Peter Filzmaier und Armin Wolf erklären Österreichs Politik

Man kennt sie aus unzähligen Studiogesprächen in der ZiB 2. Als "Der Professor und der Wolf" machen sich Peter Filzmaier und Armin Wolf nun via Buch, Podcast und Bühne daran, Politik ganz grundsätzlich zu erklären. Dabei gibt es im politischen Alltag durchaus Vorkommnisse, die auch ihnen rätselhaft sind, erklären sie im Interview.

von Armin Wolf und Peter Filzmaier alias "Der Professor und der Wolf" © Bild: Gianmaria Gava/Brandstätter Verlag

"Der Professor und der Wolf" steht an der Spitze der Sachbuch-Charts. Sie füllen Theater, indem Sie Politik erklären. Wie passt das zur herrschenden Politikverdrossenheit?
Wolf: Ich glaube, dass sich mehr Menschen für Politik interessieren als man denkt. Es könnte natürlich auch helfen, dass die beiden Autoren durch gemeinsame Fernsehauftritte bekannt sind.

Filzmaier: Vor 15 oder 20 Jahren wäre die Standardantwort gewesen, dass es eine Parteien- und Politikerverdrossenheit gibt, die Menschen sich aber sehr wohl für Politik interessieren. Leider geht es mittlerweile aber in Richtung Politik - oder sogar Demokratieverdrossenheit. Das Buch und unsere Auftritte stoßen deshalb auf Interesse, weil die Leute diese Verdrossenheit gar nicht wollen und allgemein verständliche Orientierungspunkte suchen. Viele Menschen haben aber gar nicht genug Zeit, sich mit Politik zu beschäftigen. Da ist das "Einmaleins der österreichischen Politik" so ein Orientierungspunkt.

Wolf: Man sollte den Erfolg aber auch nicht überschätzen: Wir reden von ein paar 10.000 Menschen, die das Buch kaufen und zu Auftritten kommen - in einem Neun-Millionen-Land.

Das Buch:

Was darf der Bundespräsident? Fragen wie diese beantworten Filzmaier und Wolf in "Der Professor und der Wolf".* (Brandstätter Verlag, € 26)

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Sie erklären Basics, das kleine Einmaleins der Politik. Worauf führen Sie den Informationsmangel über Politik zurück? Ein Versagen der Medien oder des Fachs politische Bildung, sofern es stattfindet?
Wolf: Die meisten Menschen haben andere Dinge zu tun, als sich damit zu beschäftigen, wie das mit der Neutralität genau ist, wie Föderalismus organisiert ist, oder was ein Parlamentsausschuss ist.

Filzmaier: Das Buch ist so gestaltet, dass nicht Politikfreaks und Mediennerds in kaum verständlichem Fachchinesisch das diskutieren, was sie ohnehin seit Jahren besprechen. Wir wollen jene erreichen, die der Politik nicht so nah sind, einerseits aus Zeitmangel, andererseits wegen jahrzehntelanger Defizite der politischen Bildung, nicht nur in der Schule, sondern auch in der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. Die Gründe dafür reichen weit zurück: Anders als in Deutschland, wo klar war, man ist Täterland des Nationalsozialismus, haben wir uns ausschließlich den Opferstatus zu eigen gemacht, obwohl es jede Menge Täter in Österreich gab. Deshalb gab es hier keine Tradition der politischen Bildung.

Wolf: Ich glaube ja, dass wir Medien in der Politikberichterstattung viel zu viel voraussetzen. Wir verwenden Ausdrücke, die viele Menschen oft gar nicht verstehen: Plenardebatte, Begutachtungsverfahren,

15a-Vereinbarungen und Finanzausgleich ...
Filzmaier: Jetzt haben Sie mir meine Schmankerl weggenommen.

Armin Wolf und Peter Filzmaier alias "Der Professor und der Wolf"
© Gianmaria Gava/Brandstätter Verlag
Der Wiener hat Politik- und Kommunikationswissenschaften studiert und danach u. a. im Bildungsministerium gearbeitet. Ab 1998 wechselte er als Lehrbeauftragter an die Universität. An der Universität für Weiterbildung Krems leitet er das Department für politische Kommunikation und hat den Lehrstuhl für Demokratiestudien und Politikforschung inne. An der Uni Graz ist er Professor für politische Kommunikation. Er ist zudem Geschäftsführer des Instituts für Strategieanalysen und viel gefragter politischer Analytiker im ORF.
Der Tiroler arbeitet seit der Matura für den ORF, erst im Landesstudio Tirol, später beim ORF-Radio, als Korrespondent in den USA, Redaktionsleiter der ZiB 3 und moderiert seit 2002 die ZiB 2. Wolf hat zudem Politikwissenschaft, Soziologie, Zeitgeschichte sowie Betriebswirtschaft studiert. Seine Dissertation galt Quereinsteigern in die Politik.

Gibt es etwas, das Sie an der Politik nicht verstehen oder das Sie nervt?
Filzmaier: Ich betreibe jetzt Geschäftsschädigung für mein Fachgebiet, die politische Kommunikation: Doch durch die unglaubliche Beschleunigung der Kommunikation tritt die Sachdebatte - von A wie Agrarpolitik, B wie Bildungspolitik bis Z wie Zuwanderungspolitik - zu sehr in den Hintergrund. Es dominiert der Spin die Kommunikation. Das geht so weit, dass Politiker jenen Standpunkt einnehmen, der mehr Kommunikationschancen verspricht, und nicht den, der sachlich besser begründet erscheint. Das hat ein Ausmaß erreicht, das der Demokratie nicht gut tut.

Wolf: Ich würde mir mehr faktenbasierten politischen Diskurs wünschen und weniger "strategisch notwendigen Unsinn". Politische Kommunikation sollte tatsächlich stattfindende Politik vermitteln. Sie sollte nicht dazu dienen, von Politik abzulenken oder gar Politik zu ersetzen.

Filzmaier: In den 1980er- und 1990er-Jahren hat, US-Trends folgend, eine notwendige Professionalisierung der politischen Kommunikation stattgefunden, um Dinge verständlich zu erklären. Aber die Spirale hat sich auf Kosten der Inhalte immer weitergedreht. Inszenierung und Aktionismus sind nicht per se negativ, solange der Themenbezug gegeben ist und nicht nur Selbstzweck. Aristoteles und Cicero haben, bezogen auf die Rhetorik gesagt, es gebe immer eine Mischung aus Sachargumenten und Inszenierung, aber es dürfe ein Minimalausmaß an Sachargumenten nicht unter- und ein Maximalausmaß an Inszenierung nicht überschritten werden. Wir bewegen uns aber oft über die Grenze der Inszenierung und unterschreiten den Minimalanspruch an Argumenten. Ein Spindoktor hat in seinem Buch den Begriff des "strategisch notwendigen Unsinns" als Ablenkungstaktik von unangenehmen Themen gebraucht. Es wäre naiv anzunehmen, dass nur er auf diese Idee gekommen ist. Das ist tägliche Praxis bei fast allen Parteien.

Wolf: Was ich mir auch wünschen würde: weniger Boulevard-Politik. Boulevard-Journalismus appelliert mehr an Emotionen und Vorurteile als an den Verstand. Boulevard- Politik appelliert ebenfalls weniger an den Verstand der Wählerschaft, sondern an ihre Ressentiments.

Wie oft haben Sie bei Interviews das Gefühl, dass es um Sachargumente und ein echtes Gespräch geht?
Wolf: Ein echtes Gespräch führe ich mit Menschen wie Peter Filzmaier, also mit Expertinnen und Experten, die ins Studio kommen, um Fragen zu beantworten. Politiker kommen in der Regel nicht, um Fragen zu beantworten, sondern, um vor rund 700.000 Menschen ihre Botschaften unterzubringen. Die Fragen stören die eher.

Sie erklären im Buch, wie Parteien und wie Wahlen funktionieren. Es wurde gedruckt, bevor die SPÖ eine äußerst bemerkenswerte Wahl ihres Parteivorsitzenden veranstaltete. Was war das: Theater vom Feinsten oder ein demokratiepolitisches Ärgernis?
Filzmaier: Oberflächlich betrachtet war das unheimlich peinlich und Anlass für berechtigten Spott. Tiefergehend analysiert gibt das jenen Rückenwind, die mit übler Absicht oder einfach gedankenlos jeden Wahlvorgang in Zweifel ziehen und damit Flurschaden für die Demokratie anrichten. Bei der Bundespräsidentschaftswahl hat ein Kandidat verkündet, mit den Briefwahlstimmen wäre das ja so eine Sache. Zwischen den Zeilen sagend, da würde gelogen und betrogen. Jetzt setzt sich das beim direktdemokratischen Prozess der SPÖ fort. Schon die Mitgliederbefragung gibt mir Stoff für den Rest meines Berufslebens, wie man Wahlvorgänge nicht macht. Und es sind immer noch einige Punkte unaufgearbeitet. Dass die Stimmzettel nur mit einer Plastikfolie gesichert an einen anderen Ort geschafft werden, dass Mitarbeiter, die mit der Wahlkommission genau gar nichts zu tun haben, diese Zettel aus der Folie holen und Stimmen zählen und - ich betone: theoretisch - damit alles tun können, das sind unaufgeklärte Aspekte, welche die SPÖ unter den Teppich kehrt.

Wolf: Der Vatikan legt es intelligenter an, da werden nach der Papstwahl die Stimmzettel verbrannt. Ich habe in der ersten halben Stunde, nachdem das bekannt wurde, gedacht, das ist von der "Tagespresse".

Filzmaier: Ich habe bei dem wegen nicht klebender Kuverts abgesagten Präsidentschaftswahlgang 2016 gelernt, es gibt nichts, was es nicht gibt. Das setzt sich fort: das Ibiza-Video mit einem im zu körperbetonten T-Shirt dasitzenden Möchtegern-Großfürsten, die Chat-Affäre mit ihren unglaublichen Banalitäten wie "Soll ich ein Bundesland aufhetzen?" und jetzt eben das.

Die FPÖ führt, vier Jahre nach Ibiza, in den Umfragen: Ist es zwangsläufig so, dass Populisten in Zeiten wie diesen profitieren?
Filzmaier: Selbst bei bestmöglicher Durchführung hat eine Sonntagsfrage ein Jahr vor der Wahl einen ähnlichen Wert wie die Frage: Haben Sie vor, sich in einem Jahr zu verlieben und, wenn ja, in wen? Beides wird durch emotionale und damit nicht kalkulierbare Momente mitbestimmt. Und wer wusste ein Jahr vor den jeweiligen Wahlen, dass es das Team Stronach geben wird oder die bizarre Spaltung von FPÖ und BZÖ? Ich nicht. Der momentane Höhenflug der FPÖ hat damit zu tun, dass in schwierigen Zeiten die Sehnsucht nach scheinbar einfachen Lösungen steigt. Populisten, egal, ob von rechts oder links, bieten genau das an: Lösungen des Typs "Beenden wir die Sanktionen gegen Russland und schon sind die Energiepreise wieder im Keller und die Teuerung vorbei". Auch, wenn das nicht so einfach funktioniert, haben Populisten Hochsaison.

Wolf: Die Gesellschaft ist zutiefst verunsichert. Da ist ein politisches Angebot, das sagt "Wir wissen, wer an allem schuld ist und ihr seid es nicht. Ihr seid die armen Opfer und wir werden die Schuldigen bestrafen" für viele Menschen attraktiv.

Herbert Kickl hat sein Berufsleben in Politik verbracht, war Minister, ist Klubobmann -mehr Elite geht fast nicht. Warum nimmt man ihm den Rächer des kleinen Mannes ab?
Wolf: Jörg Haider war Multi-Millionär, Akademiker, hatte eine Garderobe im Wert eines größeren Einfamilienhauses, fuhr ein Porsche-Cabrio und ist auch als Rächer des kleinen Mannes durchgegangen.

Filzmaier: Wir dürfen nicht vergessen, dass die FPÖ und Kickl ihre Erzählung als Geschichte einer Oppositionspartei kommunizieren. Aber da war doch was: Sie waren in der Regierung, sogar mehrmals, und man ist kläglich gescheitert. Das zeigt auch, wie leicht die Menschen der Politik oft ihre Geschichten abkaufen. Norbert Hofer betont, er komme aus der Privatwirtschaft, da war er aber nur sehr kurze Zeit. Andreas Babler erzählt die Geschichte des Lagerarbeiters, ist aber schon viel länger in seinem Leben klassischer SPÖ- Funktionär und war zudem auch Gemeindebediensteter. Diese Liste könnte man lange fortsetzen.

Wolf: Das beste Beispiel ist Donald Trump. Der ist - vermutlich, so genau weiß man das nicht -Milliardär. Jedenfalls wohnt er in einem goldenen Penthouse und einem absurd großen, bizarr aussehenden Fantasieschloss. Elitärer kann man kaum leben und dennoch geht er als Anti-Elite-Kandidat durch.

Welchen Anteil haben Medien an der Politikverdrossenheit?
Wolf: Die Boulevard-Medien ein sehr großen, weil sie Boulevard-Politik massiv befördern. Seriöse Medien möglicherweise auch einen, weil sie zum Teil nicht niederschwellig genug sind oder zu belehrend daherkommen.

Filzmaier: Es gibt ein Defizit der Medien und das hat mit zu wenig Geld zu tun. Wenn ich laufend Ressourcen kürzen muss, immer weniger Journalisten immer mehr berichten müssen, kann das nur auf Kosten der Qualität und des Tiefgangs gehen.

Florian Klenk vom Falter wird von der ÖVP hart angegangen, weil er sich in einem Presse-Interview als links deklariert hat. Sollen sich Journalisten politisch deklarieren?
Wolf: Im ORF sind wir zu Unparteilichkeit und Ausgewogenheit verpflichtet. Bei anderen Medien sollen das die Journalisten selbst entscheiden. Zeitungen haben seit jeher Meinungskommentare. Ich kann jeden Tag nachlesen, was die wichtigsten Journalistinnen und Journalisten denken. Die Kritik der ÖVP Niederösterreich ist in einem Ausmaß grotesk und durchsichtig, dass mir wenig Höfliches dazu einfällt. Und sie war interessanterweise noch nie zu hören bei Journalisten, die sich selbst als bürgerlich oder konservativ oder liberal definieren.

Filzmaier: Ich sehe hier Gemeinsamkeiten zwischen Politikwissenschaftern und Journalisten. Es ist eine persönliche Entscheidung, ob ich mich zum Beispiel öffentlich als gläubiger Christ deklariere. Ich erwarte in diesem Fall auch keine Aussendung der ÖVP Niederösterreich. Es gibt nur einen Bereich, wo ich die Verpflichtung habe, mich zu deklarieren, nämlich, wenn es um Demokratiefeindlichkeit geht. Wenn etwas rassistisch ist, gibt es kein Pro und Contra, da gibt es objektive Kriterien, wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Bei so einer Aussage habe ich mich zu deklarieren und muss sagen, dass sie antidemokratisch und widerlich ist.

Warum treten Sie im Sommer im Theater auf. Müssen Journalisten das Sommerloch jetzt selbst schon füllen?
Filzmaier: Die Antwort ist banal: Es macht verdammt Spaß, mit Armin aufzutreten.

Wolf: Ich wollte mal Lehrer werden. Es macht mir Spaß, Dinge zu erklären. Aber der wahre Grund ist natürlich: Wir sind jung und brauchen das Geld.

Filzmaier: Genau. Als junge Männer sind wir eben der Verlockung des Geldes erlegen. Schreiben Sie bitte "lacht" dazu. Ironie ist teuflisch beim gedruckten Wort. Die Leute glauben sonst, wir meinen das ernst.

Wolf: Peter, niemand glaubt uns, dass wir jung sind.

Filzmaier: Das stimmt.

Die nächsten Auftritte von Armin Wolf & Peter Filzmaier:

  • 28.7. Theater im Park Wien
  • 25.9. Musikverein Graz

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28-29/2023 erschienen.