Die Arbeit der Inspektoren des Guide Michelin nährt zahlreiche Mythen. Wie der Weg zur Auszeichnung mit Sternen läuft, verrät ein anonymer Inspektor
Gerüchte um die Vorgehensweise der anonymen Tester des Guide Michelin hatten in Österreichs Top-Gastronomie zuletzt Hochsaison. Stets kämen die Inspektoren zu zweit im Abstand von einer halben Stunde. Einer der beiden bestelle das Menü, der andere esse à la carte, bezahlt würde stets bar, erzählte man sich. In Deutschland galten eine Zeit lang Autos mit Kennzeichen aus der Stadt der Michelin-Zentrale als Indiz für einen Besuch. Auch nach Gabeln, die Tester als Prüfstein für Service unter den Tisch legen würden, wurde Ausschau gehalten. Im Online-Magazin des Guide Michelin, beschreibt ein anonymer Inspektor, wie es wirklich läuft.
Sie kommen allein, zu zweit oder als Gruppe
Zumindest der Gabel-Trick scheint demnach aus dem Reich der Märchen, denn für Michelin-Sterne zähle einzig das Essen auf dem Teller, verrät der Inspektor: „Der Stil eines Restaurants und die Ausstattung haben keinerlei Einfluss auf die Auszeichnung.“ Bewertet wird universell nach fünf Kriterien: Produktqualität, Know-how der Küchenchefs und -chefinnen, Originalität der Gerichte und deren Beständigkeit auf Dauer sowie über die gesamte Speisekarte. Sterne-Anwärter werden deshalb zu unterschiedlichen Tageszeiten, an verschiedenen Wochentagen und Jahreszeiten besucht, um ein vollständiges Bild der Leistung zu erhalten. Inspektoren essen allein, zu zweit und gelegentlich sogar als Gruppe, beschreibt der Inspektor.
Einstimmige Entscheidung
Die Entscheidung zur Vergabe von Sternen erfolgt in sogenannten „Sternekonferenzen“ einstimmig: „Bei Meinungsverschiedenheiten werden weitere Testessen organisiert, bis ein Konsens erreicht ist.“ Bestehende Sternerestaurants werden jährlich neu überprüft, dazu werden neue Spitzenbetriebe gesucht. Wer seine Küche für auszeichnungswürdig hält, kann sich mittels Formular auf der Homepage des Guide Michelin bewerben. Um ein weltweites Urteil nach denselben Standards zu garantieren, werden Inspektoren um die ganze Welt geschickt. Qualifizieren kann sich generell jedes Restaurant, egal welchen Stils. Der Inspektor: „Es gibt keine geheime Formel – wir suchen einfach wirklich gute Küche.“
Der Stern gehört der Küche, nicht dem Koch
Sterne werden einem Restaurant verliehen, nicht einem einzelnen Küchenchef. Das erklärt, warum mit dem Weggang eines Küchenchefs nicht zwingend ein Stern verloren geht. „Manchmal befördert das Restaurant den ebenso qualifizierten Souschef zum neuen Küchenchef“, so der Inspektor, der ausführt, das dies mittels Testbesuch natürlich überprüft werde. Für die Vergabe von Sternen pro Jahr gibt es kein Limit.
Wie viele Inspektoren in Österreich unterwegs waren, bleibt – nach Anfrage – ein Geheimnis, ebenso die Anzahl der getesteten Restaurants. Einzig so viel ist zu erfahren: Die Inspektorinnen oder Inspektoren, die hierzulande unterwegs waren, stammen aus neun Ländern.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.03/2025 erschienen.