Sprachlos – hilflos – aussichtslos

Die Schwierigkeit im Umgang mit Krankheit von Menschen, die einem nahestehen

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

„Mir geht es nicht so gut“, sagte Franz. Er sah blass aus, müde und abgemagert. Sein rundliches Gesicht, das ich so frisch und fröhlich in Erinnerung hatte, zeigte tiefe Falten rund um die Augen. Er saß vor mir im Café vor einer Tasse Melange, die bereits kalt war, als hätte er vergessen, sie zu trinken. Das war vor zehn Monaten. Heute sitze ich allein auf dem Holzsessel vor dem runden Marmortisch. Es ist ein Mittwoch, vier Uhr Nachmittag.

„Was ist los mit dir?“, fragte ich ihn damals. Seine Antwort klang wie die Handlung eines Horrorfilms. Wie es plötzlich begann, ohne Vorzeichen, eine ganz normale Routineuntersuchung, wie jedes Jahr, und verwöhnt von der Normalität, dem sorglosen Leben der vergangenen Jahren, überraschte es ihn wie ein Erdbeben, das niemand vorausahnen konnte.

Ich saß vor ihm und schwieg, überlegte, was ich ihm antworten sollte. Er kam mir zuvor.

„Hab jetzt bloß kein Mitleid mit mir“, sagte er, meine Gedanken unterbrechend, „ich kenne dich zu lange, ich weiß, wie schwer es dir fällt, auch nur einen Satz des Mitgefühls herauszubringen.“
Wir lachten beide, vielleicht war es auch nur ein Lächeln, verkrampft und hilflos.
„Ich weiß selbst nicht, wie ich damit umgehen soll“, sagte Franz plötzlich, „wann immer ich mit jemandem darüber spreche, kommt es zu dieser Schockreaktion, die mich nur ärgert, als müsste ich mein Gegenüber beruhigen und trösten.“

Trost

„Ich kann dir nichts vorspielen“, sagte ich, „es lähmt mich, wenn ich mit dem Leid anderer konfrontiert werde, und meine tröstenden Worte klingen wie einstudierte Klischees. Aber wie sollte ich reagieren, was würde dir helfen?“ Franz schwieg, als würde er nachdenken. Kann man überhaupt jemandem helfen in solch einer Situation, ging mir durch den Kopf.

„Die Krankheit macht mich unendlich traurig“, sagte er plötzlich, „manche glauben jedoch, es würde helfen, wenn auch sie traurig wären, aber es ist das Traurig-Sein der Gesunden, die noch Spaß am Leben haben, das ich schrittweise verliere, wie soll mir das helfen?“ Ich versuchte, aus der Welt der Gefühle auszubrechen und fragte ihn, ob es nicht doch eine Behandlung gäbe, die ihn vielleicht retten könnte.

Er lächelte wieder und sagte: „Du versuchst die praktische Lösung, das ist typisch für dich, reden wir nicht über Verzweiflung, sondern über mögliche Rettung, es gibt natürlich nicht erklärbare Wunder, das Unerwartete, aber rein medizinisch ist nichts mehr zu machen, es hat also keinen Sinn, dein sachliches Gespräch, ich müsste dir jetzt beschreiben, was schon versucht wurde und nicht geholfen hat, dazu habe ich keine Lust, und es interessiert dich auch nicht.“
„Ich kann dir nicht ein letztes bisschen Leben aufzwingen, aber ich könnte dich einfach begleiten, egal ob beim Reisen, im Kino, im Theater, mit dir spazieren gehen oder dich hier im Café treffen“, sagte ich.

Angst

„Ich denke oft darüber nach, was ich in den nächsten Monaten tun sollte, um die Zeit zu nützen, aber ich weiß es nicht, es fällt mir nichts ein, soll ich einfach so weiterleben?“, fragte Franz.

Was sollte ich ihm antworten? Was würde ihn ablenken, ihn beruhigen? Sollte ich einfach ehrlich sein oder mir überlegen, was er gerne hören würde? Sollte ich ihm sagen, dass mein erster Gedanke, als er mir mitteilte, wie krank er sei, mich erinnerte, wie lange ich nicht beim Arzt war. Mir plötzlich durch den Kopf ging, dass ein leichtes Ziehen im linken Bereich des Bauches, das ich bisher ignorierte und nicht ernst genommen hatte, vielleicht dramatische Ursachen haben könnte, dass sein Zustand mir Angst machte, dass etwas langsam in mir verfaulen könnte, und erst erkannt wird, wenn es zu spät ist?

„Woran denkst du?“ Er überraschte mich mit der Frage. „Ich denke an mich, mein Ende, wie es mich wohl eines Tages erwischen wird, wie ich reagieren werde“, antwortete ich. „Du bist wenigstens ehrlich“, sagte Franz, „mir würde schon helfen, wenn du mit mir sprichst, ohne mich zu bemitleiden, nicht jede Antwort meinen Zustand berücksichtigt. Mit wem kann ich noch reden? Meine Frau weint ständig, meine Kinder sind zwar erwachsen, reagieren jedoch noch hilfloser, was ich ihnen nicht einmal vorwerfe.“

Empathie

„Vielleicht bin ich als empathieloser Gesprächspartner die perfekte Besetzung“, sagte ich und wir lachten beide. „Du bist nicht so kalt, wie du dich darstellst, ich kenne dich doch, du hast eine andere Methode der Unterstützung, die ist wichtiger als ewiges Gejammer, sag einfach offen, wenn ich dir auf die Nerven gehe, und dräng mich zu anderen Themen, lenke mich ab mit einer Diskussion, einem Streit, das kannst du doch am besten!“, sagte Franz.

„Heute ist Mittwoch“, sagte ich, „und es ist jetzt vier Uhr, wir treffen uns von heute an jeden Mittwoch hier in diesem Café, immer um die gleiche Zeit, und wenn du nicht mehr gehen kannst, komm ich zu dir nach Hause oder ins Krankenhaus, jeden Mittwoch, ich bringe ein Buch mit jüdischen Witzen, und wenn du zu jammern beginnst, lese ich dir einen Witz vor.“ Wir lachten wieder. Doch dann verschwand das Lachen aus seinem Gesicht, und er sagte: „Das wird höchstens ein paar Monate dauern.“

Wir schwiegen. Ich fand keinen Zugang zu ihm, der kranke Franz war mir fremd, das Puzzle der Gedanken ergab nicht das gewohnte Bild. „Ich komme trotzdem hierher“, sagte ich plötzlich. „Wie meinst du das?“, fragte Franz. „Ich werde hier jeden Mittwoch sitzen, und wenn du längst von Würmern angeknabbert wirst, nachdem sie sich durch den Holzsarg gefressen haben, werde ich, solange ich kann, jeden Mittwoch Nachmittag um vier Uhr hier Kaffee trinken, Zeitung lesen und mich an dich erinnern.“

Franz sah auf seine Kaffeetasse. Er wischte sich eine Träne von der Wange, sah mich an und sagte: „Und du nennst dich empathielos?“