Proteste helfen Trump

Auf Widerstand und Aufruhr folgen oft konservative, autoritäre und reaktionäre Machthaber und Regierungen

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

1966 während der Studentenunruhen in den USA, als Tausende für „Free Speech“, „Civil Rights“ und gegen den Krieg in Vietnam demonstrierten, startete der Schauspieler Ronald Reagan seinen Wahlkampf als Kandidat der Republikaner um die Position des Gouverneurs von Kalifornien mit einer einfachen Botschaft: „Let’s clean up the mess in Berkley (lasst uns das Chaos an der Universität Berkeley aufräumen).“ Er gewann völlig überraschend trotz einer langen Tradition siegreicher Demokraten.

Ähnlich wie in den letzten Wochen besetzten Studenten damals die Universitäten, wenn auch im Gegensatz zu heute die Bewegung von der Thematik durchaus überzeugend war. 58.000 Amerikaner wurden in Vietnam getötet, 300.000 verwundet – kaum einer der Protestierenden, die heute gegen den Krieg in Gaza demonstrieren, wird dort sein Leben riskieren. Dennoch entschieden sich die Wahlberechtigten mehrheitlich für die Konservativen. 1968, am Höhepunkt der gewalttätigen Auseinandersetzungen an US-Universitäten, gewann Richard Nixon die Präsidentenwahl mit der Botschaft: „Ich bin der Vertreter des ‚vergessenen Amerikas‘, der ‚nichtschreienden‘ und ‚nichtdemonstrierenden‘ Amerikaner.

Ordnung

In dem neuen Bestseller des US-Journalisten Vincent Bevins‚ „If We Burn: The Mass Protest Decade and the Missing Revolution“ – als Titel wählte er die Drohung der Heldin in Suzanne Collins Buch „Mocking Jay“ (Verfilmt als „The Hunger Games“): „If we burn, you burn with us“ –, untersucht der Autor die Folgen von Protestbewegungen. Bevins kommt zu dem Schluss, dass sich in fast allen Ländern politische und ökonomische Strukturen nach Protesten und Unruhen verschlechtert hatten. Weder wurden Forderungen nach Verbesserung der Grundrechte, Pressefreiheit und Demokratie umgesetzt, noch hätten sich die Lebensbedingungen verbessert.

2011 breitete sich der „Arabische Frühling“ auf Ägypten, Syrien, Jemen, Tunesien, Jordanien, Kuwait, Libyen, Tunesien und andere arabische Länder aus. Diktatoren wie Hosni Mubarak in Ägypten mussten zurücktreten. Er wurde allerdings durch die islamistische Gruppierung „Muslim Brotherhood“ abgelöst. Als diese versuchte, die „Grundsätze der Scharia“ in die Verfassung aufzunehmen, übernahm das Militär die Macht. Nicht ein arabisches Land hat Forderungen nach Demokratisierung der Gesellschaft umgesetzt. In Syrien tobt bis heute der Bürgerkrieg, Länder wie Libyen und Irak sind praktisch unregierbar und werden von regionalen „War-Lords“ kontrolliert. Nach dem Sturz der „alten Ordnung“ etablierte sich eine „neue Ordnung“ mit Repressalien und Unterdrückung. Im Juni 2013 forderten Millionen Demonstranten in Brasilien bessere Schulen, billigere Lebensmittel und ein funktionierendes Gesundheitssystem. Ein paar Jahre später gewann Jair Bolsonaro die Wahl zum Präsidenten, ein rechtsradikaler Politiker, der das Land zurück in die Diktatur führen wollte – als würde sich die schweigende Mehrheit einfach nur nach Ruhe und Sicherheit sehnen.

Mehrheit

Massenbewegungen können mit Symbolfiguren erfolgreich politische Veränderungen durchsetzen wie zum Beispiel durch Lenin, Mao, Hitler und Mussolini, die als gefürchtete Anführer die Macht konzentrierten und Bewegungen streng hierarchisch kontrollierten. Horizontale Protestbewegungen sind anarchistisch, bilden sich spontan und sind oft weit verstreut. Führerlos mit unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Botschaften sind sie ohnmächtig und wirkungslos. Bevins schreibt dazu: „Eine diffuse Gruppe von Individualisten, die aus unterschiedlichen Gründen protestieren, kann nie Macht ausüben und ihre Forderungen nicht durchsetzen.“

Das Phänomen wiederholt sich derzeit bei Pro-Palästina-Demonstrationen. Forderungen wie Waffenstillstand und Zweistaatenlösung konkurrieren mit dem Auf tritt radikaler Terroristen, die eine Vernichtung Israels, Ermordung aller Zionisten und „Hundert neue 7. Oktober“ ankündigen. Die Mehrheit der Bevölkerung reagiert irritiert und mit Ablehnung auf die chaotische Zufälligkeit der Bewegung. 70 Prozent der US-Bevölkerung unterstützen laut neuester Umfragen ein hartes Vorgehen der Israelis in Gaza, vor wenigen Wochen waren es 50 Prozent. Trump hat auf diese Entwicklung sofort reagiert. Er habe seine Meinung geändert, sagte er während einer Wahlveranstaltung. Bisher hätte er die Zweistaatenregelung unterstützt, jetzt lehne er einen eigenen Staat für Palästinenser ab.

Harvard

Der Protest geht am Volk vorbei. Die US-Universität Harvard hat die Bedeutung der Bewegung in einer Studie untersucht und kam zu überraschenden Ergebnissen: Die 18- bis 30-Jährigen reihen den Israel-Gaza-Konflikt an 15. Stelle unter 16 verschiedenen Problemen. Inflation, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Klimaveränderung, Infrastruktur, und Gesundheitsversorgung beschäftigen die junge Generation, nicht der Gaza-Konflikt.

In den „Lower Class“-Bundesstaaten wie Pennsylvania, Wisconsin, Michigan und Georgia haben die Menschen wenig Verständnis, wenn die „Upper-Class-Kids“ in Universitäten mit 90.000 Dollar Jahresgebühr vermummt mit Geschirrtüchern Revolution spielen und für ein Problem ein Chaos provozieren, das absolut nichts mit ihrem Alltag zu tun hat. Eine abgehobene Protest-Gesellschaft, finanziert durch obskure Spender oder Geld der Eltern, fernab der täglichen Probleme der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung, treibt die Wähler und Wählerinnen wie in der Vergangenheit zu Politikern, die Ruhe und Ordnung versprechen. Den gespaltenen Demokraten mit einer Pro- und Contra-Israel-Fraktion steht ein solider Block der Republikaner gegenüber, der nationale Probleme zum Wahlkampfthema und den Kandidaten der Demokraten für Chaos und Gewalt wegen internationaler Probleme verantwortlich macht.