflexion sowie Wünsche und sind nicht von Krisenstress überlagert.
Gespräche, die man führt, wenn schon erste Hilfebedürftigkeit oder körperliche Defizite auffallen, kommen häufig zu spät, weil Entscheidungen schnell getroffen werden müssen. Zudem sind solche Gespräche dann meist emotional zu sehr aufgeladen, führen eher zur Abwehr und könnten mit dem Vorwurf enden: "Ihr wollt mich ins Heim abschieben!"
Es gibt allerdings ein Aber: Gesprächsergebnisse von vor zehn Jahren können im Akutfall ihre Gültigkeit verloren haben. Denn dann beginnt meist ein neuer Gedankenprozess, weil neue Gefühle und neue Ängste entstanden sind. Trotzdem beginnt man dann nicht bei null. Es gibt bereits eine Grundlage.
Bei einem ersten Aufschlag zu dem Thema sollte man nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern mit der Beziehung und den Wünschen arbeiten, beispielsweise so: "Mama, Papa, ich möchte, dass es euch einmal gutgeht. Was ist euch wichtig, wenn ihr einmal Unterstützung braucht? Was kommt gar nicht infrage?" Man kann sich auch biografisch herantasten mit "Wie war das bei euren Eltern?" Aber bitte alles in kleinen Dosen und nicht in einer Sitzung alles ansprechen. Es ist ein Prozess!
Gibt es mehrere Geschwister, könnte man auch strategisch vorgehen und schauen, wer die beste Beziehung zu Mama oder Papa hat. Dann sollte der- oder diejenige übernehmen - und nicht unbedingt das Kind mit der schlechtesten Beziehung zu den Eltern.
Sonja Schiff: Wenn alle beisammen sind, könnte sich das zwar logistisch anbieten. Aber Weihnachten ist die emotionale Ladung ohnehin schon hoch, es gibt viele Erwartungen an Harmonie, Tradition, Nostalgie. Da kann ein Gespräch über Pflege und Sterben schon als "Stimmungskiller" erlebt werden.
Ich würde Weihnachten nicht ein solches Gespräch führen. Aber es ist ein guter Moment, das Gemeinschaftsgefühl zu nutzen und sich auf ein späteres, bewusst von allen Seiten vorbereitetes Treffen zu einigen. Das könnte man eventuell so vereinbaren: "Da wir jetzt alle zusammen sind – wie wäre es, wenn wir Anfang Februar einen Termin machen, um in Ruhe über eure Zukunftswünsche zu reden?"
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Foto: Viola Bulatova/Westend61/dpa-tmn..ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit dem genannten Text und nur bei vollständiger Nennung des vorstehenden Credits..437764399





