Worüber die Kirche besser verstört sein sollte

Für den Stephansdom ungeeignet: zwei Kunstwerke von Gottfried Helnwein bleiben im Depot. Und bei den Wiener Festwochen treten Antisemiten auf, während ein bedeutender Dirigent gefeuert wurde

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Der Totenkopf ging gerade noch. Zumal der liturgische Designklassiker ein paar Etagen tiefer in Zehntausenderstärke besichtigt werden kann: Für die Bereicherung der Totenruhe in den Katakomben des Stephansdoms entrichten Erwachsene € 7, Kinder € 2,50. Aber jetzt ist Schluss mit Helnwein! Nach nicht näher benannten Protesten hat das Domkapitel verfügt, dass dem Fastentuch mit den Totenköpfen kein Oster- und kein Pfingsttuch mehr folgen wird. Der österreichische Weltkünstler hat der Erzdiözese alle drei Sujets geschenkt, aber statt ihm zumindest Gottes Lohn zukommen zu lassen, wird er zum Teufel gejagt. Insgesamt dürfte hier ja die Verwechslung von Gottes Werk und Teufels Beitrag vorliegen, eine allzu preisgünstige Realverfilmung des Romans von John Irving: Die Bilder, so erfahren wir, könnten als „verstörend“ empfunden werden. Insbesondere das Ostertuch mit dem Bild eines blutenden Kindes wäre der Gläubigenschaft nicht zumutbar.

Nun würde ich gern sachte nachfragen, was es mit den Verstörungen innerhalb der katholischen Liturgie so auf sich hat. Das im Dom affichierte gotische Lettnerkreuz zum Beispiel zeigt einen massiv Gefolterten. Die Schergen haben ihm einen Kranz scharfer Dornen in den Kopf gedrückt, Hände und Füße sind mit mehrzölligen Nägeln fixiert. Ob in der Seite eine Wunde klafft, werde ich (versprochen) alsbald verifizieren, wundern würde es mich nicht. Hingegen wäre ich erstaunt, wenn sich das identitätsstiftende Sujet im Gotteshaus nicht vielfach wiederfände.

Oder wie halten wir es mit dem als Höhepunkt der Messfeier praktizierten Kannibalismus, dem Konsum von Fleisch und Blut? Den sadomasochistischen Märtyrerlegenden? Der Schwängerung Mariens durch drei als männlich wahrgenommene Gestalten, unter ihnen ihr ungeborener Sohn? Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich schätze die Mysterien aller Kulturen, die voll archetypischer Schrecknisse sind, weil sie auf den Grund unserer kollektiven Ängste und Begierden führen. Die ungeheuerlichen Obszönitäten und Gewalttätigkeiten des Alten wie des Neuen Testaments haben schon dazu geführt, dass minderjährige Amerikaner auf dem Verordnungsweg vor der Bibel beschützt werden. Solch ein unwürdiges (Dom)kapitel unserer Zivilisation wollen wir doch nicht aufschlagen?

Und dass jetzt just das Bild eines gequälten Kindes unwillkommen ist: Das beweist, dass manche Herrschaften ungeachtet aller Aufarbeitungsbemühungen noch lang nicht genug verstört worden sind. In einer Seitenkapelle des Stephansdoms hängt die von den Nazis liquidierte Märtyrerin Schwester Restituta in der wutglühenden Darstellung Alfred Hrdlickas. So stelle ich mir das vor und bitte den Dompfarrer, der das Osterfest zuvor schon in die Hände des Weltkünstlers Erwin Wurm gelegt hatte, sich in seinen gottgefälligen Anstrengungen nicht beirren zu lassen.

Um nun in die etwas weltlicheren Bereiche zu retirieren: In eineinhalb Monaten beginnen die Wiener Festwochen. Die Intendanz hält jetzt der renommierte Schweizer Milo Rau, ein Mann vom Selbstverständnis einer mittelalterlichen Wehranlage, mit jedem Atemzug auf der Seite der durch Kapitalismus, Kolonialismus und Faschismus Entrechteten. Er hat die Festwochen zur „freien Republik“ erklärt, gar „Volksprozesse“ angekündigt. Die wären jetzt in der Tat einzuberufen, und zwar gegen den Intendanten wegen Illoyalität mit dem griechischen Dirigenten Teodor Currentzis. Der hätte nach Putins Überfall auf die Ukraine Russland nur verlassen müssen, damit aber die 200 Musiker seines in St. Petersburg ansässigen Kollektivs MusicAeterna ins Nichts gestoßen. Also ist er geblieben, hat nie ein Wort für Putin verloren und bei seinen weltweiten Konzerten mit anderen Klangkörpern deutliche Friedenszeichen gesetzt. Ein solches wäre auch Brittens „War Requiem“ mit einem deutschen Orchester bei den Festwochen gewesen. Daraufhin hat allerdings eine dort gleichfalls engagierte ukrainische Dirigentin mit Absage gedroht, was ihr gutes Recht, vielleicht sogar ihre Pflicht war. Die Pflicht eines Intendanten wäre es allerdings gewesen, die Verantwortung für sein Programm zu übernehmen und die Dame in Frieden aus dem Vertrag freizugeben. Abgesagt wurde allerdings das „War Requiem“, eine der nachdrücklichsten pazifistischen Kundgebungen der Kulturgeschichte.

Aufrecht hingegen sind die Einladungen an die französische Nobelpreisträgerin Annie Ernaux und den griechischen Altpolitiker Varoufakis, beide Unterstützer der von allen fünf Parlamentsparteien als antisemitisch verurteilten BDS-Bewegung. Auch und erst recht nach dem 7. Oktober. Notabene: Die Kunst ist frei und zumindest Mme Ernaux eine bedeutende Autorin, gegen deren Einladung nicht zu argumentieren ist. Nur der Konjunkturantifaschist Rau soll bis auf weiteres verstummen.

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