Die Psychologie der Sprache

Wer spricht heute noch - ungestraft - von "Weibern"? Was vormals die Bezeichnung für Frauen war, gilt längst als Schimpfwort. Die neue, wie es im Internet heißt, "Sprachpolizei" übertreibt es aber manchmal, wie im Beispiel einer alten Dame, die zum "Max im Hemd" absichtslos noch immer "Mohr" sagte.

von LIEBES LEBEN - Die Psychologie der Sprache © Bild: Nathan Murrell

Gleich vorneweg: Natürlich drücken sich Achtsamkeit und Wertschätzung auch über die Wortwahl aus. Hier aber einige kritische Nebenprodukte von Twitter und Co:

1. Die Festschreibung. Greift man in den sozialen Medien auch nur einmal mit einer Bezeichnung daneben, kann man nicht nur einen Shitstorm lostreten, sondern wird womöglich -schneller als ein Mausklick - zum gefundenen Fressen selbst ernannter Hüterinnen und Hüter der Sprache und zur gebashten, ausgegrenzten Person. Es kann somit zu Cyberdiskriminierung, Diskreditierung, Hetze, Verhöhnung und manchmal sogar Kriminalisierung kommen. Wie schnell das gehen kann, dass etwa eine absichtslose unglückliche Wortwahl sogar zur fristlosen Kündigung führt, schockiert mithin. In meiner Kindheit in den Siebzigerjahren sagte man zwar in der Alltagssprache nicht mehr "Weiber", aber im "Gegrüßet seist du, Maria" wurde erst allmählich der Begriff durch das Wort Frauen abgelöst. Weib war ja irgendwann zum Schimpfwort geworden. Fast schleichend, aber umso folgenschwerer wird ein verbaler Fehlgriff zum Sündenfall. Die Psychologie der Sprache hat sich im Social-Media-Zeitalter drastisch geändert und die Kritik an unangemessenen Konnotationen radikalisiert sich zunehmend.

2. "Die Sprachpolizei": Gibt es wirklich so etwas? Den Begriff ja. Wenn das reale Personen sind, dann solche, die für sich beanspruchen, beurteilen zu können, was gut und was böse, ja mehr noch, wer menschlich und moralisch in Ordnung und wer "unmöglich" ist. Und die die Mission erfüllen, sprachliche Äußerungen auf ihre mögliche aktuelle toxische Bedeutung und Wirkung zu durchleuchten. Und jederzeit sprachliche Verbrechen aufzudecken -etwa mit einem gezielten Posting, um Personen aufgrund falscher Ausdrucksweisen öffentlich anzuklagen. Klar sollten Denunzierungen und verbale Gewalt jedweder Art erkannt und unterbunden werden! Wenn es aber eines einschlägigen Fach-oder Spezialwissens bedarf, kann das auch zu obsessiver Fehlersuche, paranoiden Überinterpretationen und schließlich sogar zu einer Menschenjagd führen.

Dann entsteht 3. der soziale Ruin aufgrund einer unangemessenen Äußerung, die durch eine Denunzierungskampagne unverrückbar ins universale Gedächtnis des World Wide Web eingebrannt ist. Und dauerhaft das Ansehen und die Glaubwürdigkeit einer Person zerstören kann.

Ein Beispiel für übertriebene Sprachkritik ist eine dreiundneunzigjährige Bewohnerin einer geriatrischen Pflegeeinrichtung, die ins Büro eines Oberarztes gebracht wurde, um ihr dort offiziell zu untersagen, noch einmal in der Cafeteria "Mohr" zum Schokokuchen zu sagen, der in "Max im Hemd" umbenannt worden war. Die Frau war am Boden zerstört, weil der Doktor so mit ihr "geschimpft" habe. Sie versicherte verängstigt: "Es war nicht so gemeint." Und: "Was darf man denn überhaupt noch sagen?" Auch Gendern gehört sich längst, und wer einmal darauf vergisst, gerät schnell in den Verdacht, achtlos, ignorant und intolerant zu sein. Nun ein kleiner, aber feiner Lösungsvorschlag: Es ist in Ordnung, sensibel darauf hinzuweisen, dass Worten toxische Deutungsmöglichkeiten innewohnen. Aber - und das verschwindet zunehmend aus den Köpfen -es ist so wichtig, miteinander respektvoll im Gespräch zu bleiben und nach Verständigung zu streben, statt zu verurteilen, zu bashen und jemanden auf ein (falsch gesetztes) Wort festzuschreiben. Das wäre ja nur eine Wiederholung der Ausgrenzung, die verhindert werden soll.