Heller, Nowak und die Moral der Mitbewerber

Der Universalkünstler hat einen Schelmenroman vorgelegt, der äußerst qualifizierte Chefredakteur der "Presse" mit Thomas Schmid korrespondiert. Und jetzt?

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wenn Sie wissen wollen, wie das mit André Heller und den 800.000 Euro war, wann er sie zurückgezahlt hat und im Gefolge welcher juristischen Obsorge: Dann muss ich Sie enttäuschen. Ich habe keine Ahnung, und es interessiert mich auch nicht, denn hier geht es um die Kunst. Und die hat in der Causa triumphal ihre Rechte behauptet, ja: dem Genre des Schelmenromans seit Apuleius, Grimmelshausen und Thomas Mann ein Stück hinzugefügt. Was habe ich mich darüber amüsiert, wie Heller die Kunstblase am Besenstiel hat tanzen lassen! Ich sehe ihn vor mir, wie er dem durch sein Unfehlbarkeitsuniversum kreuzenden Experten feierlich das Stück Hausmüll mit Originalschnipselpanier vorgelegt hat. Von dem ich übrigens nicht sicher bin, ob es als Überarbeitung nicht sogar einen gewissen Wert verkörpert. Und der Galerist, der jetzt die possierlichsten Volten dreht!

Die Schelme sterben jedenfalls nicht aus. Eben hat der Weltkünstler Jonathan Meese dem Volkstheater seine bereits zweite Performance angedreht. Die erste hieß "Lolita", die zweite "Barrier Reef", aber sie waren identisch und hatten mit keinem von beiden etwas zu tun. Meese ist wie immer in der SS-Uniform aufgetreten, und am Schluss hat, auch wie immer, seine betagte Mutter ein Tänzchen für Hitler gewagt. Niemand, auch kein Gericht, konnte je nachweisen, dass das Gebotene KEINE antifaschistische Performance ist. Weil es nämlich gar nichts ist und sich den Kategorien durch puren Unsinn entzieht, konsequenter als alle Kundgebungen des absurden Theaters und der Nonsensliteratur (und nicht mit ihnen zu verwechseln).

Ins Volkstheater ist trotzdem (ebenfalls wie immer) kein Mensch gekommen. Aber mich hat der Abend in all seiner lärmenden Dreistundenbeschwer amüsiert. Wenn auch nicht so wie Hellers Realperformance. Und wenn ich mich grob umblicke, triumphieren auch meine Kollegen aus der Kulturpublizistik mehr oder weniger verhohlen, dass Hellers Schelmenstück ohne juristische Konsequenzen bleiben wird. Nur im Zentralorgan des heimischen Boboismus lief man rosa an vor Enttäuschung, dass der alte, weiße Mann nicht hinter Gitter muss. So ist das mit dem in die Jahre einbiegenden Zeitgeist: Erst kommt die Moral, die Kunst hat das zu fressen.

Ja, die Moral! Soeben musste sich ein brillanter Blattmacher unter dem Frohlocken der Mitbewerberschaft zurückziehen. Rainer Nowak hat die "Presse" durch stürmische Branchenzeiten geschippert, wurde erst im Vorjahr zum wiederholten Mal als Zeitungsmanager des Jahres geehrt und hat, jawohl, mit Thomas Schmid Textnachrichten gewechselt. Er soll daraufh in einen Satz aus einem Artikel hinweginterveniert und für seine allseits bekannte Ambition, Generaldirektor des ORF zu werden, im Umfang von sechs Wörtern um Unterstützung gewitzelt haben. Auch ist er mit Sebastian Kurz per Du.

Die erste sich mir aufdrängende Frage lautet nun: Wurde Nowak denn ORF-Generaldirektor? Dann: Hat die "Presse"-Redaktion wider besseres Wissen für die ÖVP Partei genommen? Das wäre mir nicht aufgefallen, für eine konservative Zeitung war man durchaus distanziert. Was nun die Objektivität betrifft: Wie qualifiziert man dann die (für mich legitime) Fundamentalopposition des linken Mitbewerbers gegen die Regierung? Und endlich die entscheidende, die letzte Frage: Ist dem "Steuerzahler", diesem für und gegen alles einsetzbaren Vielzweckmonster, durch Nowaks Schwatzsucht denn Schaden entstanden? So wie, unschuldsvermutet, durch das Umfragenaufkommen der Fellner-Publizistik, die sich vor Glück über Nowaks Kalamitäten nicht zu fassen weiß?

Und dann das mit dem Du samt Konsequenzen (ich widerspreche hier der überaus geschätzten Leitartiklerin im vorliegenden Periodikum): Ich zum Beispiel habe bei der "Arbeiterzeitung" begonnen, bin auf ultimative Anregung der SPÖ beigetreten und war deshalb automatisch mit jedem Mitglied der Regierung Kreisky per Du. Hätte ich Helmut Zilk und Karl Blecha nach meinem alsbaldigen Parteiaustritt auf das Sie rückstufen sollen? Oder strafhalber den furiosen Schauspieler und Rocker Franz Morak, als er Staatssekretär im Kabinett Schüssel wurde? Man war mit einander quasi aufgewachsen, so wie mit einer Unzahl linksdenkender Politiker und Künstler, spätere Minister und Nobelpreisträger nicht ausgenommen.

Ein dichtes Netz an Vertrauten ist für mich zudem bis heute Grundausstattung jedes avancierten Journalisten: Wer nicht weiß, wo er anrufen soll, wenn er etwas wissen will, laboriert an einem Defizit. Man muss nur klarstellen, dass damit höchstens mikroskopische Privilegien verbunden sind. Ich habe das Zähneknirschen des bewunderten Freundes Gert Voss über eine gefärbte Kritik noch im Ohr. Wir haben darüber geredet, und er hat fortan nicht geknirscht und sich gefreut, als ihm meine Kollegin Susanne Zobl und ich eine Billa-Tasche voller CDs ans Sterbebett gebracht haben. So war das und so bleibt es.

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