Trügerische Ruhe bei der SPÖ

Kurz vor dem Parteitag der SPÖ ist wieder einmal das politische Geschick von Pamela Rendi-Wagner infrage gestellt. Dennoch: Die Parteichefin wird wohl am 26. Juni wiedergewählt werden. Denn ihre Kritiker wissen: Das letzte Wort über eine Kanzler(-innen)-Kandidatur ist damit ohnedies noch nicht gesprochen

von Pamela Rendi-Wagner © Bild: Walter Wobrazek

Die Meldung lief um fünf Uhr früh über die APA, und manchen in der SPÖ wäre es wohl lieber gewesen, die ÖVP hätte sie verschlafen. "SPÖ fordert neues Staatsbürgerschaftsrecht", lautete der knappe Titel. Es ging um einen thematischen Vorstoß der Sozialistischen Jugend, der unter der Ägide des in der Partei inhaltlich zuständigen Kärntner Landeshauptmanns Peter Kaiser fertig formuliert und nun veröffentlicht wurde. Worüber hätte die österreichische Politik an diesem Tag sonst diskutiert? Über ebenfalls zu diesem Zeitpunkt bekannt gewordene ÖVP-Chats zum Beispiel, in denen Thomas Schmid damit prahlt, Sebastian Kurz in seiner Zeit als Außenminister eine saftige Budgeterhöhung verschafft zu haben. "Kurz kann jetzt Geld scheißen", textete der seinerzeitige Kabinettschef im Finanzministerium an Gernot Blümel, damals Wiener ÖVP-Chef. Und an Kurz selbst: "Du schuldest mir was :-)))" Diesen Satz nahm die Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu den Akten.

Die Türkisen wären also an diesem Tag einmal mehr in der Defensive gewesen. Aber auf die Stichworte "Ausländer","Zuwanderung" und "Staatsbürgerschaft" funktioniert die PR-Maschinerie rund um Sebastian Kurz nach wie vor wie ein Uhrwerk. Seither trommelt die ÖVP ihr Nein zu einer Reform. Vor der Kür des blauen Hardliners Herbert Kickl zum FPÖ-Chef muss man ja auch noch die von dort geholten Wähler bei Laune halten.

Und in der SPÖ? Ringt man um Fassung. Der Vorschlag sei inhaltlich "total richtig", sagen viele, "aber zum total falschen Zeitpunkt gebracht". Wieder einmal fühlen sich die Kritiker der Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner bestätigt: Der Chefin fehle das politische Gespür.

Am 26. Juni treffen sich die Funktionäre der SPÖ in Wien zu ihrem Bundesparteitag. Auf dem Programm: die Wiederwahl von Rendi-Wagner an die Parteispitze. 2018, bei ihrer ersten Kür, hatte sie 97,81 Prozent der Delegiertenstimmen erreicht. Die ehemalige Gesundheitsministerin war in die Bresche gesprungen, nachdem Christian Kern das Führungsamt entnervt hingeworfen hatte. Sie war gerade seit eineinhalb Jahren in der Politik. Zweifel an ihrer Eignung gab es damals schon, aber die Verzweiflung der Roten war größer. Niemand sonst wollte die SPÖ -nach einer bitteren Wahlniederlage gegen die Kurz-ÖVP und mit der Aussicht auf lange Jahre in der Opposition -übernehmen.

Diese Zweifel an Pamela Rendi-Wagner sind seither nicht geringer geworden, sie werden aber derzeit lieber hinter vorgehaltener Hand geäußert. Immerhin: Die SPÖ ist in Umfragen in einem zarten Aufwind. Die Parteichefin hat als Pandemie-Expertin in Coronazeiten das Vertrauen vieler Wählerinnen und Wähler erlangt, sagen diverse Polit-Barometer. Doch die Gesundheitskrise wird vorbeigehen und Rendi-Wagners Kritiker vermissen inhaltliche Offensiven, etwa zu sozialer Sicherheit, Arbeitsplätzen und -eigentlich ein roter Dauerbrenner -der Frage, wer denn die Kosten der Pandemie zu bezahlen habe. Stichwort: Millionärssteuer.

Rückhalt oder Streichkonzert?

Ob diese Unzufriedenheit beim Parteitag an die Oberfläche kommen wird?"Alte Regel: Ruhe ist gefährlich, vor allem in der SPÖ", sagt ein Parteikenner. Beim roten Hochamt "kann alles passieren, von einem starken Ergebnis für die Pam bis hin zu massenhaft Streichungen bei ihrer Wahl. Aber sie hat sich die Latte eh tief gelegt." 71 Prozent der Stimmen peilt Rendi-Wagner mindestens an, so viel Zuspruch hat sie bei einer Urabstimmung über ihre Position vor etwas mehr als einem Jahr von den Parteimitgliedern bekommen. Ein Schachzug, der damals die Nervenstärke und den Kampfgeist der Parteichefin demonstriert hat. Die bis dahin schwelende Personaldebatte wurde dadurch kalmiert, aber eben nicht beendet. Nach wie vor fordern frustrierte Parteifunktionäre ein reinigendes Gewitter, eine schonungslose Debatte, wofür die SPÖ im Jahr 2021 steht. Sie wollen klären, ob die Roten den Kanzler-Anspruch stellen oder bloßes Mitregieren reicht, "aber wenn uns das genügt, wäre das die Zerstörung der SPÖ." Kläre man all diese Fragen, lande man unweigerlich auch in einer Personaldiskussion, heißt es in der Partei. Und dann wäre man schon wieder im Dilemma: Die maßgeblichen Player der Partei sind sich zwar des Problems einer zugkräftigen Spitzenfigur bei der nächsten Wahl bewusst, aber uneinig darin, was diese können muss. Linkes Aushängeschild sein? Querverbinder ins bürgerliche, wirtschaftsaffine Lager, ein "Sozialist im Nadelstreif" wie einst Franz Vranitzky? Oder einer, der jene Wähler versteht, die längst zur FPÖ abgewandert sind, dann weiter ins Nichtwählerlager und womöglich zur ÖVP?

"Ich verstehe die Kritik"

Einer, auf den die Partei hört und den sich manche als Mediator zwischen den widerstreitenden Lagern wünschen, ist der Kärntner Peter Kaiser. Von der Kritik am Zeitpunkt der Staatsbürgerschaftsdebatte wird er nicht erfasst, auch wenn er Mitverfasser des SPÖ-Papiers ist und zur Vorgangsweise steht. "Der Beschluss für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts fiel beim letzten Parteitag, das heißt, die Sache musste vor dem nächsten Parteitag erledigt werden", erklärt er das Prozedere. Corona hätte Treffen zum Thema allerdings schwierig gemacht, daher sei das Papier eben erst jetzt fertig und veröffentlicht worden. "Für humanitäre Fragen ist immer der richtige Zeitpunkt", sagt Kaiser. Der Vorschlag der SPÖ liege durchaus im europäischen Durchschnitt. "Er wird aber von ÖVP und FPÖ in Richtung Migration gedrängt, vernadert und diffamiert."

Peter Kaiser
© News/Ricardo Herrgott Den Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser wünschen sich viele in der SPÖ als Mediator

Die Eckpunkte der SPÖ-Pläne für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht: Kinder, die hier geboren werden, sollen die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen können, wenn ein Elternteil seit mindestens fünf Jahren legal hier lebt. "Das gibt dem Kind von Anfang an eine größere Integrationsbereitschaft und unterminiert auch Parallelgesellschaften", erklärt Kaiser. Die Wartezeit, ab der ein Antrag auf Staatsbürgerschaft gestellt werden kann, soll von zehn auf sechs Jahre verkürzt werden, alle anderen Kriterien wie Leumund und Einkommen bleiben wie bisher. Kaiser: "Kurz hat als Integrationsstaatssekretär einen fast gleichlautenden Vorschlag gemacht." Und: Finanzielle Hürden auf dem Weg zum österreichischen Pass sollen abgebaut werden. "Derzeit sind 1.115,30 Euro Bundesabgabe zu bezahlen, dazu Ländergebühren in unterschiedlicher Höhe", sagt Kaiser, "es ist ja nicht jeder eine Netrebko. Für manche sind das ein bis zwei Monatsgehälter, die dann womöglich auch noch für mehrere Familienmitglieder zu bezahlen sind." Von 1.000 Nicht-EU-Bürgern in Österreich bekommen derzeit ohnehin nur sechs bis sieben die Staatsbürgerschaft, rechnet Kaiser vor. "Die Bevölkerung in Europa wird immer weniger, da muss man solche Perspektiven diskutieren."

"Die ÖVP", sagt der Landeshauptmann kämpferisch, "soll sich den Kopf über ihre Chat-Nachrichten zerbrechen und nicht Parteien diffamieren, die sich mit Zukunftsfragen auseinandersetzen." Er verstehe die Kritik am Timing des Vorschlages, sagt Kaiser, "es ist auch ein Körnchen Wahrheit dabei. Aber Politik kann nicht immer nur auf Wahltermine oder Parteitaktik Rücksicht nehmen."

»Regierungen werden abgewählt. Da ist die aktuelle gerade in einer interessanten Phase«

Wie er seine eigene Partei für den nächsten Wahltermin gerüstet sieht? "Ich spreche aus Erfahrung: Es ist eine falsche Träumerei, zu glauben, dass man als Oppositionspartei hinaufgewählt wird. Regierungen werden abgewählt. Da ist die aktuelle Regierung gerade in einer interessanten Phase." Die SPÖ müsse für Neuwahlen jederzeit bereit sein, sie müsse ein inhaltliches Angebot stellen, "sie muss zeigen, dass sie die Partei ist, die sich um die derzeitigen Probleme kümmert. Das sind nicht Chats, sondern die Fragen: Wie bekommt man nach der Pandemie Boden unter die Füße, wie geht man mit der Klimakrise um, wie geht nachhaltiges Wirtschaften, wie gestaltet man die Gesellschaft? Und da bleibe ich beim Thema Staatsbürgerschaften: Viele Pflegerinnen, die die Heldinnen der Pandemie waren, können sich den Staatsbürgerschaftsantrag derzeitig kaum leisten."

Die SPÖ habe "aus Eigenverschulden sehr lange im eigenen Saft geschmort, ich bin froh, dass wir den Blick, die Verantwortung wahrnehmend, schärfen. Das spiegelt sich in innerer Geschlossenheit wider." Ihm sei eine Partei lieber, so Kaiser, die intern hart diskutiere, "und die Vorsitzende hat bei ihrer Wahl nur X Prozent, als sie liegt nahe 100 Prozent, und es herrscht inneres Schweigen."

"Personalie Doskozil erledigt"

Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier rechnet beim bevorstehenden Parteitag der SPÖ nicht mit großen Personaldebatten. "Rendi-Wagner hat sich gefestigt", sagt er, "und die Personalie Doskozil hat sich erledigt." Der burgenländische Landeshauptmann hatte nach Dauerclinch mit der Parteichefin angekündigt, nicht mehr als ihr Stellvertreter zur Verfügung zu stehen. Möglicherweise wollte er damit einem Streichkonzert am Parteitag zuvorkommen. Manche in der Partei sehen allerdings auch noch andere Gründe für diesen Schritt: Doskozil habe erkannt, dass er sich mit seinen Wortmeldungen schade, habe sich daher Zurückhaltung verordnet -und warte auf seine Zeit.

Hans Peter Doskozil
© News/Ricardo Herrgott Hans Peter Doskozil zieht sich aus der Bundes-SPÖ zurück. Er warte auf seine Zeit, heißt es
»Bei allen Entwicklungen rund um die ÖVP ist die SPÖ nur Passagier«

Filzmaier sieht neben Doskozils Zurückhaltung allerdings noch einen weiteren Grund für die derzeit ruhige Phase für Rendi-Wagner: "Der Wiener Bürgermeister hat sich festgelegt" - nämlich, dass es derzeit keine Debatte gibt. Zudem sei der Aufwärtstrend für die SPÖ kontinuierlich - "und Trends sind nicht so leicht umzudrehen. Das könnte der SPÖ Hoffnung geben." Allerdings: "Bei allen Entwicklungen rund um die ÖVP ist die SPÖ nur Passagier." Und wenn Kurz wegen des Verdachts der Falschaussage im U-Ausschuss nicht vor dem Richter lande oder freigesprochen werde, "wird es das größte Comeback seit Lazarus". Und das Selbstmitleid der SPÖ wird wieder einmal groß sein.

Entscheidung vertagt?

Bei einem starken Wahlergebnis beim Parteitag habe Pamela Rendi-Wagner auch das erste Anrecht auf eine spätere Kanzlerkandidatur, sagen selbst ihre parteiinternen Kritiker. "In der derzeitigen Situation, in der man noch gar nicht weiß, wann das nächste Mal gewählt wird, wäre alles andere als eine eindeutige Bestätigung Rendi- Wagners am Parteitag absurd", meint dazu Politikberater Thomas Hofer, aber: "Das bedeutet noch keine fixe Kanzlerkandidatur, diese Unsicherheit wird Rendi-Wagner nicht los." Zwar müsste Einvernehmen mit ihr hergestellt werden, denn die SPÖ könne nicht ausgerechnet die erste Frau an der Parteispitze absägen, aber eigentlich schaue man parteiintern vor allem nach Wien: "Die erste Frage ist: Wie sieht es Michael Ludwig? Dann, wie es das zweite Machtzentrum, der ÖGB, sieht. Wer ist der Typus, der Sebastian Kurz herausfordern könnte?"

Längst geistern Planspiele und Gerüchte durch die roten Reihen. Ein Kandidat, der am Land ankomme, müsse es sein, denn die städtischen Wähler würden ohnedies strategisch denken und weniger nach der Sympathie für den Spitzenkandidaten gehen, heißt es in den roten Landesorganisationen. Es habe noch nie ein prononciert Linker für die SPÖ im Bund reüssiert, bemühen andere die Vorväter Bruno Kreisky und Franz Vranitzky. Er muss mit Hans Peter Doskozil können, sagen Dritte, ohne dazu zu sagen, wer das außer ihm selbst in der SPÖ ist.

In vielen Diskussionen fällt der Name Peter Hanke. Der Wiener Wirtschaftsstadtrat passt für viele ausgezeichnet in jenes Feld, dass der frühere Siegertyp Sebastian Kurz immer öfter freilässt. Gepflegtes Auftreten und Wirtschaftsk0mpetenz, einer, der vielleicht auch im Bereich der Ein-Personen-Unternehmen Stimmen holen könnte. "Es bringt ja nichts, wenn man immer nur die Grünen abgrast. Man muss Stimmen in der Mitte holen, wenn man die türkis-blaue Mehrheit brechen will." "Hanke wäre ein Gegenprogramm zu Kurz", sagt auch Politikberater Hofer, "die ÖVP ist verwundbar im Feld der Wirtschaftskompetenz."

Nur, wenn sich der mächtige ÖGB-Boss Wolfgang Katzian in den Ring begeben wollte, wäre die Entscheidung in der SPÖ wohl schnell getroffen. Bis dahin werden die Sozialdemokraten weiter diskutieren. Oder, wie es Thomas Hofer formuliert: "Die Höhe des Ergebnisses für Rendi-Wagner am Parteitag ist eigentlich powidl."

Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe von News (24/2021) erschienen.