Tore statt Werte

Die Männer wollen halt doch nur spielen. Fußball nämlich. Weil mit Haltung und Rückgrat lässt sich bei der schönsten Nebensache der Welt nichts verdienen

von Tore statt Werte © Bild: News/ Matt Observe

Es hätte alles so einfach sein können. So wie immer, wenn die schönste Nebensache der Welt in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückt. "Konzentrieren wir uns auf den Fußball", hatte Gianni Infantino in einem Brief an die WM-Teilnehmer geschrieben. Es sei genug mit der Politisierung des Fußballs, befand der Boss eben jener FIFA, die sich Werte wie Vielfalt und Toleranz seit jeher auf die Fahnen geschrieben und dennoch die WM an ein Land vergeben hat, in dem diese Werte nichts zählen.

Dass der Fußball für diese WM gekauft wurde, wissen wir. Dass der Fußball sich hat kaufen lassen, wissen wir auch. Dass der Fußball vom FIFA-Boss abwärts viel von Geld, aber in der Endkonsequenz wenig von Moral, Anstand und Rückgrat hält, haben wir geahnt. Seit dem Anpfiff in Katar ist es Gewissheit. Eine Kapitänsbinde mit einem Herz und dem Aufdruck "One love" wollten die Kapitäne von Deutschland, England, Wales, Belgien, Dänemark, der Niederlande und Schweiz als Zeichen gegen Diskriminierung tragen. Eh nur sieben (!) Mannschaften von 32. Doch mit der Aussicht auf Geldstrafe, Gelbe Karte und Punkteabzug verschwand das Mini-Symbol in der Schublade. Einen Plan B der Fußball spielenden Vorreiter gegen jegliche Form der Diskriminierung gab es offenbar nicht. Dabei hätte man den Gegenwind von Infantino, dem Lobbyisten der katarischen Herrscherfamilie, der seinen Wohnsitz nach Katar verlegt hat, erwarten -und sich darauf vorbereiten können.

Was wäre also passiert, wenn diese sieben Nationen gesagt hätten: Wir lassen es geschlossen darauf ankommen? Hätten die FIFA und ihr machthungriger Boss sich ihren eigenen sportlichen Wettbewerb ruiniert? Was hätten TV-Stationen, Sponsoren, Austrager und Fans zu der in Schieflage geratenen Verhältnismäßigkeit gesagt? Hätte sich die FIFA allen Ernstes mit dem weltgrößten Fußballverband, nämlich Deutschland, auf der Weltbühne angelegt? Wohl kaum. Die Machtdemonstration der FIFA ist ein beispielloser Vorgang in der WM-Geschichte. Mit und wegen des Veranstalters. Binnen eines Tages wurde die Arbeit im Sport gegen Rassismus, Diskriminierung und Hass zunichtegemacht. Übrig bleiben hohle Phrasen und die Erkenntnis, dass ein Protest, der nicht wehtut, ein billiger Protest ist. Einer für die Schönwetter-Schlagzeilen. "Echt ärgerlich" findet das alles Oliver Bierhoff, Manager der Deutschen Nationalmannschaft. Die ist mit einem Flugzeug mit der Sonderlackierung "Diversity Wins" zum Vorbereitungsspiel im Oman angereist. Der Weiterflug nach Katar erfolgte mit einer regionalen Airline und ohne "Diversity"-Aufdruck.

»Da stehen nicht nur Fußballer am Feld, sondern auch Vorbilder und Socia-Media-Stars«

Fußballer sollen Fußball spielen und nicht irgendwelche politischen Ideologien vermarkten, sagen jetzt jene, die dem Ganzen schulterzuckend gegenüberstehen. So einfach ist das nicht. Schließlich stehen nicht nur Fußballer auf dem Platz, sondern auch Sympathieträger. Vorbilder. Social-Media-Stars mit Millionen von Followern. Profi-Fußballer können in Gesellschaften hineinwirken. Sie wirken längst hinein - nicht nur, aber insbesondere in politischen Zeiten wie diesen. Warum also die WM-Bühne nicht auch für echte Anliegen und nicht nur für das Geldbörsel nutzen? Fußball ist wichtig. So wichtig, dass Sender Millionen für die Übertragungsrechte hinblättern und ihre Nachrichtensendungen an der Halbzeitpause ausrichten. Regierungschefs geben sich bei wichtigen Spielen die Türklinke in die Hand. Aber politisch soll das alles nicht sein?

Die iranischen Nationalspieler sind sich ihrer Rolle bei dieser WM bewusst. Sie nutzen die Weltbühne und riskieren dafür weit mehr als nur eine Gelbe Karte. Sie tun es trotzdem. Und zeigen damit auch, wie erbärmlich das Verhalten der anderen, der FIFA, der Fußballverbände, der bestens bezahlten Fußballspieler ist.

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