Ozan Ceyhun: "Die EU-Außengrenze endet nicht in Griechenland"

Der türkische Botschafter in Wien, Ozan Ceyhun, über die Politik der kleinen Schritte, die Österreich und die Türkei wieder näher gebracht haben, und die Rolle, die das Land am Bosporus angesichts von Ukraine-Krieg und Migrationswellen für Europa hat.

von Ozan Ceyhun: "Die EU-Außengrenze endet nicht in Griechenland" © Bild: Ricardo Herrgott News

Herr Botschafter, Sie sind jetzt rund zweieinhalb Jahre in Wien. Wie haben sich in der Zeit die jahrelang doch ziemlich angespannten Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei verändert?
Das Verhältnis hat sich auf jeden Fall entspannt. Speziell in den letzten 18 Monaten wurde durch Dialog und kleine Schritte nach vorne eine positive Entwicklung im Gang gebracht.

Hängt das auch damit zusammen, dass Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz nicht mehr Kanzler ist?
Das würde ich so nicht sagen. Auch unter dem ehemaligen Bundeskanzler Kurz wurde es zuletzt besser. Er war zum Beispiel auch vor rund einem Jahr, als unser Parlamentspräsident Mustafa Sentop auf Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka Wien besuchte, an einem Abend mit dabei und hat mit unserem Parlamentspräsidenten ein sehr gutes Gespräch geführt. Bereits zuvor gab es auf politischer, insbesondere interparlamentarischer Ebene erfolgreiche Gespräche. Damals hat die türkisch-österreichische Annäherung schon intensiver angefangen. Und mit Bundeskanzler Karl Nehammer läuft es ausgesprochen positiv. Das gilt auch für Bundespräsident Van der Bellen, mit dem unser Staatspräsident im März ein langes Telefonat geführt hat.

Dabei wurde einiges vereinbart und umgesetzt.

Zum Beispiel?
Die Ausgrabungen in Ephesos waren etwa ein Thema -die ja jetzt von österreichischen Archäologen wieder aufgenommen wurden. Auch bezüglich der Zusammenarbeit Österreichs mit der NATO gab es positive Schritte. Bundeskanzler Nehammer hatte, bevor er nach Moskau flog, sein erstes Telefongespräch mit unserem Präsidenten. Dem folgten zwei weitere sehr lange Telefonate, die sehr konstruktiv verliefen. Neben bilateralen Themen wurde da auch intensiv über Ukraine gesprochen und es ging dabei auch um die Energieproblematik und Migration. Am 29. Juni gab es auch noch ein Treffen der beiden am Rand des Nato-Gipfels in Madrid.

Energie ist derzeit wohl das Thema Nummer eins...
Ja, die Frage ist, ob und welche Rolle die Türkei bei der Energieversorgung Europas spielen kann. Wir bekommen ja nicht nur aus Russland Gas, sondern auch aus Aserbaidschan, dem Iran und möglicherweise künftig auch aus Israel, das über Gasvorkommen im Mittelmeer verfügt. Aus logistischer Sicht ist die Türkei mit Pipelines sehr gut vernetzt und könnte natürlich Gas in Richtung Österreich weiterleiten. Und wir sind selbst vor Kurzem erfolgreich auf Erdgasfunde im schwarzen Meer gestoßen drei türkische Schiffe sind derzeit dort beim Sondieren; 2023 soll mit der Förderung begonnen werden.

So eine Kooperation würde natürlich noch dauern?
Das hängt davon ab: mit Hilfe unserer europäischen und österreichischen Partner könnte es schneller losgehen. Momentan ist die Türkei sehr stark im Thema Getreideversorgung aus der Ukraine engagiert, wozu es auch jüngst ein Treffen von involvierten Ländern und der UN gegeben hat.

Was passiert sonst noch an Annäherungsschritten?
Erstmals seit 2013 wurde die interparlamentarische Freundschaftsgruppe Türkei-Österreich wieder aktiv. Die türkische Seite war bereits im Vorjahr in Wien und heuer im Mai war die österreichische Gruppe im türkischen Parlament. Ende Juni war dann Nationalratspräsident Sobotka in Ankara und Istanbul. Und unser außenpolitischer Ausschuss war im September in Wien; da war SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in ihrer Funktion als Ausschuss-Obfrau Gastgeberin. Mit dem österreichischen Außenministerium haben wir rund zehn Kultur-und Bildungsprogramme gestartet und beim Thema Migration und Terrorismusbekämpfung gibt es eine enge polizeiliche Zusammenarbeit. Zum Beispiel waren wir Austragungsort eines Treffens von österreichischen, deutschen, ungarischen, italienischen, bulgarischen, pakistanischen und iranischen Polizeivertretern. In Sachen illegale Migration kooperiert die Türkei sehr eng mit afghanischen Behörden, was auch aus österreichischer Sicht ziemlich interessant sein kann.

Die Rolle der Türkei in Sachen Migration ist ja in der EU nach wie vor nicht unumstritten ...
Auch hier ändert sich die Wahrnehmung in Europa im positiven Sinne. Ich bin froh, dass Österreich mittlerweile einsieht, dass die Außengrenze der EU nicht in Griechenland endet, sondern dass es die türkische ist. Wenn man erfolgreich illegaler Migration begegnen will, wird man mit der Türkei eng zusammenarbeiten müssen -insbesondere was die syrische, iranische und irakische Grenze betrifft.

Wie viele Flüchtlinge betreut derzeit die Türkei -und wie hoch sind die Zahlungen aus der EU im Kontext mit Migration? Die Rede ist von bis zu zehn Milliarden Euro.

Die Türkei war in den letzten acht Jahren das Land, welches weltweit am meisten von grenzüberschreitenden Migrationsbewegungen betroffen war. In unserem Land leben mehr als fünf Millionen Migranten, davon 3,7 Millionen Syrer. Darüber hinaus sind 180.000 Ukrainer, die vor dem Krieg geflohen sind, in die Türkei eingereist, einige von ihnen sind zurückgekehrt und einige von ihnen sind in Drittländer gegangen. Unser Land ist auch die Heimat von 1100 ukrainischen Waisenkindern. Die Türkei kommt ihrer Verantwortung nach, indem sie sich an das Völkerrecht und das Abkommen vom 18. März mit der Europäischen Union hält. Die von der EU im Rahmen des besagten Abkommens freigegebenen Finanzmittel wurden für die Gestaltung eines Projekts in unserem Land verwendet. Davon ist bei weitem nicht alles aus der EU angekommen. Außerdem hat sich die Situation seit 2016 komplett verändert. Deshalb muss das besagte Abkommen an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden.

Und wie geht es Ihnen als Botschafter in Wien?
Ich bin sehr zufrieden, was die Zusammenarbeit mit den Ministerien, den Landesregierungen, zahlreichen Bürgermeistern und den Wirtschaftskammern gut läuft. Mit letzteren etwa gab es zuletzt Gespräche über gegenseitige Investitionen -unter anderem im Tourismus, wo es ein großes Interesse von türkischen Unternehmern gibt. Ich persönlich habe das Gefühl, überall auf offene Türen zu stoßen und habe hier auch viele persönliche Freundschaften geschlossen. Die Türken in Österreich sind im Übrigen sehr froh über die Entwicklung der bilateralen Verhältnisse. Sie haben Krisen, die es in der Vergangenheit gab, auch als sehr stressvoll erlebt. Das ist zum Glück mittlerweile nicht mehr so.

Sie sprechen die Unruhen in Favoriten an?
Unter anderem. Im jährlichen Verfassungsbericht des Innenministeriums wurde diesbezüglich auch festgestellt, dass es bei diesen Ereignissen keine ausländische -sprich türkische -Einflussnahme gab. Es ist positiv, dass die österreichischen Behörden zu diesem Schluss gekommen sind.

Wie bewerten Sie jüngste Aussagen von Außenminister Schallenberg, dass Österreich in Einklang mit der EU-Linie weiter einen möglichen EU-Beitritt der Türkei ablehnt? Die Gespräche sind ja abgebrochen; ist das Thema damit erledigt?
Wir kennen die politische Position Österreichs bezüglich eines möglichen EU-Beitritts der Türkei. Auf der anderen Seite wissen auch unsere österreichischen Freunde, dass sich die Position der Türkei in dieser Sache kein Millimeter verändert hat. Denn die Orientierung der Türkei Richtung Europa ist keine bloße politische Entscheidung, die sich je nach Windrichtung ändern könnte, sondern eine strategische Ausrichtung. Die EU-Mitgliedschaft bleibt unser strategisches Ziel und wir werden weiterhin darauf hin arbeiten.

Bei unserem letzten Gespräch vor zwei Jahren sagten Sie, Sie würden sich wünschen, Österreich solle so wie früher eine stärkere internationale Vermittlerrolle spielen; etwa im Dauerkonflikt zwischen der Türkei und Griechenland. Gilt das noch immer?
Das könnte ich mir durchaus vorstellen. Momentan gibt es die Diskussion um die 13 Ägäis-Inseln, die sehr nahe zur Türkei liegen. Die müssen laut Vertrag von Lausanne und Paris militärfrei sein; Griechenland hält sich aber nicht daran, was nicht akzeptabel ist. Und Österreich hat zu beiden Ländern gute Beziehungen; das wäre eine gute Möglichkeit für Österreich. Derzeit laufen ja Gespräche zwischen der Türkei und Armenien; das erste fand vor einigen Monaten in Moskau statt und die letzten drei in Wien. Wir waren damit sehr zufrieden, dass Wien die Stadt dieser Gespräche war, was sich als wertvoll erwiesen hat.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 28+29/2022.