Wolfgang Katzian: "Seid's ihr wo ang'rennt?"

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian im Kampfmodus. Wer für die Krise bezahlen muss -und wie unsere neue Jobwelt aussieht: "Kürzere Arbeit, gleicher Lohn"

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ÖGB-Präsident - Wolfgang Katzian: "Seid's ihr wo ang'rennt?" © Bild: Ricardo Herrgott

News: Herr Präsident, in Ihrem letzten Auftritt in der TV-Pressestunde sagten Sie so ganz nebenbei: "Wir stehen nach der Krise vor einem der größten Verteilungskämpfe, die dieses Land je erlebt hat." Wie meinen Sie das?
Wolfgang Katzian: Na ja, irgendwann stellt sich schon auch die Frage, was das alles für den Staatshaushalt bedeutet. Und da meine ich, dass jene, die über sehr, sehr breite Schultern verfügen, auch einen sehr, sehr großen Rucksack tragen müssen. Sprich: Milliardäre, Millionäre, jene, die über sehr große Vermögen verfügen, können höhere Beiträge leisten als jene, die über keine großen Vermögen verfügen -und das wird zu einer Auseinandersetzung führen, denn wir merken jetzt schon, dass es eine ganze Reihe von fragwürdigen Vorschlägen gibt: Ein Thinktank behauptet da etwa, es wäre ja ganz einfach, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, da kommt rasch viel Geld ins Haus. Aber: Alles, was darauf abzielt, die Massensteuern anzuheben, schont die ganz großen Vermögen und belastet alle.

Wer sind denn diese "sehr, sehr breiten Schultern"?
Es geht etwa um die Technologiegiganten, die haben sich jetzt in der Krise als so systemrelevant herausgestellt, dass sie Länge mal Breite kassieren. Da muss man sich jetzt auch bei uns einmal überlegen, wie der Staat Kontrolle über diese Giganten bekommt. Die amerikanischen Gewerkschaften fordern ja nicht zu Unrecht eine Zerschlagung von Amazon in seiner aktuellen Struktur, weil sie sehen: Die entwickeln eine Systemrelevanz, die keiner kontrollieren kann.

»Ich weiß, wie betriebliche Mobilisierung funktioniert und Arbeitskampf. (...) Keine Angst, wir können das schon«

Aber Vermögens-und Reichensteuer ist doch ein gewerkschaftlicher Generalreflex -das allein kann es ja wohl nicht sein, dass man in Österreich halt ein paar Milliardäre zu Kasse bittet.
Aber was ist denn die Alternative? Das wir dem, der jetzt mit 1.500 brutto unterwegs ist, noch etwas wegnehmen? Oder dass wir den Sozialstaat einschränken? Na, da wünsche ich viel Glück! Wer hat denn jetzt das Land am Laufen gehalten? Es war der Sozialstaat, und nicht die Hidden Champions, die uns immer wieder sagen, dass der Markt alles regeln wird. Der Markt hat genau gar nichts geregelt, null, der Markt war nicht vorhanden. Aber der Sozialstaat hat funktioniert und das Land am Laufen gehalten. "Dafür hauen wir dem Sozialstaat jetzt eine G'nackwatschn runter!" - Wenn das der Dank der Gesellschaft ist, wird das nicht funktionieren, das werden sich die Leute nicht gefallen lassen.

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Dieses Riesenloch, das Corona in unseren Staatshaushalt reißt und reißen wird, soll wirklich ganz ohne Sparpaket planiert werden?
Wenn man sehr, sehr viel Geld ausgibt, so stellt sich irgendwann die Frage: Wie bedeckt man das? Und da stehen die Zeichen für Österreich im Moment sehr gut, weil wir ein guter Schuldner mit einer guten Bonität sind. Die Frage eines Sparpakets stellt sich dann nicht, wenn wir beschließen, es gerecht zu machen. Dann muss man schauen, dass man diejenigen ersucht, einen entsprechenden Solidarbeitrag für die Gesellschaft zu leisten, die bis jetzt immer fein durchgekommen sind - und die nicht ihre Gesundheit riskiern mussten, um das Land und das Leben am Laufen zu halten. Wir haben in der Krise schon gemerkt: Es war leichter, da und dort ein paar Milliarden aufzustellen als einen Corona-Tausender für die Heldinnen und Helden der Krise. Und das geht nicht!

© Ricardo Herrgott ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian

Gerade die sogenannten "Heldinnen und Helden der Krise" wie etwa Pflegehelferinnen und Pflegerinnen sind die Bezieher von sehr niedrigen Einkommen. Was wäre denn Ihrer Meinung nach ein vernünftiges Gehalt für so einen Job?
Wir müssen schauen, dass wir die Löhne und Gehälter in diesen Branchen nach oben bringen und dass die Arbeitsbedingungen dramatisch besser werden. Unsere Forderung ist: 1.700 Euro Mindestlohn für alle, das ist aber eine absolute Untergrenze. Wir tun ja immer so, als wäre der Mindestlohn nur ein einziger Betrag, tatsächlich haben wir in jedem Kollektivvertrag 30 bis 40 Mindestlöhne, weil wir in jeder Gruppe und in jeder Gehaltsstufe Mindestlöhne definieren.

»Unsere Forderung ist: 1.700 Euro Mindestlohn für alle, das ist aber eine absolute Untergrenze«

"Der G'stopfte mit seine genagelten Bock" scheint eines Ihrer Lieblingsbilder zu sein. Nun, da es zur Umverteilung kommen soll: Ab wann ist man denn ein G'stopfter?
Ich habe gesagt: Die Welt besteht nicht nur aus den Hidden Champions, die erfolgreich sind und in feinem Zwirn und, ja, in genagelten Schuhen vorrangehen. Wer wie viel beitragen kann, das ist ein permamenter gesellschaftlicher Diskussionsprozess, da will ich mich jetzt öffentlich noch auf keine Grenzen einlassen. Denn wenn ich jetzt mit detaillierten Vermögenssteuermodellen daherkomme, fällt ja bei manchen sofort wieder die ideologische Scheuklappe herunter. Ich glaube, man muss sich jetzt endlich einmal seriös mit diesen Verteilungsfragen auseinandersetzen, dafür stehen wir zur Verfügung. Und was ich vorher schon gesagt habe: Sehr große Vermögen können einen sehr großen Beitrag leisten.

Sind Sie selbst denn ein reicher Mann?
Reich, weil ich einen ausfüllenden Beruf habe und das als Beruf machen kann, was ich gerne mache.

Sie sind in einer Managementposition, Sie verdienen gut. Gehören Sie damit auch zu jenen, die mehr beitragen müssen?
Wenn ich sage, dass die, die mehr haben, mehr beitragen können, dann gilt das für alle und selbstverständlich auch für mich. Ich bin kein Milliardär und auch kein Millionär, aber innerhalb der Arbeitnehmer gehöre ich zu denen, die gut verdienen, gar keine Frage.

Diese große Umverteilung, die größte der zweiten Republik, wird den Mittelstand wohl nicht ganz unberührt lassen, oder?
Jessas na, der Mittelstand, das ist auch wieder so ein Begriff! Erst vor Kurzem habe ich eine Umfrage unter 2.000 Arbeitnehmern gelesen, von denen 95 Prozent von sich sagten, sie seien der Mittelstand. Ich fange mit diesen Begrifflichkeiten nichts an, weil sie den Leuten Sand in die Augen streuen. Mir geht es einfach darum: Wie sichern wir den Sozialstaat ab, wie sichern wir unser Gesundheitswesen ab, wie verhindern wir Sparprogramme zu Lasten dieses Sozialstaates und der Arbeitnehmer? Denn wenn wir im Gesundheitswesen das gemacht hätten, was der Rechnungshof und andere in den letzten Jahren empfohlen haben, dann hätte uns Corona ganz anders hergewatscht. Es geht darum, dass die Dinge, die gesellschaftlich relevant sind, nicht irgendeinem Spardiktat geopfert werden.

Man hat den Eindruck, dass Sie momentan der einzige Rote sind, der mit der Regierung auf Augenhöhe verhandelt. Wie können Sie als Anfangssechziger denn mit dem 33-jährigen Kanzler?
Ach, ich selbst war ja nicht immer 63, ich war ja auch einmal "der Bua". Als Ende Oktober Geborener war ich bereits in der Volksschule der Jüngste - und das hat sich durch mein ganzes Berufsleben gezogen, als Jugendsekretär in der Gewerkschaft war ich knapp über 20. Und ich habe oft darunter gelitten, von einem Vis-à-vis aufgrund meines Alters in ein bestimmtes Kastl gesteckt zu werden, das ist mir mächtig auf den Hammer gegangen. Daher ist das Alter des Herrn Bundeskanzlers für mich irrelevant. Er hat eine bestimmte Funktion und somit die Möglichkeit, gewisse Dinge, die man sich vereinbart hat, voranzutreiben. Punkt. Ich kann nicht alles über Kollektiverträge umsetzen, für vieles braucht es Gesetze und damit Mehrheiten im Nationalrat. Daher ist es gut, wenn man mit einer Bundesregierung im Gespräch ist und verhandeln kann. Das hat bei vielen Themen funktioniert, ob es weiter funktioniert, weiß ich nicht. Es gibt ja bereits einige, die halblaut sagen: "Das haben wir jetzt dem ÖGB zuliebe gemacht, aber ob wir den dann noch weiter brauchen, werden wir sehen." Da kann ich nur eines sagen: Sozialpartnerschaft à la Carte, das machen wir ganz sicher nicht.

Sie sind ja bereits seit mehr als vier Jahrzehnten Gewerkschafter: Wie kann man sich denn den Streetfighter Katzian vorstellen?
Meine persönliche allererste große Geschichte, das waren die Panzer für Chile. Das war Ende der 70er-,Anfang der 80er-Jahre, da habe ich mich gemeinsam mit einigen anderen angekettet, um die Auslieferung von österreichischen Panzern an ein faschistisches Regime zu verhindern. In diesem Jahr war auch der Gewerkschaftstag der GPA, wo ich gerade ein frischgefangener Jugendsekretär war. Da gab es heftige Diskussionen, wo ich von den Betriebsräten eine mitbekommen habe, und dann hat mir auch noch der damalige Bundeskanzler Kreisky eine mitgegeben

Wie ist das, vom Kreisky eine mitzubekommen?
Der hat das ganz fein vom Rednerpult aus gemacht, die Leute haben applaudiert, und ich habe mir gedacht: "Das war's jetzt." Dann bin ich zu meinem Chef, das war der Alfred Dallinger, und fragte: "Und, haust du mich jetzt raus, muss ich mir eine neue Hackn suchen?" Fragte er: "Wieso?" Sagte ich: "Na ja, ich habe ja von allen Seiten eine draufgekriegt." Sagte er: "Das wird dir in deinem Leben noch öfter passieren, willkommen in der Gewerkschaft!"

Und würden Sie sich heute auch noch anketten, etwa gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer?
Ausschließen soll man nie was, aber eher nein -aber Sie können mir glauben: Ich habe in der Jugendorganisation viel gelernt, ich weiß, wie betriebliche Mobilisierung funktioniert und Arbeitskampf. Aber ich weiß auch: Wenn ich ein Feuer entzünde, muss ich mir auch überlegen, wie ich es wieder lösche. Ein Feuer um des Feuers willen entzünde ich sicher nicht. Bei diesen Überlegungen, wo gehe ich jetzt "all in" und wo mache ich es in gebremster Form, da gibt es einen gewaltigen Spielraum. Aber eines ist klar: Bei der Massendemonstration gegen den Zwölfstundentag hatten wir binnen kürzester Zeit 120.000 Menschen mobilisiert, keine Angst, wir können das schon.

Apropos Angst: Man hat den Eindruck, dass eine patente Berufsgruppe wie jene der Lehrer durch die Performance ihres obersten Gewerkschafters permanent in Misskredit gebracht wird. Sehen Sie das auch so?
Viele haben gerade in den letzten Monaten gesehen, was Lehrerinnen und Lehrer leisten. Und der Kollege Kimberger hat natürlich auch keine leichte Rolle. Das Problem ist: Wenn über eine der vielen Regierungspressekonferenzen verkündet wird, was jetzt in der Schule passiert, ohne dass vorher mit den Lehrern über die Möglichkeiten der Umsetzung geredet wird - dass die dann auch mal stinkig sind, braucht einen nicht zu wundern.

Ja, aber warum immer diese rituelle Empörung?
Was heißt da Empörung? Ganz ehrlich: Wenn jetzt irgendein wirtschaftsliberaler Thinktank daherkommt und öffentlich sagt "Wir schnalzen die Mehrwertsteuersätze in die Höhe, um den Staatshaushalt zu finanzieren", dann muss von mir als Reflex die Frage kommen: "Seid's ihr wo ang'rennt?" Einfach nicht reden, das lässt sich kein Gewerkschafter gefallen. Wer lässt sich denn gerne etwas diktieren? Diktat geht gar nicht.

Kurzarbeit gilt als neue Wunderwaffe. Worauf werden wir uns langfristig einstellen müssen: auf eine Viertagewoche, auf sechs Wochen Urlaub? Mehr Freizeit, weniger Kohle?
Dass das auf weniger Kohle rausläuft, sage ich Ihnen definitiv nicht zu. Wir hatten jetzt die Phase eins mit drei Monaten Kurzarbeit und haben nun die Verlängerung bis Anfang, Mitte September. Die Frage ist: Was kommt danach? Es gibt ja bereits jetzt manche, die sagen, wir brauchen die Kurzarbeit ganz lange, also zwei oder drei Jahre. Da sage ich aber: Leute, da müssen wir schon drüber reden! Das ist ja dann keine klassische Kurzarbeit mehr, sondern eine staatlich gestützte Arbeitszeitverkürzung. Da sage ich: Dann machen wir doch gleich eine Arbeitszeitverkürzung, damit mehr Leute einen Job haben, jetzt, wo es so viele Arbeitslose gibt. Why not? Aufgrund der Erkenntnisse der letzten Wochen und Monate glaube ich, dass es Möglichkeiten gibt, die Arbeitszeit zu verkürzen, und zwar mit Lohnausgleich. Die Alternative wäre eine hohe Arbeitslosigkeit: Dann wird auch das Volumen der Arbeit geringer, unterm Strich ist das also auch eine Arbeitszeitverkürzung. Aber in ihrer unsozialsten Form. Wenn wir als solidarische Gesellschaft wollen, dass gerecht verteilt wird, dann müssen wir die Zeit über den Sommer dafür nutzen, um darüber auf Sozialpartner-und Regierungsebene in ernste Gespräche einzutreten. Ja, das möchte ich gerne.

Na, wenn Sie das möchten - Sie sind doch ein mächtiger Mann
Nein, geh bitte! Ich bin Präsident in einer demokratischen Organisation mit 1,2 Millionen Mitgliedern, die wichtigen Schritte setzen wir alle gemeinsam. Und wenn ich heimkomme, gebe ich die Macht sowieso an der Garderobe ab, denn da ist meine Frau die Chefin.

ZUR PERSON

Wolfgang Katzian Geboren am 28. Oktober 1956 in Stockerau, arbeitete sich der gelernte Bankkaufmann zum wichtigsten Mann in der Arbeitnehmervertretung empor: Zunächst war er Jugendsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten, später wurde er deren Vorsitzender. Von 2009 bis 2018 war Katzian Chef der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, seit 2018 ist das Mitglied des SP-Bundesparteipräsidiums Präsident des ÖGB.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 24+25/20

Kommentare

...und Herr/Frau Obergescheit, warum musste unsere Regierung in Rumänien betteln, dass trotz geschlossener Grenzen einige 100 Pflegekräfte nach Österreich dürfen? Weil kein/e ÖsterreicherIn einem anderen den A.... auswischen will!

Jagd die über 200 000 Ausländerarbeiter nach Hause, die unseren Leuten die Arbeit wegnehmen , nur weil sie billiger sind! Die Arbeitgeber sollen zuerst einmal richtig wirtschaften! Dies können, wie die Krise zeigte,die wenigsten, aber alle wollen Geld vom Staat! Unglaublich!

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