Fußball-EM: Die Väter
unserer Offensive

Matchwinner Michael Gregoritsch und Assistkönig Marcel Sabitzer haben das Nationalteam im Spiel gegen Nordmazedonien wiederbelebt. Ihre Väter Werner Gregoritsch und Herfried Sabitzer, früher selbst Goalgetter, erklären den hart erkämpften Erfolg der zweiten Generation - und die Fehler der ersten.

von Sport - Fußball-EM: Die Väter
unserer Offensive © Bild: Heinz Stephan Tesarek

Obwohl ihn zwei Abwehrspieler in die Zange nehmen, kann Michael Gregoritsch an der Grenze zum Fünf-Meter-Raum in eine Alaba- Flanke grätschen und den Ball so direkt im linken unteren Eck versenken: Bisher war das Match eine Zitterpartie gewesen, doch mit dem Tor zur Zwei-zu-eins-Führung steuert Österreich einem sicheren Sieg gegen Nordmazedonien entgegen. Dem ersten überhaupt bei einer Europameisterschaft. "Historisch" sollte der ORF ihn später nennen.

Marcel Sabitzer -bei seinem Verein RB Leipzig eine fixe Größe, im Nationalteam bislang stets im Schatten eines Alaba oder Arnautovic - liefert die Maßflanke zum ersten Tor der Österreicher, kurbelt auch sonst unermüdlich im offensiven Mittelfeld und verzückt so die internationalen Medien. Die Branchenbibel "Gazzetta dello Sport" etwa adelt ihn zum "Weltklassespieler":"Er war es, der den Unterschied ausmachte", schwärmen die sonst so kritischen Experten aus Italien.

Im Vorfeld der EM hätte die wankelmütige Fußballnation ihre Elf wegen kollektiven Unvermögens noch am liebsten in den Vorruhestand geschickt. Doch dann trifft Gregoritsch, doch dann kurbelt Sabitzer, und mit einem Mal sind da zwei neue Sporthelden. Neu, und das ist ihre größte Stärke, aber keinesfalls naiv.

Geld gegen Romantik

Denn schon ihre Väter, Werner Gregoritsch, 63, und Herfried Sabitzer, 51, waren Fußballer, beide Stürmer, und sind seit Jahrzehnten gute Freunde. Und auch wenn die gnadenlos geldgetriebene Sportwelt der Söhne mittlerweile eine ganz andere ist als die noch wesentlich beschaulichere, romantischere der Väter, so konnten die Alten den Jungen vor allem eines mitgeben: "Dieser Sport war und ist wie kaum ein anderer von Aufs und Abs geprägt, einmal bist du der Star, Tage später schon wieder der Buhmann, und immer wieder bist du für Wochen oder sogar Monate weg vom Fenster", sagt Werner Gregoritsch.

Das sei nun einmal der Lauf der Dinge, über all dem dürfe man nur ja nicht seine Selbstachtung und vor allem nicht sein Selbstvertrauen verlieren. Und weil bereits Herfried und er genau das, mitunter auch leidvoll, lernen mussten, ist das für Michael und Marcel nichts wirklich Neues mehr.

© Heinz Stephan Tesarek Herfried Sabitzer im Gespräch mit News.

Rückpass in die Mitte der Neunzigerjahre: Herfried Sabitzer, damals 27 und so alt wie sein Sohn heute, avanciert bei seinem Klub GAK zum ganz großen Europacup-Helden und Publikumsliebling, trifft sogar zum Eins-zu-null-Heimsieg gegen Inter Mailand. Die Steirer scheitern gegen die Startruppe aus der Lombardei erst im Elfmeterschießen. Sabitzer ist in diesen Tagen der bullige Stoßstürmer vom Dienst, der Mann, auf den das gesamte Offensivspiel ausgerichtet ist. Doch dann stößt ein gewisser Igor Pamic, zuvor verletzungsanfälliger Goalgetter beim deutschen Bundesliganachzügler Hansa Rostock, zur Truppe -und Sabitzer ist von heute auf morgen Geschichte. "Das hat mir damals richtig weh getan", erzählt der Angreifer außer Dienst, der sich über den Zweitligisten SV Mattersburg zurückkämpfte. Sein damaliger Trainer: Werner Gregogritsch.

"Ja, das war damals ungerecht, aber der Herfried hat sich nicht hängen lassen", beteuert er. Im Gegenteil, "Rutschen, Grätschen, Gras fressen", das sei in jedem Training und in jedem Match Herfrieds Motto gewesen, und so sei man gemeinsam in die erste Liga aufgestiegen. Und so wird die Erfahrung der Väter zur Stärke der Söhne.

Michael Gregoritsch, er hatte in jüngster Vergangenheit, genau genommen bis zu seinem Tor gegen Nordmazedonien, eine ähnliche Durststrecke hinter sich wie früher der alte Sabitzer: Mit gerade einmal 15 Jahren hatte er als Einwechselspieler für den Kapfenberger SV als jüngster Spieler aller Zeiten in der österreichischen Liga debütiert. Eingetauscht hatte ihn sein eigener Vater, der damals Kapfenberg-Trainer war. Der Sohn bedankte sich schon nach ein paar Minuten mit dem Führungstreffer gegen die Wiener Austria und erstickte so jeden Nepotismusvorwurf im Keim.

Von da an ging es steil bergauf: Hoffenheim, St. Pauli, Bochum, Hamburger SV, Augsburg -und dort der Klassiker: ein kleiner Knatsch mit dem Trainer, der sich hartnäckig auswächst, Verbannung aus dem Kader, Monate zwischen Tribüne und Ersatzbank, Verleih an Abstiegskandidat Schalke 04. Über einen langen Zeitraum hinweg ist Teamchef Foda der Einzige, der diesen Michael Gregoritsch einberuft und dann auch wirklich spielen lässt. Und dann dieses Comeback gegen Nordmazedonien samt hochemotionalem Soundtrack: "Ich habe ein schweres Jahr hinter mir und widme das Tor allen, die immer an mich geglaubt haben", bekennt Gregoritsch unter Tränen im TV-Interview. Wobei Vater Werner stets zu den tiefst Gläubigen gehörte und dem Sohn regelmäßig Mut machte.

Die Team-Prognose

"Der Unterschied zwischen uns und unseren Söhnen: Wir selbst hatten nicht solche Väter wie sie", sagt Herfried Sabitzer halb selbstironisch, halb selbstzufrieden. Und Gregoritsch senior erinnert sich an einen zukunftsweisenden Dialog zwischen den beiden Sportlerpapas, irgendwann vor gut eineinhalb Jahrzehnten, am Rande eines Juniorenmatches ihrer beiden außergewöhnlich talentierten Söhne. "Wenn diese beiden nicht irgendwann Nationalspieler werden, dann haben wir zwei gründlich was falsch gemacht", habe er, der "Gergerl", seinem Buddy, dem "Sabi", damals zugeraunt. Das war, als Marcel, geboren im März, und Michael, geboren im April, heute beide 27, noch als Knirpse im Nachwuchs ihres Stammvereins GAK aufliefen.

Ein Biotop der Versuchungen

Und dieser Verein -bis zu seinem ersten Meistertitel im Jahr 2004 und der darauffolgenden Pleite, der Auflösung und der Neugründung in der 8. Liga mit dem zweifelhaften Etikett "Nobelklub" versehen - war schon in den frühen Achtzigern ein Biotop der Versuchungen. Und Werner Gregoritsch am Beginn seiner Stürmerkarriere mitten drinnen: Als Scheidungskind aufgewachsen, verlor er seine Mutter durch Krebs, als er 22 war. Obwohl er zuvor das bischöfliche Gymnasium besucht hatte, sei er ein Raufbold gewesen. Und später, als Fußballer bereits regional bekannt, nicht gerade ein Asket vor dem Herren. "Mir fehlte es am Korrektiv einer Vaterfigur", sagt er, der nunmehr seit fast neun Jahren Trainer des österreischischen Unter-21-Nationalteams ist. "Und die Fehler, die ich als Junger gemacht habe, wollte ich meinem eigenen Sohn ersparen."

© Heinz Stephan Tesarek Werner Gregoritsch im Gespräch mit News.

Damals, als noch der alte Gregoritsch aufgeigte, gab es beim GAK eine Fraktion der Schönlinge, die sich rund um den Nebenberufsdressman und Hauptberufsverteidiger Harald "Harry" Gamauf scharte und der ein Föhnanschluss in der Kabine stets näher war als die damals noch ziemlich staubigen, ziemlich holprigen Tiefen der Trainingsplätze. "Was mir damals fehlte, war vielleicht so was wie Lebensdemut", sagt Werner Gregoritsch heute. "Und die haben unsere Söhne von klein auf mitbekommen." Unausgesprochenes, aber stets mitschwingendes Motto: Wenn ihr wirklich wie wir Kicker werden wollt, dann macht es bitte auch wirklich richtig.

Je mehr Tore du machst, desto weniger musst du laufen -das war die Faustregel zu Zeiten der Väter. Neunzig Minuten abtauchen und dann einmal knipsen, das hat vollauf gereicht. Heute, wo Fußball zu einem Gutteil Athletik ist und auch Stürmer strikt verteidigen müssen, lautet die Regel: Wer nicht läuft, der sitzt. Zunächst auf der Bank, dann auf der Tribüne, dann beim AMS. Doch Marcel und Michael, sie wurden in der Nachwuchsakademie von kleinauf auf Einsatz gedrillt: 7.30 Uhr Morgentraining, dann Schule, dann Nachmittagstraining, dann Lernstunden und irgendwann dann flankierend auch noch die ersten Trainings mit der Kampfmannschaft. "Fehler sind in diesem System nicht erwünscht", sagt Werner Gregoritsch.

Die abgegebene Jugend

Die Söhne seien von klein auf stets unter Druck gestanden, hätten, so Gregoritsch, ihre Jugend "freiwillig abgegeben". Das ist die eine Seite, die brutal und martialisch anmutende. Die andere: Die aktiven Karrieren der Väter, die zwar zwischen Graz, Linz und Salzburg weltberühmt waren, aber international weitgehend unbekannt, führen den Jungen auch in schwierigen Phasen vor Augen, wie wichtig lückenlose Selbstdisziplin in diesem Job geworden ist.

Deswegen überschlagen sich zur Zeit auch die Meldungen, wohin Talent und Fleiß die zweite Generation wohl noch hinführen würden: Sabitzer junior soll derzeit einen Marktwert von 42 Millionen Euro haben; und glaubt man den internationalen Fachmedien, so sei die einzig offene Frage, ob er nach der EM bei einem Topklub der Premier League lande oder vielleicht doch "nur" bei der von Starcoach José Mourinho betreuten AS Roma. Und auch für den jungen Gregoritsch, der bereits einen Marktwert von 20 Millionen Euro hatte, dürften sich nach seinem Comeback-Tor rasch wieder neue Türen öffnen.

Die Väter, sie rackerten schon auch. Aber eben mit Betonung auf auch, in erster Linie vertrauten sie auf ihr eigenes Talent. Und liebten ihr Fußballerleben. Zu sehr und mitunter zu stürmisch, um freiwillig auf irgendwas zu verzichten. "Siegfried-Syndrom" nennt Gregoritsch das rückblickend und meint damit diesen jugendlich-unbändigen Glauben an die eigene Unbesiegbarkeit. Und auch Herfried Sabitzer gibt unumwunden zu: "Ich hatte Zeit meiner aktiven Laufbahn nie den voll austrainierten Körper eines Modelathleten." Und daran, scherzt Gregoritsch mit Blick auf sein Gegenüber milde, habe sich bis heute nichts wirklich Grundlegendes geändert.

Und wenn die Väter der heutigen ÖFB-Offensive sich an damals zurückerinnern, so ist das mitunter fast so, als würde Opa vom Krieg erzählen: als sie sich etwa, einen Mitspieler am Rücken, im Training über steile Stiegen raufquälen mussten. Als ehrgeizige Funktionäre erst dann zufrieden waren, wenn ihre Kicker wegen komplett übersäuerter Muskeln selbst am Tag nach dem Training noch nicht normal gehen konnten. "Wir haben genug miterlebt, um unseren Söhnen sagen zu können, dass es ihnen trotz allem gut geht", sagt Werner Gregoritsch. Und Herfried Sabitzer nickt zustimmend.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (24/2021) erschienen.