In Niederösterreich droht es ganz schnell zu gehen

Was der Kulturpolitiker Erwin Pröll aufgebaut hat, kann nach dem Koalitionsdebakel rasch einstürzen. Schon wird auf FPÖ-Geheiß für die Schließung des Nitsch-Museums demonstriert. Kunsthass befördern aber auch andere

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Dass es so schnell gehen könnte, hatte ich mir nicht vorgestellt. Der niederösterreichische Pakt der Schande war kaum bekannt geworden, da zogen schon ihrer 80 durch Mistelbach, um die Schließung des Nitsch-Museums zu fordern. Nun werden Sie sagen: Das ist doch nichts Neues! Derlei Expertenaufmärsche kennen wir doch, seit in den Siebzigerjahren der Porno-Jäger an der Spitze gleichgesinnter Sonderlinge (hier stoßen wir verhängnisvoll an die Grenzen geschlechtergerechten Schreibens) gegen den Weltkünstler ausgerückt ist. (Sie erinnern sich? Das war der oberösterreichische Fotograf, der in seinem Keller genügend Beweismaterial angehäuft hatte, um die autoerotische Grundversorgung noch seiner Urenkelgeneration sicherzustellen.)

Da muss ich Ihnen mit Bedauern widersprechen. Der Stumpfsinn schien sich in den vergangenen Jahren doch schon halbwegs gelegt zu haben, eine Folge der Bemühungen Erwin Prölls um Kultivierung der bauernbündlerischen Hoheitsgebiete. Und Sonderlinge waren zwar auch jetzt unterwegs, und auch sie haben sich auf einen Verhaltensoriginellen berufen. Aber der ist diesmal doch um eine Kleinigkeit mehr, nämlich Spitzenrepräsentant der Partei, die in Niederösterreich das Kommando führt: Nach Enthüllungen des FPÖ-Generalsekretärs Hafenecker demonstrierte das achtzigköpfige Expertengremium gegen Nitsch, weil er in seinem philosophischen Frühwerk "Die Eroberung Jerusalems" den Kindesmissbrauch befürwortet habe.

Das ist nun so schwachsinnig, als bezichtigte man den Kasperl, als Agent der Ledermafia zum Mord an Krokodilen aufzurufen. Aber der Mann vertritt eine Parlamentsfraktion, der es soeben gelungen ist, die von allen guten Geistern gemiedene Landesmutter ins Narrensegment der Wissenschaftsfeinde zu erpressen. Ich möchte nicht dafür einstehen müssen, dass das Nitsch-Museum mittelfristigen Bestand hat. Und die teils ausnahmeformatigen Künstler, die sich im Vertrauen auf Prölls schützende Hand im Land niedergelassen haben, sind nicht zu beneiden. Bedanken dürfen sie sich bei ihnen (und mir) politisch nahestehenden Publizisten:

Die haben, freiwillig oder unfreiwillig die Geschäfte des eben in den Himmel abhebenden Sebastian Kurz besorgend, Pröll mittels substanzloser Anschuldigungen aus dem Amt befördert. Jetzt ist Kurz kaputt und die alte ÖVP ebenso. Und womöglich muss sich Robert Menasse noch dafür rechtfertigen, dass er nicht im Protest sein Elternhaus im Waldviertel räumt. Oder Peter Turrini, dass er seit Jahrzehnten in der Geborgenheit des Weinviertels lebt und schreibt.

Solche Zumutungen sind mir tatsächlich zu Ohren gekommen, und das erinnert mich daran, dass die giftig ins Kraut schießende Kunstfeindlichkeit kein freiheitliches Monopol ist. Das moralisierende Drangsalieren von Künstlern ist vielmehr Kernkompetenz der bevorzugt linksgrünen Denunziationsgesellschaft. Sie gestatten ein Selbstzitat? Sie ermächtigt das Mittelmaß, sich gegen das Außerordentliche zu erheben, zensiert Kunstwerke, die sie nicht versteht, bespitzelt russische Künstler, belohnt Illoyalität und setzt Qualitätskriterien gegen Wohlverhalten und Anpasslertum ins Hintertreffen.

Die Bedrohung des Radio-Symphonieorchesters RSO hat mir zuletzt zu erhellenden Erkenntnissen verholfen. Die paar Krakeeler in den Foren der U-Bahn-nahen Publizistik waren eine verschwindende Minderheit gegen die "Community"-Bobos erster und zweiter Generation im rosaroten Zentralorgan. Unterschieden hat man sich bloß in der Handhabung der Interpunktions- und Rechtschreibregeln. Aber die Richtung war dieselbe: Ein Orchester sollen die bezahlen, die es brauchen, und die sind nicht wir.

Nun will ich mich keinen Illusionen bezüglich alphabetisierterer Zeiten überlassen. Schon ich musste mich im (humanistischen!) Gymnasium unheilvoll zwischen Musik und Zeichnen entscheiden. Und Martin Walser sagte mir: "In meiner Schulzeit haben genauso viele gelesen wie heute, nämlich zwei, und einer von ihnen war ich." Der Unterschied ist, dass man meinerzeit zum Erwerb der zivilisatorischen Grundausstattung noch gezwungen wurde. Wohingegen heute in Befolgung debiler Lehrpläne das Verfassen eines Forenbeitrags deutlich über dem Verständnis von "Faust" und "Michael Kohlhaas" rangiert. Was in der Zeit nach dem großen Unterrichtsminister Scholten, also ab Mitte der Neunzigerjahre, von Elisabeth Gehrer (ÖVP) auf den Weg befördert wurde, haben Claudia Schmied und Gabriele Heinisch-Hosek (beide SPÖ) mit der Zentralmatura verheerend zur Vollendung gebracht. Schon seit der Jahrtausendwende kann man in Englisch maturieren, ohne den Namen Shakespeare gehört zu haben. Jetzt steht die damals ausgelegte Saat in Vollblüte und die Zivilisation im Vollbrand.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte:
sichrovsky.heinz@news.at